Der Österreicher Ulrich Seidl war nie einer, der angepasste Filme macht. Mit Werken wie "Hundstage" oder "Tierische Liebe" gewann er Preise und lotete zugleich Geschmacksgrenzen neu aus. Auch in seinem neuesten Film, "Import Export", hält er der Gesellschaft den Spiegel vor und erzählt von Randexistenzen im Hier und Jetzt - mitten unter uns.

"Import Export" zeigt die Geschichten zweier Leben: das von Olga aus der Ukraine und das von Pauli aus Österreich. Olga arbeitet als Krankenschwester und ist Mutter eines kleinen Sohnes. Doch mit ehrlichem Geschäft ist schlecht Geld verdienen, zumindest da, wo Olga lebt. Sie hat es satt, nebenbei für willige Kunden ihren nackten Körper vor eine Webcam zu halten und beschließt, nach Österreich zu ziehen, um dort als Putzfrau zu arbeiten. Pauli trainiert hart und lässt sich zum Wachmann ausbilden. Doch als bei einem Job einfach alles schiefgeht, sitzt er wieder arbeitslos in der muffigen Wohnung seiner Mutter und seines Stiefvaters. Ein Transportauftrag in die Ukraine soll das Geld bringen, das Pauli dringend zur Tilgung seiner Schulden braucht. Olga und Pauli kennen sich nicht, und sie haben nichts miteinander zu tun. Doch eines haben sie gemeinsam: Sie exportieren oder importieren sich und ihre Träume, Hoffnungen und Lebensvorstellungen, weil in ihrer jeweiligen Heimat kein Weg zu ihrem persönlichen Glück führt.

Bonjour Tristesse: Der neue Film von Ulrich Seidl leuchtet Ecken aus, in die man so deutlich nur ungern schaut. Ob das nun Körperregionen, Wohngegenden oder Lebenswelten sind - in "Import Export" sieht Seidl da hin, wo es wehtut, wo man lieber verschleiert, wo man verletzlich ist. Was er zeigt, sind Ausschnitte zweier Leben, in denen glückliche Augenblicke die Ausnahme bleiben und in denen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft oft das einzige ist, was die Menschen noch antreibt. Kameramann Edward Lachman packt Seidls Vision - den ungeschönten Blick eines Realisten - in karge, trostlose Bilder, die berühren und die man nicht mehr vergessen kann. So zwingt "Import Export" den Zuschauer dazu, sich zu fühlen wie die Protagonisten: hilf- und machtlos, degradiert zum Beobachter im eigenen Leben. Damit schafft Seidl keine Mitgefühl heischende Armutsschmonzette, wie man sie aus Hollywood erwarten dürfte, sondern einen wirklichkeitsnahen, unsentimentalen Blick auf zwei ganz unterschiedliche Charaktere, die sich doch in ihren Wünschen, Sehnsüchten und Problemen mehr ähneln, als es auf den ersten Blick scheint. Die beiden Hauptdarsteller - beide sind keine Schauspieler, sondern Laien - vervollständigen die authentische Wirkung des Films durch eine würdevolle, beeindruckende Leistung. Und das ist das Besondere an "Import Export": Alles fügt sich zu einem organischen Ganzen zusammen, sodass ein stimmiges und bedingungslos realistisches Werk entsteht. Dieser Film ist drastisch und provokativ; er hat keinen Anfang und kein Ende; er verweigert sich dem klassischen Heldenschema und anderen gängigen Reglements; er ist nie aufdringlich und schreibt nicht vor, was man wie zu sehen hat; er schwankt zwischen bitterer Tragik und bizarrer Komik; er wirkt trotz seiner Laufzeit von über zwei Stunden nicht langatmig oder wiederholend - und wird so letzten Endes zu einem Erlebnis, das lange nachhallt und zum Nachdenken bewegt. Gratulation, Herr Seidl: Ihnen ist wieder einmal etwas ganz Großes und Wichtiges gelungen.

Die DVD von Alamode Film zeigt "Import Export" in ordentlicher Bild- und Tonqualität. Die Interviews mit Seidl und Lachman sind aufschlussreich, wirken aber - wie schon die Extras auf anderen DVDs des Anbieters - durch ihre abgehackte Machart etwas lieblos. Die Trailer zum Film selbst und anderen Werken von Ulrich Seidl reißen nicht vom Hocker, gehören aber zum Standardrepertoire. Der edle Pappschuber entschädigt ein wenig für das doch eher enttäuschende Bonusmaterial.

Fazit: Das muss man mit eigenen Augen gesehen haben - ein unglaublich gutes und gnadenlos realistisches Meisterwerk.