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 Aller Anfang

Die erste Liebe, das erste Lachen, der erste Traum und andere erste Male in der Bibel

Autoren: Meir Shalev
Übersetzer: Ruth Achlama
Verlag: Diogenes

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Für alles gibt es ein erstes Mal, und das gilt auch für die Heilige Schrift der Juden und Christen, die Bibel beziehungsweise das Alte Testament. Meir Shalev hat dieses Buch hinsichtlich der ersten Nennung gewisser Gefühle und Gefühlsäußerungen, Berufe und anderer wichtiger Aspekte des Lebens unter die Lupe genommen und zeigt auf, an welcher Stelle das Wort "Liebe" in der Bibel erstmalig fällt (Genesis 22,2), wo zuerst ein Tier genannt wird (gleich zu Anfang, nämlich Genesis 1,28), wann aus biblischer Sicht zum ersten – und übrigens auch letzten! - Mal gelacht wurde (Genesis 17,17-18) und vieles mehr. Meist werden auch weitere "Präzedenzfälle" angeführt, in denen die entsprechende Gefühlsregung, das Amt oder die Gegebenheit entweder gänzlich anders oder aber, wenngleich in einer völlig anderen personellen Konstellation, sehr ähnlich in Erscheinung tritt.

Liebe, Träume, Spione, Könige, Hass in der Bibel - das klingt nicht sehr spannend? Oh, doch! Wenn Meir Shalev die Bibel auf "erste Male" untersucht, erschließt sich das dem Leser mit monotheistischem Hintergrund vertraute "Buch der Bücher" auf ganz neue Art, und selbst Nicht- oder Andersgläubige können sich dem Zauber dieser vor- und frühantiken Erzählungen nicht ohne Weiteres entziehen, den der Autor erstehen lässt.
Dabei ist Meir Shalev alles andere als ein Frömmler. Er nimmt die biblischen Geschichten zwar ernst, so ernst, wie ein gläubiger Jude (oder Christ oder diesen Religionen gegenüber nicht negativ eingestellter Andersgläubiger) sie nehmen soll und kann, doch er widersetzt sich einer gefälligen Auslegung, einer Schönfärberei. Denn schön sind die Geschichten nicht alle, die er interpretiert. Da ist König David, ein Glückskind, von den Menschen geliebt und einziger Mann im Alten Testament, den eine Frau liebt – Michal, die Tochter von Davids königlichem Vorgänger Saul. Er liebt sie nicht, heiratet sie jedoch aus Staatsraison, flieht mit ihrer Hilfe vor dem jähzornigen und schizophren anmutenden Schwiegervater und fordert sie, wiederum lediglich aus Prestigegründen, nach Erhalt der Königswürde von dem Mann zurück, dem der Schwiegervater sie zwischenzeitlich zur Frau gegeben hat. Weinend geht dieser ihr nach, bis er streng von der Wache zurückgewiesen wird – das Weinen dieses ansonsten völlig unbekannten Paltiël ist zwar nicht das erste in der Bibel, aber zusammen mit dem Autor empfindet der Leser es als sehr stark.
Überhaupt vermag Shalev es, die zentralen Figuren der Bibel vor dem Leser sehr plastisch erstehen zu lassen. Er betrachtet sie psychologisch, nicht theologisch, und plötzlich erschließen sich dem gläubigen oder nichtgläubigen Leser Menschen aus Fleisch und Blut mit ihren Leidenschaften und Sehnsüchten, mit nicht erfüllten Hoffnungen, mit Visionen, liebend, hassend, Macht missbrauchend, in historischen Augenblicken in kleinliche Haltung verfallend.
Und dies ist der Nutzen, den der Leser aus "Aller Anfang" ziehen wird. Gewiss, der Informationswert ist nicht zu unterschätzen, aber letztlich macht das Menschliche, allzu Menschliche, von Autoren aus frühantiker Zeit in der zentralen Schriftensammlung ihrer Religion festgehalten, das Buch zu einem echten Leseerlebnis. Shalevs einfühlsame, doch ganz gewiss nicht unkritische Interpretation zeigt auf, wie Menschen im Angesicht großer Ereignisse reagieren: oft souverän, noch öfter unangemessen.
Es gelingt dem Autor zudem, ohne allzu hohen wissenschaftlichen Anspruch, einfach anhand der Einsicht in die Schrift, einen Eindruck vom Geschlechterverständnis des frühen Judentums, von der damaligen Gefühlswelt und der Beziehung zum sozialen Umfeld und der Umwelt zu vermitteln. Die Fallbeispiele zeigen die Norm und nicht selten auch das Abnorme auf, nicht zuletzt Jakobs Leidenschaft für Rahel: Liebe eines Mannes zu einer Frau in einer Zeit, in der eine Ehe eine Zweckgemeinschaft war und vor allem der Fortpflanzung diente.

Wenngleich Meir Shalev ein Gespür für diese dramatischen ersten sowie auch die zweiten und dritten Male hat, setzt er immer wieder spielerisch seinen Humor und Sprachwitz ein. Das Buch lebt ganz wesentlich vom Augenzwinkern des Autors, und wenn es einen Herrgott gibt, zwinkert dieser mit, denn anschaulicher, dramatischer, menschlicher und dazu origineller lässt sich die Bibel nicht erklären.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 26. Februar 2010 | ISBN: 9783257067484 | Originaltitel: Reschit - Pe'amin rischonot ba-Tanach | Preis: 22,90 Euro | 379 Seiten | Sprache: Deutsch

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