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 Die Grenzländersaga, Band 1: Die Tage des Hirsches


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Spannung


Der Fantasyboom der letzten Jahre führt dazu, dass die Verlage auch außerhalb des angloamerikanischen Sprachraums Ausschau nach neuem Lesestoff halten. Mit Liliane Bodocs "Grenzländersaga" erscheint nun also eine Fantasytrilogie aus Argentinien, und das obendrein im renommierten Suhrkamp-Verlag, der bekanntlich über ein recht gutes Standing in der phantastischen Szene verfügt (man erinnere sich an die violettfarbene ’Phantastische Bibliothek’ dieses Hauses). Und tatsächlich präsentiert Suhrkamp auch Bodocs Fantasyerstling "Die Tage des Hirsches" in gediegener Aufmachung - ein schönes, unkitschiges Cover mit eingelegter Silberschrift. Für ein Taschenbuch macht das ganz schön was her.
Wie aber unterscheidet sich südamerikanische Fantasy von der hiesigen? Die Grundkonstellation in Liliane Bodocs Auftaktroman ist zunächst recht klassisch. Misaiane, eine Art Dämon oder Gegengott, der von der geheimnisvollen ’Todbringenden’ gezeugt wurde, streckt seine Krallen nach dem Fruchtbaren Land aus. Dort leben zahlreiche Völker friedlich nebeneinander her, zwischen Fabelwesen wie den farbschwänzigen Lulus. Aber dunkle Vorzeichen überschatten das Fruchtbare Land und künden von der Ankunft zahlreicher Schiffe mit Fremden. Wollen sie Unheil heraufbeschwören - oder sind sie Gesandte der Ahnen, die freundlich zu empfangen sind? Im Sternenhaus zu Belaram beratschlagen die Sterndeuter und Zauberer über den Umgang mit der drohenden Gefahr. Als sich aber das unheilvolle Wirken Misaianes zeigt, gründet Dulkancellin, Anführer des stolzen Kriegervolks Husihuilke, den Bund des Hirsches. Er soll sich gegen die Gefahr wappnen. Und diese erreicht auch schon bald die Küste des Fruchtbaren Landes - in Form von eisengerüsteten Männern, die keine Gnade kennen.

Eine klassische Ausgangssituation also. Was Bodocs Roman allerdings grundlegend von angloamerikanischen (und auch deutschen) Fantasyromanen unterscheidet, ist die tiefe Verwurzelung in den indianischen Mythen Lateinamerikas. Schon die zu Beginn abgedruckte Karte verrät, dass es sich bei dem Fruchtbaren Land um eine Art idealisiertes, in einen zeitlosen Naturzustand zurückgesetztes Südamerika handelt, in dem die Naturvölker noch engen Kontakt zu den Göttern, Geistern, Ahnen, Tieren und Pflanzen pflegen. Die Zauberer und Astronomen sind mehr Schamanen denn Magier; alten Menschen wie der weisen Kush wird großer Respekt entgegengebracht, und einzelne Personen wie Kuy-Kuyen, die Tochter Dulkancellins, haben im Einverständnis mit den Kräften der Natur besondere Fähigkeiten wie den Zweiten Blick. Die Invasion der eisenbewehrten Fremden, die über den Ozean mit ihren großen Schiffen kommen, ist unverkennbar eine Analogie der spanischen Eroberung und Kolonisierung des südamerikanischen Kontinents, und so ließe sich die Grenzländersaga auch als eine mythische Umdeutung dieses historischen Einschnitts für die indianischen Völker lesen. Damit ist Bodoc näher an Tolkien, als man zunächst vermuten kann. So wie dieser Mittelerde als mythische Vorgeschichte der Erde erschuf, arbeitet sich Bodoc an lateinamerikanischen Traumata ab und zeigt, welch expressives Potenzial dem oft verkannten Fantasygenre innewohnt.

Freilich, wer sich an "Tag des Hirsches" heranwagt, sollte nicht die etablierten Standards der High und Low Fantasy erwarten. Hier werden keine spektakulären Schlachten und Zauberduelle ausgetragen; Bodoc erzählt sehr ruhig und bedächtig, baut ihre Geschichte langsam auf und schickt der Katastrophe der Invasion zahlreiche Andeutungen und mythische Ahnungen voraus. Zugleich gelingen ihr mehrere starke Figuren, wie der hartnäckige, in Teilen gar despotische Kriegerhäuptling Dulkancellin oder sein verträumter Sohn Thungür. Vor allem aber tragen die eingestreuten Mythen und die märchenhafte Atmosphäre des Fruchtbaren Landes den Roman, der dafür zu Recht in Argentinien gefeiert wurde.

Wer wirklich einmal eine ganz andere Art von Fantasy lesen will, sollte sich den Auftakt der Grenzländersaga nicht entgehen lassen - oder zumindest einen Blick auf die wunderschön gestaltete Internetseite wagen, die Suhrkamp seinem ersten Ausflug in die südamerikanische Fantasyliteratur gegönnt hat. Die nachfolgenden Bände werden mit Spannung erwartet.

Hagen Hoffmann



Taschenbuch | Erschienen: 01. Mai 2008 | ISBN: 9783518459799 | Originaltitel: Los dias del Venado. La saga de los confines | Preis: 12 Euro | 320 Seiten | Sprache: Deutsch

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