Media-Mania.de

 Regensburger Rithmomachie

Mit einem Zahlenspiel auf Zeitreise ins 11. Jahrhundert


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Glück
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Spielregel
Strategie
1090. Roger I. von Sizilien, "der Normanne", versucht Malta zu erobern; Heinrich der IV. regiert und überwirft sich mit dem Papst; Freiburg wird gegründet - und ein Spiel erblickt das Licht der Welt, das sechshundert Jahre lang dem aus dem arabischen Raum stammenden Schach bevorzugt wird, ehe es den Kampf verliert und aus den einfachen Wohnstuben und Herrschaftssitzen, Klöstern und Bürgerhäusern wieder verschwindet. Die "Regensburger Rithmomachie", ein Spiel rund um die mathematischen Bezüge aus Musik, Geometrie, Astronomie und Philosophie. Es ist ein Kampfspiel, ein Rechenspiel und eine Auseinandersetzung, die rund um Zahlenverhältnisse und Proportionen geführt wird. Mehr als neunhundert Jahre später haben sich Frau Prof. Dr. Edith Feistner und Prof. Dr. Alfred Holl den zahllosen Varianten, Regeln und Erscheinungsformen angenommen und eine wieder spielbare Version daraus entworfen.

In der Packung findet man neben der Regel einen Leinenspielplan, der acht mal sechzehn quadratische Felder aufweist. Des Weiteren liegen achtundvierzig schwarze und weiße Holz-Spielsteine, die entweder rund, viereckig oder dreieckig und in zwei Fällen wie ein kleiner, flacher Turm gebaut sind, in der Packung. Auf den Spielsteinen sind Zahlen aufgedruckt, die von 2 bis 361 reichen. Alles macht einen qualitativ hochwertigen, ansprechenden Eindruck. Dann beginnt der "moderne Mensch" die Anleitung zu lesen und das erste Spiel zu versuchen.

Und hier zeigt sich schnell, dass im Mittelalter offensichtlich jeder Mensch ein begnadeter Mathematiker war - jedenfalls im Vergleich mit den heutigen, Taschenrechner benutzenden "Additiophoben".
Bereits die Aufstellung der Spielsteine bedarf hoher Konzentration. Ohne Vorlage geht es nicht.
Dann schaut man sich an, wie man die einzelnen Steine bewegen kann - das ist bereits nicht ganz einfach. Runde Steine können zwei Felder weit ziehen, dreieckige drei Felder, viereckige vier Felder. Und zwar nach rechts, links, oben und unten - nicht diagonal. So weit, so erlernbar.

Dann muss man sich merken, wie man gegnerische Figuren schlagen kann. Hier gibt es vier Möglichkeiten. Erstens nimmt man den benachbarten gegnerischen Spielstein vom Feld, wenn er die gleiche Zahl trägt wie der eigene - und dies ist nur bei sechs Steinen der Fall. Zweitens kann man einen gegnerischen Spielstein belagern. Nimmt man ihm auf den vier möglichen Richtungen jede Zugmöglichkeit, tauscht man den zuletzt gezogenen Spielstein mit dem des Gegners in der Mitte. Drittens können zwei einen gegnerischen Spielstein über Eck umgebende Steine, die durch eine einfache Rechnung (Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division) den Wert des gegnerischen Steins ergeben, diesen schlagen. Viertens kann man einen gegnerischen Spielstein überfallen. Hier zählt die Zahl der Felder, die man zieht und der Wert des eigenen Steins. Wieder muss durch eine Rechenoperation der Wert des gegnerischen Spielsteins erreicht werden, um diesen vom Spielfeld zu entfernen.
Zudem können alle vier Grundrechenarten kombiniert werden, was zu einer unübersehbar großen Zahl an Möglichkeiten führt - man muss sie nur bemerken und ausführen. Kompliziert werden Zahlenfolgen, die geometrische Mittel, arithmetische Mittelwerte oder sogenannte Harmonien ergeben. Diese sind aber erst in den komplexeren Spielvarianten von Bedeutung, denen man sich erst viel später oder lieber gar nicht hingeben sollte.

Vier Spielarten werden nun in der Regel angeführt. Eine einfache, für Kinder und Anfänger geeignet und eine schwierigere für Fortgeschrittene. Die eigentliche "Regensburger Fassung" ist Spielart drei und die vierte Variante ist aus moderner Sicht eine Erweiterung der damals geltenden Regeln.

Sinnvoll und spielbar sind dabei - ohne Mathematikstudium oder sehr viel Zeit und Muße - nur die ersten beiden Varianten.

Wie aber spielt sich dieses "Tausendjährige Spiel"? Schwer, um nicht zu sagen desaströs. Allerdings nicht, weil die Regeln oder das Spiel selbst schlecht wären, sondern weil der Verstand des modernen Menschen solcherart Spiele nur mit Mühe erlernen kann.
Es erfordert eben nicht ein fünfminütiges Studium der Regeln und dann ein lustiges Drauflosspielen, sondern lange Stunden der gemeinsamen Auseinandersetzung mit diesem Spiel. Man muss schon einen ganzen Nachmittag Spielzüge proben, üben, wie sich die Steine ziehen lassen, mit den Zahlen experimentieren und rechnen, rechnen, rechnen.
Hat man aber an dieser Art Beschäftigung gefallen gefunden, hat man nicht aufgegeben und möchte zu zweit in die Geheimnisse des Spiels eintauchen, wird es erst richtig schwierig. Dann muss man stundenlang taktieren, rechnen, Steine hin und her bewegen, nachdenken, wie man den Gegner täuschen könnte, welche Möglichkeiten sich aus der jeweiligen Stellung ergeben und was man noch nicht bemerkt hat, weil einem die mathematischen Grundlagen fehlen.
Es ist - nach vielen Stunden der Beschäftigung - verblüffend, wie sehr man in Zahlenreihen, Gleichungen, Harmonien und Mittelwerten zu denken in der Lage ist. Fast wie ein Schachprofi, der nach Tausenden von Partien erst ein Gefühl für das Spiel an sich, für die Tiefe und Bedeutung gewinnt, erhält der Spieler der "Regensburger Rithmomachie" einen ganz neuen Zugang zur Mathematik und ihrer ganzheitlichen Bedeutung.

Ob dieses Gefühl sich jedoch auch bei Kindern einstellt, sei dahingestellt. Nur wenige Kinder werden die Ausdauer aufbringen, sich lange genug mit diesem Spiel zu beschäftigen, zumal es optisch weit hinter jedem Schachspiel zurücktritt und in seiner Aufmachung auf die Kleinen eher abschreckend wirkt. Erwachsenen aber sei dieses Spiel empfohlen - als Alternative zum überaus verbreiteten Schachspiel kann es in puncto Spieltiefe und vor allem Spielwitz locker mithalten -, wenn man ihm viel Zeit gibt und nicht vorschnell die Flinte ins Korn wirft.

Bleibt die Frage, wann man eine Partie eigentlich gewonnen hat. Das ist nicht so einfach zu sagen. Es gibt verschiedene Siegvarianten. Darunter drei "einfache" Siege. Dies sind ein Sieg des Besitzes, das heißt, man hat dem Gegner bestimmte Figurenwerte abgenommen. Oder ein Sieg des Körpers, hier muss eine bestimmte, vorher festgelegte Anzahl Figuren vom Gegner erbeutet werden. Oder der Sieg der Einnahmen. Hier müssen bestimmte Ziffern erbeutet werden. Alle Kombinationen dieser drei Siegvarianten sind möglich und wurden in der Geschichte des Spiels angewandt - hier ist der Spieler selbst gefragt.
Des Weiteren gibt es "Echte Siege". Diese beinhalten bestimmte Harmonien, also Zahlenfolgen, die wiederum aufgeteilt werden in kleine, große und gewaltige Siege. Dies ist jedoch nur Profis vorbehalten und tritt in den ersten hundert Partien nur sehr selten auf.

Wer sich genauer über die verschiedenen Regelvarianten informieren will, schaue auf dieser Site nach!

Stefan Erlemann



Brettspiel | Erschienen: 1. Januar 2008 | Preis: 12,10 Euro

Bei Amazon kaufen


Ähnliche Titel
Einfach GenialDuell im DunkelnSakkaraQuatanaDie Schlachten von Westeros