Nach "Altes Land" hat Bestseller-Autorin Dörte Hansen nun einen weiteren Roman vorgelegt, der in der norddeutschen Tiefebene spielt.
Brinkebüll ist das Heimatdorf von Dr. Ingwer Feddersen, einem Archäologen und Universitätsprofessor. Ingwer lebt seit langer Zeit in Kiel, kehrt jedoch an den Wochenenden ins Dorf zurück, um seinen Großeltern zu helfen, die ihn aufgezogen haben. Sönke und Ella Feddersen betreiben den Dorfgasthof, der mittlerweile nur noch ahnen lässt, wie es dort in besseren Zeiten zuging.

Sönke und Ella, mittlerweile über neunzig, benötigen Pflege, und Ingwer nimmt sich eine Auszeit, damit er sich um die beiden kümmern kann. Doch dann gerät die Rückkehr nach Brinkebüll auch zu einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und nicht zuletzt auch zum Versuch an einer längst überfälligen Bilanz seines Lebens.

Ein Sabbatical. An der Uni ist die Freude selbstverständlich nicht sehr groß, als der Archäologie-Professor Ingwer Feddersen sich für ein Jahr verabschieden möchte. Fort von Kiel, fort auch von der seit 25 Jahren bestehenden Wohngemeinschaft mit der Architektin Ragnhild, mit der er eine nicht definierbare Beziehung unterhält, und dem Lebenskünstler Claudius, der das auch tut.
Und zurück nach Brinkebüll, das fiktive Geestdorf in der Gegend von Husum. Brinkebüll hat sich im Lauf der Jahre sehr geändert. Im Grunde sind nur noch Ingwers Großeltern Sönke und Ella und ihr verstaubter Dorfgasthof von der alten Zeit vor der Flurbereinigung übrig, mit der die Umwälzung begonnen hat. In gewisser Weise auch für Marret, die etwas sonderliche Tochter der beiden, Weltuntergangsprophetin, die siebzehnjährig von einem der Flurbereinigungs-Ingenieure geschwängert und somit zu Ingwers Mutter wurde, dessen Aufzucht sie ihren Eltern überließ.
Dieses Sabbatical hat etwas von einer Flucht, die Ingwer vor sich selbst antritt. Aber eine Flucht war auch der Aufbruch nach Kiel zum Studium vor Jahrzehnten. Ingwer erkennt, dass er ankommen muss. Wo auch immer.

Herzerwärmend erzählt Dörte Hansen von den schrägen, doch immer irgendwie liebenswerten Originalen aus dem Dorf – im Grunde ist jeder Bewohner, jede Bewohnerin eines, von Kindesbeinen an -, von den seismischen Schwingungen unter den zur Schau getragenen angepassten Oberflächen und gelegentlichen Eruptionen, vom schleichenden Verschwinden des ursprünglichen Charakters des Dorfes. Der Wechsel zwischen eleganter und deftiger Sprache sowie kurzen Dialogen auf Platt trägt zur authentischen Wirkung des Romans bei, nicht zuletzt in der Hörbuchversion, die eindrucksvoll von Hannelore Hoger gesprochen und bisweilen sogar gesungen wird. Viel Gelegenheit bleibt dem Platt-Unkundigen freilich nicht, die Kurzdialoge wirklich zu verstehen. Das ist nun eben ein Nachteil des Mediums Hörbuchs.

Unaufgeregt wirkt der Roman, das Gegenteil von reißerisch; die Spannung entsteht eher subtil, fein dosiert und unter den erwähnten Oberflächen. Ironie bis hin zum Sarkasmus und gelegentliche Humor-Einlagen, die zum Schmunzeln einladen, dienen ebenso als Würze wie die liebevolle Auseinandersetzung mit dem Alter und dem Altern, sowohl am Beispiel von Ingwers beiden Pfleglingen als auch vom Dorf als solchem. Beschönigen im Sinne von Rosarotfärben oder reine Nostalgie sind indes nicht Dörte Hansens Ding. Wer aufmerksam hinhört, nimmt die Ecken und Kanten wahr, die unterschwelligen Kämpfe und ausdauernden Stellungskriege. Hansens Charaktere stehen klar und plastisch vor dem Hörer, sozusagen mit spitzer Feder und doch voller Zuneigung gezeichnet (Spitzweg grüßt!): Überflieger wie Ingwer, etwas Zurückgebliebene, die dennoch ihren Platz finden – wie Marret -, und alle dazwischen.

Eine intensive Erzählung, die in der Hörbuchversion mit Hannelore ganz besonderen Charme entwickelt.

Eine Hörprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.