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 Agricola

Autoren: Uwe Rosenberg
Illustratoren: Klemens Franz
Verlag: Lookout Games

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Glück
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Spielregel
Strategie
Der Begriff "Bauernschläue" wird ja gemeinhin recht herablassend benutzt, um einer intellektuell eher niedrig gestellten Schicht zumindest eine Art intuitive Intelligenz zuzusprechen. Wenn man jedoch einmal "Agricola" gespielt hat, bekommt dieses Wort urplötzlich eine völlig andere Bedeutung. Fortan steht die Bauernschläue für weitsichtiges, knallhart kalkulierendes und minutiöses Planen, denn hierbei handelt es sich um ein Strategiespiel der obersten Grübelklasse.

Zeitlich im 17. Jahrhundert angesiedelt, versucht hier jeder Spieler den eigenen Bauernhof von der mageren Holzhütte mit Bauer und Bäuerin zum dicken Anwesen mit Steinbauten, großen Weiden, weiten Äckern, kinderreicher Familie und funktionierender Viehzucht hochzupäppeln. Leichter gesagt als getan!
In jeder der insgesamt vierzehn Runden kann man seinen Bauer und seine Bäuerin, repräsentiert durch zwei Holzscheiben, auf verschiedene Aktionsfelder zum Arbeiten schicken. Da können die beiden dann die unterschiedlichen Baustoffe des Spiels erarbeiten, sich im wahrsten Sinne des Wortes ihr Brot verdienen, das eigene Haus ausbauen, Anschaffungen für den Hof tätigen und sich ausbilden lassen. Später kommen noch viele weitere Aktionen hinzu, so kann man beispielsweise Zäune ziehen, Äcker pflügen und Getreide aussäen, sich Tiere an den Hof holen, die Hütte zum Lehm- oder Steinhaus renovieren oder Nachwuchs erzeugen, der dann in Form weiterer Holzscheiben ebenfalls Aktionen durchführen kann, wodurch man in einer Runde mehr erreicht. Allerdings muss man auch darauf achtgeben, dass man seine Bauernfamilie ernähren kann, nach einigen Runden findet nämlich immer eine Erntezeit statt, in der man jedes Familienmitglied mit zwei sogenannten Nährwerten versorgen muss, die man durch das Schlachten von Tieren, das Kochen von Gemüse, das Backen von Brot und einigen anderen Aktionen erhalten kann. Wer das nicht schafft, der muss betteln gehen, was zum Schluss deftig Miese gibt.
So ist man also während des Spiels beschäftigt, gleichzeitig den Bauernhof immer weiter auszubauen - denn nur dafür gibt es Punkte - und dabei stets die Versorgung der Familie zu gewährleisten. Ein mordsmäßig schwieriger Spagat, der einen zum Schluss garantiert mit vielen Dingen zurücklässt, die man noch gerne getan hätte. Dann wird jedoch abgerechnet: Jedes unbenutzte Feld des eigenen Bauernhofs bringt einen Minuspunkt, und je nach Anzahl der Äcker, Weiden, Tiere, Getreideeinheiten, Familienmitglieder, Anschaffungen und Qualität des Wohnhauses gibt es Pluspunkte.

[imgright]images/UploadGrafiken/Agricola2.jpg[/imgright] Das Szenario von "Agricola" ist wirklich toll umgesetzt! Im Laufe des Spiels hat man tatsächlich das Gefühl, einen kleinen Bauernhof hochzuwirtschaften und mit seinen Spielfiguren für das Wohl einer virtuellen Familie zu arbeiten. Das Thema findet sich einwandfrei in den Mechanismen des Spiels wieder. Jedoch sorgt dies auch für einen sehr hohen Komplexitätsgrad. Das Bauen von Häusern, das Renovieren, das Anpflanzen und Ernten - neben dem recht einfachen Grundmechanismus, seine Personen auf Aktionsfelder zu setzen, gibt es viele kleine Extraregeln für die einzelnen Aspekte des Bauernhofs, mit denen sich Gelegenheitsspieler sicherlich bald überfordert sehen. In der ersten Partie weiß noch kaum einer, was er in diesem Spiel überhaupt machen muss, um halbwegs erfolgreich zu sein, erst mal ist man schon vollauf damit beschäftigt, überhaupt die eigene Familie zu versorgen. Anfängern sei daher unbedingt die sogenannte Familienversion des Spiels empfohlen, die zwar das interessanteste Element - die Ausbildungen und Anschaffungen - unterschlägt, aber auch so für das erste Mal schon recht anspruchsvoll ist. Ein wirkliches Familienspiel ist "Agricola" jedoch eigentlich nicht.
Seinen vollen Reiz entfaltet das Spiel aber erst mit den über dreihundert kleinen Anschaffungen und Ausbildungen, von denen jeder Spieler am Anfang je sieben erhält. Mit nur vierzehn Karten von über dreihundert pro Partie ergibt sich eine riesige Vielfalt für "Agricola", denn ausgehend von diesen Handkarten muss man sich in jedem Spiel eine andere Strategie überlegen und völlig anders planen, um diese möglichst effektiv einsetzen zu können. Da gibt es etwa Ausbildungen und Werkzeuge, die einem Vorteile beim Hausbau bringen, andere drängen einen mehr in die Richtung Ackerbau, wieder andere betreffen die direkte Ernährung der Familie und so weiter. Strategiepuristen werden die Karten vielleicht lieber weglassen wollen, weil man mit ihnen am Anfang schon mal ziemlich Pech haben kann, aber letztendlich ist genau das der größte Clou des Spiels.

[imgleft]images/UploadGrafiken/Agricola3.jpg[/imgleft] "Agricola" hat die Herzen der Hobbyspieler seit der Spielmesse in Essen 2007 wie im Sturm erobert und wird von allen Seiten über den grünen Klee gelobt. Das Spiel ist auch nach der ersten ein wenig sperrigen Partie tatsächlich toll und vor allem abwechslungsreich. Spielerinteraktion ist ebenfalls nicht zu knapp, herrscht doch ein harter Konkurrenzkampf um die wichtigsten Aktionsfelder auf dem Spielplan, was neben der perfekten Planung auch Timing noch unheimlich wichtig macht. Und dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Hype um dieses Spiel nicht so ganz verdient ist, denn letzten Endes ist es für den Durchschnittsspieler doch viel zu unzugänglich. Eine Partie in voller Besetzung wird man kaum in unter drei Stunden durchziehen können und anfangs unter Garantie länger brauchen. Außerdem fehlt die Rückmeldung, wie gut man sich im Vergleich zu den anderen Spielern macht, beispielsweise in Form einer Zwischenwertung. Und spielt man in der ersten Partie gleich mit den Anschaffungen und Ausbildungen, sieht man sich durch die vielfältigen Möglichkeiten dieses Spiels regelrecht erschlagen.
Erschlagen werden kann man übrigens - wenn man nicht aufpasst - auch von der "Agricola"-Box, die mit über drei Kilogramm Material bis zum Bersten gefüllt ist. Viele große Holzteile, dicke Pappspielpläne, unzählige Karten und noch unzähligere Holzchips und -würfel bieten ganz viel Spiel für‘s Geld. Letztendlich ist diese Bauernhofsimulation damit aber doch vor allem ein Titel für Vielspieler, für Fans denklastiger Eurogames von "Euphrat & Tigris" über "Goa" bis "Caylus". Die werden fortan aber nichts anderes als Respekt für den durchschnittlichen Bauern aufbringen können.

Julius Kündiger



Brettspiel | Erschienen: 1. November 2007 | Preis: 34 Euro

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