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 Warum der Mensch spricht

Eine Naturgeschichte der Sprache


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Die Sprachwissenschaftlerin und Biologin Ruth Berger kannte man bislang als Autorin von historischen Romanen. Mit "Warum der Mensch spricht" legt sie nun ein sehr aktuelles und gehaltvolles populärwissenschaftliches Buch über Evolution und Biologie der Sprache vor.
Schon über den Spracherwerb von Kindern bestehen unter Wissenschaftlern sehr unterschiedliche Ansichten, wie die Autorin ausführt. Sie beleuchtet eingangs die Frage, ob es sich bei der Sprache um eine natürliche, sprich genetisch verankerte, oder um eine kulturell erworbene Fähigkeit handle. Interessant sind in diesem Zusammenhang etliche mit Tieren, insbesondere Menschenaffen, durchgeführte Experimente.
Ausgehend von einem bei einer Familie mit gehäuft auftretender Sprachstörung beobachteten defekten Gen, das üblicherweise bei Menschen wie Tieren noch weitere bedeutsame Funktionen abseits eines Aspekts der Sprachfähigkeit innehat, verfolgt die Autorin im zweiten Abschnitt des Buchs die Untersuchungen zur Sprachbefähigung von Urmenschen, insbesondere der Neandertaler, und wertet die Ergebnisse kritisch aus - mit höchst überraschenden, aber eindeutigen Resultaten.
Im dritten Teil geht es vor allem um die Sprache selbst: beteiligte Gehirnareale, die Funktion und das Zusammenspiel von Wörtern und Grammatik sowie deren Übergänge. Denn was in einer Sprache als reines Wort fungiert, ist in manchen anderen Teil der Grammatik.
Wer sich schon einmal Gedanken darüber gemacht hat, woher die zahlreichen Interjektionen wie "Au!" und "Oh!" stammen, die den Regeln unserer Sprache trotzen und sich nicht recht in Sätze einfügen wollen, wird im vierten Teil fündig, der sich mit der Sprach-Evolution befasst und diese ein Stück weit parallel zur biologischen Evolution verfolgt. Auch hier erwarten den fachfremden Leser einige verblüffende und spannende Erkenntnisse.
Im letzten Teil schließlich erhält der Leser eine Zusammenfassung und Abwägung der bereits diskutierten verschiedenen Forschermeinungen und Forschungsergebnisse zur Sprachentstehung, die offensichtlich wesentlich weiter zurückzudatieren ist als bislang allgemein angenommen. Die Autorin versetzt sich und den Leser in die Lebenswelt damaliger Frühmenschen zurück und zeigt auf, welchen Nutzen die aufkommende Sprache ihnen vermutlich brachte und wie wir die Sprache zu dem machten, was sie ist, aber auch umgekehrt: wie die Sprache den Menschen hin zu einem außergewöhnlich sozialen, anpassungsfähigen Wesen formte.
Der Anhang bietet vor allem eine chronologische Übersicht über die Hominidenentwicklung nach dem aktuellen Kenntnisstand.

Wer mit der Lektüre dieses Buchs beginnt, läuft Gefahr, die Zeit zu vergessen und es bis zum Erreichen der letzten Seite nicht mehr zuzuklappen, so packend ist es geschrieben - allerdings an keiner Stelle reißerisch. Besonders positiv fällt auf, dass die Autorin zu jeder strittigen Frage die jeweiligen Forschermeinungen anführt und begründet sowie sachlich abwägt, welche davon plausibel ist, sofern nicht ohnehin neuere Ergebnisse manche scheinbar sichere Erkenntnis ad absurdum führten. So lernt der Leser nicht nur die Evolution und Biologie beziehungsweise Physik der Sprache selbst kennen, sondern auch ein Stück Forschungsgeschichte, das sich sehr spannend präsentiert.
Offensichtlich sind auch ganz neue, kurz vor Erscheinen des Buchs veröffentlichte Ergebnisse eingeflossen, sodass der Leser hier mit hochaktuellen Inhalten konfrontiert wird. Wer sich für das Thema interessiert, dürfte sich darüber gewundert haben, wie rasch die Meinungen über die Sprach- und Kulturfähigkeit des Neandertalers in den letzten Jahrzehnten wechselten. Mal schien die Kehlkopfkonstruktion das Sprechen zu verhindern, mal wies das Zungenbein auf Sprachfähigkeit hin. Die Autorin greift auch ältere Forschermeinungen auf und zeigt, dass es sich bei ihnen oft um vorschnell gemachte oder mangels späterer Funde und Analysen auf einer falschen Basis beruhende Interpretationen von im Grunde korrekten Entdeckungen handelt.
Ruth Berger gelingt es, das Puzzle aus zunächst scheinbar widersprüchlichen, verwirrenden Forschungsergebnissen zu einem stimmigen und, wie erwähnt, überraschenden und erstaunlichen Bild zusammenzufügen. Darüber hinaus lernt der Leser eine Fülle an Fakten über die Sprache selbst kennen, ob in neurologischer Hinsicht oder als Ausdrucksmittel bei Mensch und Tier.
Der charmante, aber nicht zu lässige Stil, in dem die Inhalte auf spannende, logische und gut verständliche Weise präsentiert werden, macht die Lektüre zum Vergnügen. Ein außergewöhnliches Buch, das Interessierten bestens empfohlen werden kann: sachlich wie erzählerisch eine wahre Meisterleistung!

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 1. März 2008 | ISBN: 9783821856872 | Preis: 19,95 Euro | 304 Seiten | Sprache: Deutsch

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