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 Die Entdeckung der Langsamkeit

Autoren: Sten Nadolny
Verlag: Piper

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
England, spätes 18. Jahrhundert: John Franklin hat es gegenüber anderen Kindern nicht leicht, denn er ist ungeheuer langsam in allem, was er tut. Ob es darum geht, einen Ball zu fangen oder nur die Bedeutung eines an ihn gerichteten Satzes voll zu erfassen, John benötigt für alle Dinge des Lebens einfach wesentlich längere Zeit als andere. Weit davon entfernt geistig behindert oder gar dumm zu sein, macht ihn sein Handicap dennoch zur Zielscheibe kontinuierlichen Spottes und noch handfesterer Repressalien seitens seiner Spielkameraden. Doch die augenscheinliche Behinderung bringt nicht nur Nachteile mit sich: Beim Ballspiel kann John zwar nicht durch sportliche Meisterleistungen glänzen, er ist aber mit Abstand der ausdauernste Netzjunge, den sein Heimatdorf Spilsby zu bieten hat. Mit derselben entschlossenen Hartnäckigkeit, mit der er stundenlang die Schnur des Spiels in der immer gleichen Position hält, verfolgt er auch seinen großen Lebenstraum: John Franklin möchte Seefahrer werden.

Ein Freund seiner Familie, Kapitän Matthew Flinders, macht John im Alter von 15 Jahren mit der Navigation auf See vertraut, als er ihn zu seiner ersten Australienreise mitnimmt. Von diesem Zeitpunkt an lässt Franklin das Meer nicht mehr los und er erkämpft sich geduldig und mühsam seinen Weg in der Hierarchie einer Schiffsbesatzung nach oben.
Dabei bereitet er sich kontinuierlich auf das größte, von ihm lang herbeigesehnte Abenteuer seines Lebens vor: der Suche nach der berühmt-berüchtigten Nordwestpassage, die Europa auf dem nördlichen Seeweg mit Asien verbindet.

Dem Roman von Sten Nadolny gelingt es, die Langsamkeit zu einer wahrhaften Kunstform zu erheben. Dabei stört es keineswegs, dass der Autor dem historischen John Franklin, dem britischen Konteradmiral und Polarforscher, eine Behinderung andichtet, die dieser nach allgemeinem Wissensstand niemals hatte. In einer Sprache, die sich der Bedächtigkeit des Protagonisten angleicht, führt Nadolny den Leser durch eine Geschichte, deren anziehender Wirkung dieser sich nicht mehr entziehen kann. Dem Autor gelingt es dabei mit Leichtigkeit, den nautischen Fachjargon in die Handlung zu integrieren, so dass selbst ein maritim eher unerfahrener Leser niemals auf der Strecke bleibt. Durch den durchweg bedächtigen Erzählduktus blitzt häufig urplötzlich ein lebendiger Humor auf, der einen laut auflachen lässt. Hervorgerufen werden diese amüsanten Passagen vor allem durch die lakonische Ergebenheit, die John Franklin in späteren Jahren seines Lebens seiner Langsamkeit gegenüber an den Tag legt.

Nadolny erzählt in seinem Buch die Geschichte eines stillen Helden, dem es gelingt eine vermeintlich große Schwäche in unschlagbare Stärken zu verwandeln. Dem sich zur Schnelllebigkeit und Vorwärtsgerichtetheit entwickelnden Zeitgeist einer Epoche der großen Entdeckungen setzt die Hauptfigur des Romans sorgfältige Überlegungen, gründliches Lernen und detailreiche Genauigkeit entgegen. Mit diesen Eigenschaften 'bootet' (um im Bild zu bleiben) er geduldig ein ums andere Mal seine politischen Gegner aus und geht schließlich, einen ganz eigenen, zwar nicht geradlinigen aber dafür umso mehr ausgefüllten und individuellen Weg durchs Leben.

Leser, die nicht nur an guten Büchern interessiert sind, sondern auch das Wasser und schöne Geschichten darüber lieben, wird das Buch sehr lange, wenn nicht ein Leben lang, begleiten. Diejenigen, die bisher noch keine besondere Affinität zum Meer hatten, lernen es durch diesen wunderschönen Roman lieben. Absolut empfehlenswert!

Heike S. Verlinden



Taschenbuch | Erschienen: 1. April 1987 | ISBN: 9783492207003 | Preis: 10,00 Euro | 359 Seiten | Sprache: Deutsch

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