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 Das Auge von Tibet

Autoren: Eliot Pattison
Übersetzer: Thomas Haufschild
Verlag: Aufbau Verlag

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


"Das Auge von Tibet" ist der zweite Teil der Krimireihe um den chinesischen Ex-Ermittler Shan Tao Yan, geschrieben von Eliot Pattison. Am Ende des ersten Teils "Der fremde Tibeter" gelangte Shan in ein geheimes Kloster, traf dort den Mönch Lokesh wieder, den er aus dem Gulag befreit hatte, und machte die Bekanntschaft des Lamas Gendun.

"Das Auge von Tibet" beginnt mit einer Bitte, die Lokesh an Shan richtet: Weit im Norden sei eine Lehrerin ermordet worden, außerdem ist ein Lama verschwunden. Shan kann sich zunächst keinen Reim auf diese Ereignisse machen und versteht nicht, warum Lokesh und die anderen Mönche so beunruhigt darüber sind. Gemeinsam mit Gendun und Lokesh macht er sich jedoch auf den Weg in die Provinz Xinjiang. Dort trifft er auf Nomaden, die ihr Leben und ihre Kultur auf Pferde aufgebaut haben, und auf kasachische und uigurische Widerstandskämpfer, die den tibetischen Dissidenten ähnlich sind. Wie er bald in Erfahrung bringt, wurde Lau, die ermordete Lehrerin, vor ihrem Tod gefoltert. Welche Geheimnisse hatte die harmlose Frau? Und warum haben die chinesischen Behörden offiziell verlauten lassen, sie sei bei einem Unfall ertrunken? Welche Rolle spielt die Anklägerin Xu, die aufgrund ihrer Härte nur als die "Jadehure" bekannt ist? Über die Ermittlungen um Lau und den verschwundenen Lama bricht bald etwas noch weitaus Schrecklicheres herein: Jemand ermordet gezielt Kinder - und alle Jungen waren Waisenkinder und Schüler von Lau. Hinter den Morden stecken schließlich weitaus größere Dinge, als Shan je vermutet hätte.

Die Tibet-Krimis von Eliot Pattison sind keine klassischen Krimis, in denen ein oder mehrere Morde passieren, die dann mithilfe von Indizien und Zeugenbefragungen aufgeklärt werden. Wie bereits bei "Der fremde Tibeter" zieht die Handlung den Leser in hundert verschiedene Richtungen und ist von hoher Komplexität. "Das Auge von Tibet" ist aber zum Glück etwas weniger kryptisch als sein Vorgänger, so dass man der Geschichte mit einiger Konzentration sehr gut folgen kann.
Diesmal geht es nicht um die Tibeter in den Lao gais, den Zwangsarbeitslagern, und um die chinesischen Besatzer, sondern Pattison hat die turksprachigen Minderheiten in den Mittelpunkt seiner Erzählung gerückt. Die Handlung zieht ihre Komplexität vor allem aus den vielen verschiedenen Motiven, die ihre Figuren vorantreibt. Während China teils politische, teils wirtschaftliche Interessen verfolgt, stehen die kasachischen Nomaden vor den Trümmern ihrer Existenz, denn ihr Besitz und ihre Herden sollen dem System einverleibt, ihre Clans aufgelöst werden. Shan wiederum ist hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, die Wahrheit über Lau und die toten Kinder herauszufinden und seiner Pflicht, Gendun und Lokesh, die er beide achtet und liebt, zu beschützen. Ebenso wie Shan müssen die Mönche aufgrund ihres illegalen Status ständig mit der Entdeckung durch die Behörden der Öffentlichen Sicherheit rechnen. Und als Chinese unter Tibetern stößt Shan, der selbst jahrelang in einem Lao gai inhaftiert war, bei seinen Ermittlungen häufig auf Ablehnung und Hass.
Wie in den anderen Bänden der Serie fasziniert der Autor auch hier durch seine präzisen, detaillierten Schilderungen von Land und Leuten, von Kultur, Religion, Historie und Politik.
Ermordete Kinder sind ein schreckliches Thema, auch innerhalb eines Krimis, und gerade gegen Ende, wenn alle Fäden endlich zusammengeführt werden, ist Pattisons Roman so schmerzhaft, dass man sich als Leser kurz fragt, wie viel Leid die Romanfiguren noch ertragen können.

Faszinierend und komplex, sprachgewaltig, spirituell und herzzerreißend: Mit "Das Auge von Tibet" hat Eliot Pattison ein fantastisches Buch voller charismatischer Figuren geschaffen, das scharfe Kritik an den aktuellen Lebensumständen übt, die China den von ihm besetzten Ländern aufzwingt. Geduld und Konzentration des Lesers werden vor allem durch das dramatische und gut durchdachte Ende, das alle Handlungen und Anspielungen zusammenführt, belohnt. Am Ende des Buches gibt es zum besseren Verständnis wie immer ein Glossar der tibetischen und turksprachigen Begriffe.

Christina Liebeck



Taschenbuch | Erschienen: 01. September 2003 | ISBN: 9783746619842 | Originaltitel: Water touching Stone | Preis: 10,00 Euro | 697 Seiten | Sprache: Deutsch

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