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 Der Gotteswahn

Autoren: Richard Dawkins
Übersetzer: Sebastian Vogel
Verlag: Ullstein

Cover
Gesamt +++++
Anspruch


Der Gott des Alten Testaments ist - das kann man mit Fug und Recht behaupten - die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur. Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.

So lässt der renommierte Evolutionsbiologe Richard Dawkins, einer der wichtigsten Gegner der vieldiskutierten "Intelligent-Design"-Bewegung, das zweite Kapitel seines Buchs "Der Gotteswahn" (im Original: "The God Delusion") beginnen. Starker Tobak, will man meinen. Doch in Zeiten, da weltweit die Religion auf dem Vormarsch ist, wurde es an der Zeit, dass jemand deutliche Worte findet. In den Vereinigten Staaten etwa ist die Evolutionstheorie durch zumeist christliche Fanatiker unter Beschuss geraten. Die Errungenschaften der Aufklärung werden schleichend demontiert.

Nun aber erheben Dawkins und mehrere seiner Kollegen lauthals die Stimme. Ihre Botschaft: Es ist Zeit, dass bekennenden Atheisten sich nicht länger verstecken, in den Debatten mit religiösen Theoretikern abwinken oder sich auf faule Kompromisse wie NOMA (Non-Overlapping Magisteria) einlassen, frei nach dem Motto: Gott lässt sich weder belegen noch widerlegen, also lasst uns alle friedlich bleiben. Mit diesen Beschwichtigungsformeln, so hat Dawkins erkannt, kommt man auf lange Sicht nicht weiter. Denn inzwischen bedroht die "Intelligent-Design"-Bewegung, die sich gegen die Evolutionstheorie positioniert und die Welt als Schöpfung eines intelligenten "Designers" (also Gott) ansieht, die Weiterentwicklung der Wissenschaften und lähmt die internationalen Debatten. Zugleich wächst der Einfluss der Religionen wieder, wodurch die Menschen gespalten, gegeneinander aufgehetzt, in ihrer Entfaltung und Bildung gehindert oder mit obskuren Moralvorstellungen gegängelt werden.
Dawkins weist in seiner Streitschrift nach, dass der "Gotteswahn" keineswegs harmlos ist, dass Religionen eben nicht allein Privatsache sind, dass sie zu Not und Leid führen und vor allem wissenschaftlich nicht haltbar sind. Wer sich in aktuellen Debatten um Evolution, Physik und Biologie vertieft, der erkennt, auf welch dünnem Boden der Gottesglauben steht. Doch man muss weder Physiker noch Biologe sein, um dies nachvollziehen zu können. Der gesunde Menschenverstand reicht aus, um etwa die angeblichen Gottesbeweise als rhetorische Blasen und die Bibel als zusammengeklaute (und willkürlich zusammengekürzte) Märchensammlung zu entlarven. Gleichzeitig lassen die Erkenntnisse der Physik und Biologie erkennen, dass es mit bis zur Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott und keinen Schöpfer gibt.
Selbst wenn das alles stimmt - braucht der Mensch einen Glauben nicht doch, um Sinn in der Welt zu finden und eine Moral zu entwickeln? Lässt das neue Testament nicht einen Fortschritt zum Besseren erkennen? Auch diese Küchenweisheiten enttarnt Richard Dawkins als falsch, und er weist nach, mit welchen geschickten und subtilen Argumentationsmustern die Gottesbefürworter ihren Einfluss und ihre Meinungsmacht verteidigten und noch immer verteidigen. Schließlich widmet er sich auch der unheilvollen Rolle, die Religion heute spielt. Der Terror islamischer Fundamentalisten oder die Bigotterie christlicher Fanatiker sind keine Produkte des Zufalls. Der Religion selbst wohnt die Kraft zu ihrem Missbrauch inne und macht sie gerade in komplexen Gesellschaften wie der unseren immer gefährlicher.

Es ist eine zornige Streitschrift, die Dawkins verfasst hat. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, lässt sich auf keine Kompromisse ein, lässt sich nicht von Beschwichtigungsformeln einlullen. Dabei nimmt er immer wieder Bezug auf die Geschehnisse der letzten Jahre: auf die Anschläge des 11. September, auf die Protestwelle nach der Veröffentlichung dänischer Karikaturen, auf die Versuche der "Intelligent-Design"-Propagandisten, ihre Lehren in amerikanischen Schulen durchzusetzen. Seine Kronzeugen sind einflussreiche Denker wie Einstein, Darwin, Hawking und die amerikanischen Gründerväter, und sie verteidigt er auch vor bewussten Verfälschungen ihrer Thesen oder vor dreister Vereinnahmung. Es ist ein Buch, das jeder lesen sollte, dem das Thema Religion Zahnschmerzen bereitet. Nicht nur Atheisten, auch Zweifler, kritische Gläubige und mutige Christen können sich an dieses Buch wagen. Denn auch wenn Dawkins? Tonfall an manchen Stellen schon sehr bissig, fast flapsig wirkt und seine Kritik zu sehr auf der christlichen Religion fokussiert bleibt, hat er doch die schlagenden Argumente an der Hand.

Ein mutiges Buch zur rechten Zeit, das manchem Religionsbefürworter schwer im Magen liegen dürfte.

Hagen Hoffmann



Hardcover | Erschienen: 1. September 2007 | ISBN: 9783550086885 | Originaltitel: The God Delusion | Preis: 22,90 Euro | 560 Seiten | Sprache: Deutsch

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