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 Nordermoor


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


Kommissar Erlendur und seine Kollegen Sigudur Oli betrachten traurig den Tatort. Ein typisch schlampiger isländischer Mord, finden sie. Der alte Mann, der zusammengesunken auf dem Fußboden liegt, wurde offensichtlich im Affekt mit einem schweren Aschenbecher erschlagen. Der Fall wäre kaum der Rede wert, wenn nicht der seltsame Zettel wäre, der auf dem Toten liegt. "Ich bin Er" steht darauf, eine mehr als kryptische und sinnlos erscheinende Botschaft des Mörders.
Im Laufe der Ermittlung wird die Sache immer undurchsichtiger. Niemand scheint ein Motiv zu haben, keiner hatte näheren Kontakt mit dem Opfer Holberg, einem Lkw-Fahrer im Ruhestand. Auch die Tatsache, dass auf seinem Rechner ekelhafte Pornofilme gefunden werden, trägt nicht zur Klärung bei.

Erst der Hinweis, dass der Mann vor fast vierzig Jahren wegen Vergewaltigung angezeigt worden war, jedoch freigesprochen wurde, scheint eine Spur zu sein, der man nachgehen kann. Erlendur findet einen ehemaligen Kumpan des Ermordeten, der im Knast sitzt und nach anfänglichem Zögern von einer weiteren Vergewaltigung spricht, derer Holberg sich gebrüstet hat. Aber die Frau, die ihn damals angezeigt hatte, hat vor mehr als dreißig Jahren Selbstmord begangen. Wie nun herausfinden, wen Holberg vor bald fünfundvierzig Jahren vergewaltigt hat, ohne dass der Fall zur Anzeige kam? Erlendur aber gibt nicht auf. Er lässt Sigudur Oli nach der Frau suchen und macht sich selbst daran, Verwandte der Selbstmörderin zu finden und zu befragen.

Was für ein trauriger Krimi. Das Opfer ist ein Ekelpaket der Sonderklasse. Mitleid Fehlanzeige. Der Täter ein armes Schwein, die anderen Opfer des Ermordeten noch ärmere Schweine. Die tragischen Familienverhältnisse der Verdächtigen sind zum Weinen und der Kommissar ist geschlagen mit einer drogenabhängigen und schwangeren Tochter, einem dumpfen Schmerz in der Brust und einem ebenso tristen wie deprimierend ereignislosen Lebenslauf. Die Ermittlung ist fast langweilig, so akribisch wie sie beschrieben wird, die Lösung ebenso vorhersehbar wie todtraurig.
Dazu ein Wetter, wie es schlimmer kaum sein kann, Dauerregen, Kälte, Düsternis. Island eben. Die Menschen meist einsilbig, des Öfteren feindselig, gelegentlich abstoßend, selten aber interessant. Das alles gewürzt mit den traurigen Gedanken des Kommissars über Gott und die Welt im Allgemeinen und seine Tochter im Besonderen.

Und doch, wenn man dem exzellenten Frank Glaubrecht so zuhört, stellt sich ein Gefühl der Begeisterung ein. So muss ein Krimi sein, der die Realität abbildet, der Island beleuchten will, der im Sumpf von sexuellen Trieben, Gewalt und tragischen Familiengeschichten wühlt und doch nicht zu einem Ende, einem sinnvollen Schluss kommt. Denn hat man nach zweihundertneunundvierzig Minuten Hörbuch den letzten Satz gehört, ist man kaum schlauer als zuvor, hat nicht einem spannenden Krimi gelauscht oder eine packende Ermittlung verfolgt. Man hat nur dem genialen Indridason abgenommen, dass er weiß, wovon er schreibt, dass er schildert, was real sein kann, was eben traurig und deprimierend endet. Man kann eine Vergewaltigung nicht vergessen und vergeben, kann die furchtbaren Folgen dieser Tat nicht verstecken und verdecken, man muss sie aushalten, als Hörer durchleiden und im Endeffekt vor dem Scherbenhaufen stehen und weinen.

Wer "Nordermoor" gehört hat, wird einen weiteren Roman oder ein weiteres Hörbuch dieses Autors - am besten vorgelesen von Frank Glaubrecht - erwerben wollen. Trotz oder gerade wegen der Traurigkeit, die dieses Werk vermittelt.

Nicht nur der Preis ist außergewöhnlich niedrig, auch das Layout der festen CD-Box ist perfekt. So sollte ein Hörbuch aussehen.

Stefan Erlemann



CD | CD-Anzahl: 4 | Erschienen: 01. Oktober 2006 | ISBN: 9783404771868 | Laufzeit: 249 Minuten | Originaltitel: Myrin | Preis: 9,99 Euro

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