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 Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam

Vom Dschihad zum Schutzvertrag

Autoren: Bat Ye'or
Übersetzer: Kurt Maier
Verlag: Resch-Verlag, Gräfelfing

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis


Die britische Historikerin Bat Ye’or geht der Frage nach, mit welchen Mitteln der Islam die nordafrikanischen, nahöstlichen und kleinasiatischen Kerngebiete des Christentums nach der arabischen beziehungsweise türkischen Eroberung so vollständig durchdringen konnte, dass von dem einst dominierenden Christentum nur noch kümmerliche Reste übrig blieben und es vielerorts sogar völlig verschwand.

Die beiden wichtigsten strategischen Instrumente hierzu waren die beiden miteinander zusammenhängenden Konzepte "Djihad" und "Dhimma". Beide sind im Koran - und das bedeutet: mit Anspruch auf ewige Gültigkeit - verankert und im islamischen Recht konkretisiert und kodifiziert.

"Djihad" beinhaltet (nicht nur, aber auch) die Pflicht der muslimischen Gemeinschaft, alle nichtislamischen Völker ihrer Herrschaft zu unterwerfen, klassischerweise durch militärische Eroberung, sofern die betroffenen Völker zur Verteidigung zu schwach sind.

Sogenannte "Schriftbesitzer", also Christen, Juden und Zoroastrier, dürfen ihrer Religion treu bleiben, sofern sie die Herrschaft der Muslime durch Vereinbarung einer "Dhimma", also eines Schutzvertrages, anerkennen und dadurch zu "Dhimmi" (Schutzbefohlenen) werden. Tun sie dies nicht, so werden sie mitsamt ihrem Eigentum Kriegsbeute der Muslime und verfallen der Tötung oder Versklavung.

Der Dhimmi-Status war je nach Zeit und Ort unterschiedlich ausgeprägt. Stets beinhaltete er die Ungültigkeit von Zeugenaussagen vor Gericht (das heißt die Verweigerung von rechtlichem Schutz gegen Muslime) und die Pflicht zur Zahlung einer hohen Kopfsteuer ("Djizya"); typischerweise kamen hinzu: eine besondere Grundsteuer ("Charadj"); das Verbot, Waffen zu tragen; das Verbot des Neu- und Ausbaus von Kirchen; das Verbot, in irgendeiner Form den Islam zu kritisieren; die Pflicht, regelmäßig Kontingente von Sklaven zu stellen sowie ein ganzer Katalog von entehrenden und entwürdigenden Bestimmungen für das Alltagsleben. Zudem konnte die Dhimma von muslimischer Seite jederzeit aufgekündigt werden.

Dhimmis waren bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein der Willkür der Muslime auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Ihre Lage war der von Geiseln vergleichbar, was sie in gewissem Sinne auch waren. Entsprechend häufig wurden sie Gegenstand willkürlicher Besteuerung, Beraubung, Erpressung, Zwangsbekehrung, Deportation, Versklavung und Tötung. Vieles davon widersprach durchaus dem islamischen Recht. Praktiziert wurde es aufgrund der Wehrlosigkeit der Dhimmis trotzdem. Der einzige Ausweg aus dieser bedrückenden Lage war die Konversion zum Islam.

Ein gewisses - meist das einzige - Gegengewicht bildete bisweilen die Protektion durch den jeweiligen muslimischen Herrscher, der ein Interesse an der Erhaltung seiner Steuerbasis hatte und zudem, gerade in der Anfangszeit der islamischen Herrschaft, häufig auf die Kooperation und das Know-how christlicher Verwaltungsfachleute, Handwerker und Künstler angewiesen war. (Entsprechendes gilt auch für Juden und Zoroastrier, die aber nicht Thema des Buches sind.)

Hierdurch kam es oft zur Symbiose zwischen den Interessen des Herrschers und denen der Eliten der Dhimmi-Gemeinschaften. Angehörige dieser Eliten traten vielfach zum Islam über - dieser "Brain-Drain", wie wir ihn heute nennen würden, hob das kulturelle Niveau der islamischen Gemeinschaft in demselben Maße, wie er das der Dhimmi-Gemeinschaften senkte.

Die Dhimmitude, in der Scharia fest verankert und von ihr mit sakraler Weihe versehen, hat das Herrschaftsrecht des Islam und die Minderwertigkeit der "Ungläubigen" nicht nur theoretisch als Dogma behauptet, sondern mehr als ein Jahrtausend lang für Türken und Araber zur selbstverständlichen, täglich erlebten Realität werden lassen. Die Versuche von Dhimmi-Völkern, sich von der Herrschaft der Muslime zu befreien, mussten daher aus deren Sicht wie verwerfliches Unrecht erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist es erklärlich, warum die nationalen Ambitionen der Armenier während des Ersten Weltkriegs von türkischer Seite mit der denkbar extremsten Reaktion, nämlich einem Völkermord beantwortet wurden (nicht zum ersten Mal übrigens), und muss es zweifelhaft erscheinen, ob die arabischen Völker jemals die Existenz des Staates Israel als legitim anerkennen werden.

Bat Ye’or hat als in Ägypten geborene Jüdin vermutlich bereits biographisch bedingt ein ausgeprägtes Interesse an der Lage von Nichtmuslimen unter islamischer Herrschaft und ist durch eine Reihe von Veröffentlichungen als Expertin auf diesem Gebiet ausgewiesen.

Sie ist sich zweifellos bewusst, dass sie mit ihrem Buch gegen eine Reihe von Legenden zu Felde zieht, die sowohl von Muslimen als auch von islamophilen westlichen Intellektuellen liebevoll gepflegt werden, insbesondere das Klischee von der Humanität und Toleranz islamischer Herrschaft; ein Klischee, das man nach Lektüre dieses Buches getrost als Ammenmärchen abtun darf.

Die Autorin argumentiert auf der Basis souveräner Quellenkenntnis gründlich, ausführlich, differenziert und detailreich, dabei zugleich so, dass auch der Nichtexperte der Darstellung gut folgen kann. Dem interessierten Leser stellt sie darüber hinaus im Anhang Textauszüge aus mehreren Dutzend Primärquellen zur Verfügung, die das Gesamtbild abrunden.

Ein spannendes, vor allem aber ein wichtiges Buch. Ein Muss für jeden, der sich mit der islamischen Geschichte kritisch auseinandersetzen und sich nicht mit apologetischen Legenden abgespeist sehen will.

Manfred Kleine-Hartlage



Taschenbuch | Erschienen: 01. Januar 2002 | ISBN: 9783935197199 | Originaltitel: Les chrétientés d`Orient entre jihâd et dhimmitude | Preis: 24,90 Euro | 572 Seiten | Sprache: Deutsch

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