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 Kurze Geschichte der Demokratie

Von Athen bis zur europäischen Union

Autoren: Luciano Canfora
Übersetzer: Rita Seuß
Verlag: Papyrossa Verlag

Cover
Gesamt +++--
Anspruch


Luciano Canforas "Kurze Geschichte der Demokratie" hat ja im Vorfeld für einiges Aufsehen gesorgt. Das neuste Werk des großen italienischen Altphilologen und Historikers, ursprünglich geschrieben für die Reihe "Europa bauen" (Herausgeber: Jaques Le Goff), sollte im C. H. Beck Verlag erscheinen, wurde dann aber abgelehnt und nach mehreren Querelen an den linken Papyrossa-Verlag weitergereicht.

Nun kann man sich also selbst nachlesen, was eigentlich so skandalös an diesem Buch sein soll. Canfora hat ein gewaltiges Projekt vorgelegt: Er behandelt die Geschichte der Demokratie seit der Antike, von der Demokratie im antiken Griechenland über den Zerfall der römischen Republik, von der Gründung der amerikanischen Republik bis zur Französischen Revolution, von dem Aufstieg des Liberalismus bis zum Zeitalter der Ideologien, als die Demokratie in den Faschismus des 20. Jahrhunderts mündete. Um bei einer solch enormen Zeitspanne den Blick für das Wesentliche zu schärfen, misst Canfora dabei die verschiedenen demokratischen Modelle mithilfe einer ganz einfachen Formel: Wie sehr waren in einem staatlichen Gebilde tatsächlich die Herrschaft des Volks, die Freiheit und Gleichheit aller Menschen verwirklicht? Wo herrschte Demokratie nur zum Schein, wo wurden Wahlen nur zur Beschwichtigung der Massen eingesetzt, ohne diese tatsächlich an den politischen Entscheidungen zu beteiligen?

Canfora vertritt hier freilich eine idealistische Demokratieauffassung, die radikaler und zugespitzter ist als in der klassischen Geschichtsschreibung. Entsprechend positiv kommen bei ihm die Französische Revolution und die russische Oktoberrevolution weg, während die antiken Demokratien eher zynisch kommentiert werden. Auch legt Canfora den Finger auf die wunden Stellen unserer heutigen Demokratien. Die reaktionären Tendenzen der deutschen Republik unter Adenauer werden ebenso offengelegt wie die Schwächen der italienischen und französischen Demokratien.

Was aber ist nun dran an den Vorwürfen des Beck-Verlags, Canfora habe in seinem Buch "stalinistische Geschichtsschreibung" betrieben? Ein Sturm im Wasserglas, will man meinen. Canfora beteiligt sich zwar nicht an der vereinfachenden Zeichnung Stalins als "Chefmonster"; er beschreibt ihn vielmehr als einen nüchternen, oft auch skrupellosen Machtpolitiker und lässt kein gutes Haar an den demokratischen Einschränkungen unter Stalin, die alle positiven Ansätze der jungen Sowjetunion erdrückten. In der Tat ist aber dieser zweite Teil des Buchs, der die beiden Weltkriege und die sich daraus ergebenden Herausforderungen für die Demokratie behandelt, der schwächere. Canfora schreibt hier oft etwas flapsig, rafft Fakten zusammen und verliert sein Thema gelegentlich aus den Augen. Einen Skandal mag man darin aber nicht erkennen; eher verblüfft Canforas Fähigkeit, geschichtliche Abläufe pointiert zusammenzufassen. Dass diese Zusammenfassungen oft dem historischen Mainstream zuwiderlaufen, ist eher eine Stärke des Buchs.

Als Einführung in die Geschichte der Demokratie ist Canforas Buch zu gespreizt; er verzettelt sich zu oft in Kleinigkeiten, und gern hätte man an manchen Stellen mehr über Demokratietheorien oder die demokratischen Ansätze in der Schweiz oder in Indien gelesen. Trotzdem ist die "kurze Geschichte" ein wichtiger Beitrag zur Debatte um Demokratie und Staatlichkeit, da Canfora den Blick für das Wesentliche - die Mechanismen von Herrschaft und Mitbestimmung - schärft und diese erstmalig in einen umfassenden historischen Kontext stellt. Für ideologisch Verblendete eine Herausforderung, für alle anderen absolut lesenswert!

Hagen Hoffmann



Hardcover | Erschienen: 01. Mai 2006 | ISBN: 9783894383503 | Originaltitel: La Demokrazia. Storia di un ídelogia | Preis: 34,90 Euro | 450 Seiten | Sprache: Deutsch

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