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 Das falsche Gewicht

Autoren: Joseph Roth
Regisseure: Alexandra Sternbach
Sprecher: Joseph Lorenz
Verlag: Diogenes

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Anselm Eibenschütz ist mit Leib und Seele Mitglied der Armee Österreich-Ungarns. Schweren Herzens gibt er das Militär auf, nachdem er geheiratet hat und seine Frau, der das Soldatenleben zuwider ist, ihn beharrlich dazu drängt. Daraufhin wird er im Bezirk Zlotogrod, an der russischen Grenze, als Eichmeister eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Maße und Gewichte der Händler des Bezirks zu prüfen.
Eibenschütz, von der Armee her gewohnt, Recht und Ordnung nicht einmal ansatzweise infrage zu stellen, kommt mit den Menschen in Zlotogrod nicht zurecht. Denn dort, in dieser armseligen, "giftigen" Gegend, betrügt jeder jeden, um irgendwie über die Runden zu kommen, weshalb in Zlotogrod auch keine Fragen gestellt werden. In diese Gesellschaft von Betrügern, Schmugglern, russischen Deserteuren und anderen zwielichtigen Elementen bricht der redliche Anselm Eibenschütz ein, versucht, seine Pflicht zu erfüllen - und schafft sich damit jede Menge Feinde.
Einen ersten schweren Rückschlag erlebt er, als er erfährt, dass seine Frau von einem anderen ein Kind erwartet. Sein Leben im ihm fremd und unsympathisch gebliebenen Zlotogrod entbehrt nun jeden Sinn, und, haltlos, wie er geworden ist, verliebt er sich in die rassige Schönheit Euphemia, Freundin eines der größten Halunken der Provinz. Seine Besessenheit von Euphemia treibt ihn schließlich in eine seltsame Grauzone zwischen Recht und Unrecht. Sowohl beruflich als auch privat passt Eibenschütz sein Gewissen den Gegebenheiten an, denn längst geht es ihm nur noch darum, Euphemia zu besitzen.

Der 1894 im östlichen Galizien, also der Gegend, in der auch "Das falsche Gewicht" spielt, geborene Joseph Roth gehört zu den großen deutschsprachigen Meistern der Erzählkunst. Seine Charaktere sind vorzüglich beobachtet und authentisch dargestellt, er vermittelt Stimmungen so lebendig und zugleich mit geradezu malerischer Anschaulichkeit, dass sie sich dem Leser oder Hörer tief einprägen. Die Obsession des Anselm Eibenschütz für die schöne Euphemia äußert sich am eindringlichsten durch die nachhaltigen Schilderungen des Klingelns ihrer Ohrringe, das Eibenschütz ständig zu hören vermeint, wo auch immer er sich aufhält. Nachvollziehbar und anschaulich beschreibt Roth, wie diese verzweifelte Hörigkeit, nicht anders als jede andere Sucht, Eibenschütz nach und nach in den Ruin treibt: Schließlich ist er bereit, alles zu tun, um nur in Euphemias Nähe sein zu können.
Der Roman befasst sich jedoch nicht nur mit der persönlichen Tragödie des Eichmeisters, der nach langem Kampf gegen die unredlichen Geschäftspraktiken in seinem Bezirk selbst seine Redlichkeit verliert, sondern er schildert auch die verzweifelten Verhältnisse in der bitterarmen Grenzregion des sich seinem Ende zuneigenden Habsburgerreichs, die den Menschen kaum die Möglichkeit lassen, "gut" zu ihren Mitbürgern zu sein.
Euphemia bleibt meistens im Hintergrund, sie tritt weniger als klassische "femme fatale" auf, auch wenn sie sich ihrer Reize bewusst ist und diese bei Bedarf berechnend einzusetzen weiß, denn als ein oberflächliches Geschöpf, das mit seiner Liebe großzügig umgeht. Großartig gezeichnet sind Mit- und Gegenspieler von Anselm Eibenschütz, vor allem Jadlowka, Euphemias skrupelloser Freund, der bald danach trachtet, den Eichmeister auszuschalten.
Die Nichtigkeit des einzelnen Menschenlebens in einer solchen Gesellschaft stellt Roth nachdrücklich in seiner Schilderung einer Zlotogrod heimsuchenden schweren Choleraepidemie heraus, die auch EibenschützÂ’ Frau und deren außereheliches Kind tötet. Über der gesamten Handlung schwebt eine unvergleichlich düstere, dichte Atmosphäre, die den Hörer in ihren Bann zieht und es schwer macht, die "akustische Lektüre" vor dem Ende der letzten CD abzubrechen. Hierzu trägt auch der Sprecher Joseph Lorenz bei, der ausdrucksvoll, spannend, doch ohne billige Effekthascherei den Roman vorträgt: ein bemerkenswertes Stück Weltliteratur aus der untergehenden Donaumonarchie.
Preisgünstig ist die Hörbuchausgabe nicht, doch die einwandfreie akustische Qualität und auch die schöne, hochwertige Aufmachung der Edition rechtfertigen den Preis im Großen und Ganzen.

Regina Károlyi



CD | CD-Anzahl: 4 | Erschienen: 01. Mai 2008 | ISBN: 9783257801972 | Laufzeit: 259 Minuten | Preis: 29,90 Euro

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