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 Ich klage an

Plädoyer für die Befreiung muslimischer Frauen

Autoren: Ayaan Hirsi Ali
Übersetzer: Anna Berger, Jonathan Krämer
Verlag: Piper

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Ayaan Hirsi Ali ist eine ehemalige Abgeordnete des niederländischen Parlaments, stammt ursprünglich jedoch aus Somalia, wo sie in einer streng muslimischen Familie aufwuchs. 1992, mit 24 Jahren, floh sie aus ihrer Heimat, um einer arrangierten Heirat mit einem Cousin in Kanada zu entgehen. Dadurch brach sie nicht nur mit ihrem Heimatland, sondern auch mit ihrer Familie und ihren Freunden. Seit Langem setzt sie sich für die Rechte muslimischer Frauen ein. Wegen ihres Einsatzes und ihrer Kritik am Islam gehört Hirsi Ali zu den meistgefährdetsten Personen der Niederlande.

"Ich klage an", erschienen 2004, ist eine Zusammenstellung von Essays und Artikeln, die sie zwischen 2002 und 2004 veröffentlichte, zum Teil in niederländischen Tageszeitungen wie Trouw oder dem NRC Handelsblaad.
Angesprochen werden verschiedene Themen, im Vordergrund steht jedoch die Unterdrückung von Frauen in der muslimischen Gesellschaft, insbesondere auch die genitale Verstümmlung junger Mädchen.
Das Thema ist brisant, ist der Islam mit 1,3 Milliarden Anhängern doch die zweitgrößte Religion der Welt. Doch im Gegensatz zum Christentum bestimmt in islamischen Ländern die Religion den gesamten Tagesablauf, das Zusammenleben der Familie und der Gesellschaft, sogar das politische Handeln des Staates, und während im Westen längst eine Säkularisation stattfand, sind in islamischen Ländern Religion und Staat eng verknüpft. Eindringlich führt die Autorin dem Leser die Probleme der islamischen Gesellschaft vor Augen, beschreibt Zustände, die uns hier im Westen mittelalterlich und grausam vorkommen müssen. Außerdem erzählt sie von ihrer eigenen Leidensgeschichte, vom Aufwachsen in einer gläubigen Familie in Afrika, von einer Flucht ins Ungewisse.
Oft ist man als Leser schockiert und empört von dem Beschriebenen, wenn man vom Unrecht liest, das jungen Frauen - auch in den Niederlanden - tagtäglich zustößt. Zum Beispiel wird da von Mädchen berichtet, die in eine Heirat mit einem Wildfremden gezwungen werden, der sie dann möglicherweise schlägt und vergewaltigt. Aus der Ehe können sie kaum flüchten, ohne Familie und Heimat aufzugeben, sich verstecken und Schutz suchen zu müssen, haben sie doch die Ehre ihrer Familie "beschmutzt".
In anderen Essays hingegen betrachtet die Autorin ihre Religion ganz nüchtern und spricht davon, wie notwendig Reformen sind, zum Beispiel unter der Überschrift "Lasst uns nicht im Stich - schenkt uns einen Voltaire".
Hier stellt sie fest, wie wichtig es für den Islam ist, einen Reformations- und Aufklärungsprozess in Gang zu setzen, wie er im Christentum im vorigen Jahrtausend stattgefunden hat. Sie weist auf die Probleme der islamischen Gesellschaft hin, erklärt, wie diese von ihren eigenen Traditionen gefesselt ist.
In "Unvereinbare Normen - Integration als Initiation in die Moderne" hingegen geht es mehr um Muslime, die in die Niederlande einwandern, sich aber der Gesellschaft dort nicht anpassen wollen oder können. Die Autorin hinterfragt hier auch die Maßnahmen der Regierung betreffs der resultierenden Probleme. Dabei wendet sie sich auch anderen Autoren und Philosophen zu, die sich mit der Thematik beschäftigt haben: Sie erläutert deren Thesen und kommentiert diese. Im Kontrast dazu stehen die Erzählungen, in denen die Autorin ihre eigenen Erfahrungen darlegt, zum Beispiel als Dolmetscherin für Somalierinnen in den Niederlanden.
Durch das Verweben von nüchternen Studien und oft traurigen Lebensgeschichten muslimischer Frauen entsteht eine faszinierende Lektüre. Sie gibt einen Einblick in eine andere Welt, in der Frauen sich dem Mann unterzuordnen haben und nur verschleiert auf die Straße dürfen, in der Ehebruch mit hundert Schlägen geahndet wird und die Zerstörung der Familienehre das schlimmste Verbrechen darstellt. Zugleich spricht Hirsi Ali Lösungsmöglichkeiten an, erklärt, wie sich der Westen ihrer Ansicht nach gegenüber dem Islam verhalten sollte, um diesem zu helfen, sich selbst zu reformieren, und was falsch gemacht wird.
Trotzdem verteufelt Hirsi Ali ihre eigene Kultur nicht, sondern erkennt auch die guten Grundsätze des Islam an. Schließlich sieht sie sich auch selbst als Muslima und noch immer mit dem Islam verhaftet.
Es wird allerdings dargestellt, wie sehr sich die muslimische Gesellschaft selbst schädigt, indem sie an Jahrhunderte alten Gesetzen festhält und die Hälfte der Bevölkerung sich nicht frei entwickeln lässt.

Lesen lässt sich das Buch recht flüssig, bis auf einige Abschnitte, in denen sich die Autorin sehr ausführlich mit den Theorien fremder Philosophen und Soziologen auseinandersetzt und die dann eher langatmig und vor allem trocken wirken.
Wie schon im Untertitel deutlich gemacht, handelt es sich hier außerdem um ein Plädoyer; man sollte also nicht zu sehr erwarten, dass sich die Autorin auch auf gegensätzliche Blickwinkel konzentriert. Trotzdem spricht sie diese auf jeden Fall an und geht auch auf fremde Ansichten ein.
Wirklich lesenswert machen das Buch alles in allem jedoch die sehr lebensnahen Erfahrungsberichte, die einem die Sorgen und Nöte anderer auf äußerst eindringliche Weise vor Augen führen.


Kathi Wenz



Taschenbuch | Erschienen: 01. August 2006 | ISBN: 9783492247917 | Originaltitel: De maagdenkooi | Preis: 7,95 Euro | 213 Seiten | Sprache: Deutsch

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