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 Der Untergang des Römischen Reiches und das Ende der Zivilisation


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Jahrhundertelang hat kaum ein gebildeter Europäer bezweifelt, dass das Ende des weströmischen Reiches die größte Katastrophe war, die jemals das Abendland heimgesucht hat.

Wie der britische Archäologe und Historiker Bryan Ward-Perkins bereits in der Einleitung ausführt, ist es allerdings in den letzten Jahrzehnten unter Historikern zu einem Umdenken gekommen: Es scheint Mode geworden zu sein, den Untergang der römischen Zivilisation zu einem freundlichen "Übergang” zu stilisieren, die Zeit von circa 250 bis 800 entgegen der gängigen Epocheneinteilung als "Spätantike" zu deklarieren und das Zivilisationsgefälle zwischen Antike und Mittelalter zu relativieren.

Ward-Perkins unterzieht dieses Geschichtsbild einer umfassenden Kritik. Gestützt sowohl auf archäologische als auch auf literarische Quellen entwickelt er folgende Thesen:

Erstens: Die germanischen Invasionen waren Plünderungsfeldzüge von äußerster Brutalität.

Zweitens: Der Zusammenbruch des weströmischen Reiches war das unmittelbare Ergebnis dieser Plünderungen, da sie nach und nach die Provinzen zerstörten, auf deren Steuern das Reich zur Erhaltung seiner Armee - und damit letztlich seiner selbst - angewiesen war.

Drittens: Der Untergang Westroms bedeutete das Ende der Zivilisation überhaupt. Während des fünften Jahrhunderts verschwanden auf dem Gebiet des weströmischen Reiches alle Güter, deren Produktion von einem komplexen System gesellschaftlicher Arbeitsteilung abhängt - von hochwertigem Essgeschirr bis zur Philosophie, vom Ziegeldach bis zur Kanalisation, von der Kupfermünze bis zur öffentlichen Sicherheit. Die Wirtschaft zerfiel in kleinräumige Einheiten bis hin zur Subsistenz- und Tauschwirtschaft. Der Lebensstandard gerade armer Menschen fiel auf vorantikes Niveau.


Obwohl diese Befunde eindeutig sind, konnte in den letzten Jahrzehnten ein Paradigma Raum gewinnen, vielleicht sogar vorherrschend werden, das etwas ganz Anderes nahelegt, und in dessen Kontext das Ende Roms eher einen wertneutralen Wandel als einen Verfall bedeutet. Ward-Perkins führt hierfür mehrere Gründe an, die alle etwas mit den politisch-ideologischen Trends der Nachkriegszeit zu tun haben: Insbesondere sind für eine "postmoderne”, "postmaterialistische” Gesellschaft politik-, wirtschafts- oder gar militärgeschichtliche Fragen offenbar weniger interessant als die "weiche” Religions- und Kulturgeschichte. Darüber hinaus haben wir es mit den Auswirkungen einer kulturrelativistischen Denkweise zu tun, die prinzipiell von der Gleichwertigkeit aller Kulturen ausgeht und das Wort "Zivilisation” auf keinen Fall im wertenden Sinne verwenden will, wenn überhaupt also nur im Plural (Zivilisationen) und auf keinen Fall als Unterschied und Gegensatz zur Barbarei.

Ward-Perkins warnt zum Schluss seines Buches dringend vor den Konsequenzen eines solchen Geschichtsbildes, da es dazu verleiten könne, Gefahren für die eigene hochkomplexe Gesellschaft zu übersehen.

Sein Werk besticht durch die Konsequenz, Anschaulichkeit und Präzision, mit denen er die strukturellen Voraussetzungen komplexer Zivilisation, keineswegs nur der Antike, herausarbeitet; durch die überzeugende Darstellung der Dynamik des römischen Niedergangs; durch die Gründlichkeit, mit der er gerade die archäologischen Befunde heranzieht, die sonst oft zugunsten literarischer Quellen vernachlässigt werden und durch den typisch angelsächsischen leichtfüßigen Stil, der sein Werk zu einer ebenso unterhaltsamen wie informativen Lektüre macht - auch und gerade für Leser, die keine Historiker und schon gar keine Spezialisten für die spätrömische oder frühmittelalterliche Epoche sind. Eine gute Allgemeinbildung genügt zum Verständnis vollkommen.

Er erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Darstellung aller Entwicklungen zu liefern, die zum Zusammenbruch des Römischen Reiches führten oder aus ihm resultierten. Vielmehr wendet er sich - ohne den Begriff selbst zu verwenden - gegen eine "political correctness", die den qualitativen Unterschied zwischen komplexen und primitiven Gesellschaften grundsätzlich ausblendet.

Manfred Kleine-Hartlage



Hardcover | Erschienen: 01. Mai 2007 | ISBN: 9783806220834 | Originaltitel: The Fall of Rome and the End of Civilization | Preis: 29,90 Euro | 240 Seiten | Sprache: Deutsch

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