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 Wahn

Autoren: Stephen King
Übersetzer: Wulf Bergner
Verlag: Heyne

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Wie schnell der Meister des Erzählens schreibt, ist immer wieder erstaunlich. Stephen King hat schon wieder - kein Jahr nach "Qual" - einen Roman herausgebracht, und dieses Mal ist es auch noch ein wahrer Brocken, fast neunhundert Seiten hat "Wahn" - und auch hier muss es wieder geschrieben werden: Irgendwer bei Heyne, der die Titel für die Stephen King-Bücher erfindet, sollte dringend geteert und gefedert werden. Wie "Qual / Blaze", wäre auch hier der Originaltitel "Duma Key" quasi vollkommen gewesen, aber nein, damit sich alle Leser sicher sein können, dass es sich hier um einen Horrorroman handelt, und weil sich die kurzen Titel bei King bewährt haben, wird dem Roman ein unpassender, aber prägnanter Titel verpasst - das ist ein Hohn, da nimmt man die Leser einfach nicht ernst, und man hat in Kings deutschem Verlag noch nicht erkannt, dass sich King aufgrund seiner Qualität verkauft, und nicht aufgrund dämlicher Namen.

Edgar Freemantle hat den amerikanischen Traum schon lange hinter sich, als er auf einer Baustelle von einem Kran gerammt wird, seinen rechten Arm verliert und schwere Kopfverletzungen davonträgt. Seine Genesung geht ganz ordentlich voran, aber er hat Wortfindungsschwierigkeiten und wird darüber sehr jähzornig. Nach zwei Angriffen auf seine Frau Pam will die sich von ihm scheiden lassen. Xander Kamen, Freemantles Psychologe, rät ihm, sich für eine gewisse Zeit ein anderes Domizil zu suchen, und außerdem soll er doch was machen, was ihn ein bisschen glücklich macht. Edgar erinnert sich, früher gezeichnet zu haben, und das soll sein neues Hobby sein, wenn er nach Florida zieht, nur für ein Jahr, in eine Villa auf der kleinen vorgelagerten Insel Duma Key.

Auf Duma Key verstärkt sich das zeichnerische Talent des Edgar Freemantle beträchtlich. Bald beginnt er mit Farben zu malen und jeder, der diese Bilder sieht, ist mehr als erstaunt. Edgar malt surrealistisch und das mit einer ungeheuren Kraft. Bald lernt er seinen Nachbarn kennen, den ehemaligen Anwalt Wireman, der nun die Besitzerin dieses Teils der Insel, die greise Elizabeth Eastlake, pflegt. Die beginnt zwar langsam aber sicher an Alzheimer verloren zu gehen, war aber offenbar mal eine wirklich spannende Persönlichkeit. Edgar freundet sich sofort mit beiden an. Aber Elizabeth trägt ein Geheimnis bei sich, das Geheimnis der Insel, ein Geheimnis, das vor achtzig Jahren, als Elizabeth noch ein Kind war, zu einer Tragödie führte.

Ein bisschen wirkt dieser Roman so, als ob Stephen King zu seinem sechzigsten Geburtstag die Ruhe des Alters geschenkt bekommen hätte. Es dauert wirklich annähernd zwei Drittel des Buches, bis die Bedrohung wirklich klar wird. Und die ist deutlich weniger handfest und eklig, als man das ja durchaus von King kennt. Viel interessanter als der handfeste Horror ist hier der subtile Aufbau. Man hört der Geschichte von Ich-Erzähler Freemantle - der laut einem vermutlich scherzhaften Ausspruch von King der Ururenkel von Mutter Abagail aus "The Stand" sein soll - einfach gerne zu, erlebt seine kleinen und großen Wunder mit, und spürt immer wieder das Geheimnis von Duma Key, die sanfte Bedrohung, die so langsam immer mehr Einfluss gewinnt.
Wer kein Gehör für die vielen Zwischentöne hat, der wird sich vielleicht langweilen, denn so richtig passiert ja nichts, zumindest fünfhundert Seiten lang. Wer sich aber gefangen nehmen lässt, der wird schnell in dieses Buch hineingezogen, lässt King doch, so wie sein Protagonist auf Leinwand, ein wahres Gemälde im Kopf des Lesers entstehen. Man spürt die Ängste und Verluste mit Edgar Freemantle mit, kostet auch seine Erfolge mit aus, freut sich zeitweise über jedes neue Bild, das er malt. Eine kleine emotionale Achterbahn, immer mit dieser tiefgründigen Spannung gemischt; dieser King ist ein wirklich guter King, und - mögen es einige Feuilletons noch nicht gemerkt haben, so kann uns das egal sein -, ein guter King ist immer ein außergewöhnliches Werk und wenn man hier von Weltliteratur spricht, ist das nicht sehr anmaßend - allenfalls ein bisschen.
Schon "Qual" konnte wieder voll und ganz überzeugen, "Wahn" ist noch eine Stufe besser, tiefer, ein großartiges Buch.

Holger Hennig



Hardcover | Erschienen: 01. Februar 2008 | ISBN: 9783453265851 | Originaltitel: Duma Key | Preis: 22,95 Euro | 893 Seiten | Sprache: Deutsch

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