Einmal im Jahr begeben sich die Tiere der Serengeti auf eine Wanderung. Sie ziehen vom Süden Kenias bis weit nach Tansania hinein. Fast zwei Millionen Tiere sind es, die sich zu neuen Nahrungsgründen aufmachen - Gnus, Zebras und Antilopen, denen Löwen, Geier und Leoparden folgen. Krokodile lauern in den Flüssen, die überquert werden müssen, und machen die Reise, neben Hunger und Erschöpfung, anstrengend und gefährlich. Viele Tiere kommen dabei um. Aber die Natur sorgt dafür, dass immer wieder die entsprechende Anzahl von Jungtieren auf der Reise geboren wird und füllt so die entstandene Lücke wieder auf. "Endloses Land" heißt Serengeti in der Massai-Sprache und immer wieder vollzieht sich der Kreislauf des Lebens in diesem auf der Welt einzigartigen, intakten Ökosystem mit den unterschiedlichsten Lebensräumen und einer einmaligen Vielfalt an Wildtieren.

Die indischstämmigen Brüder Anup und Manoj Shah, die in Kenia geboren wurden, folgten ein Jahr lang dieser einmaligen Migration durch die Savanne auf der Spur des Wassers. Sie haben die Reise im vorliegenden Band in Fotos und Texten dokumentiert. Ein spannender Naturführer und interessantes Reisetagebuch ist so entstanden. Ausgehend vom Ol Doinyo Lengai, einem Vulkan im Ngorongoro-Schutzgebiet, zeigen die faszinierenden Fotos von Wetterphänomenen, Landschaften und Tieren das Leben in der Savanne ohne jede Sentimentalität: fressen und gefressen werden, Geburt und Tod, das Leben miteinander und den Kampf gegeneinander. Bis sich der Kreis am Ol Doinyo Lengai schließt. Tag für Tag kann der Leser diesem Zug des Lebens folgen, denn jedem Tag des Jahres ist eine ganze Doppelseite gewidmet, mehr als 365 Fotos auf 744 Seiten bekommt man geboten.

Wildnis Afrika ist ein kompakter Dreipfünder für die tägliche Dosis Afrika. Das Thema, einer Tierwanderung ein Jahr lang zu folgen, bietet sich für die Serie Tag für Tag geradezu an. Das Buch enthält zahlreiche überwältigende Aufnahmen von den wildlebenden Tieren in der Serengeti. Bei über 365 Aufnahmen ist nicht jedes Foto ein Meisterwerk. Aber gerade die auf den ersten Blick unspektakulär wirkenden Bilder entfalten bei näherer Betrachtung nachträglich ihren Reiz. Einige Aufnahmen sind von berückender Schöhnheit. Das Buch besticht durch seine Vielfalt und den Querschnitt der gezeigten Aufnahmen. Dies bezieht sich sowohl auf Motive als auch auf die Bildgestaltung, gezeigt werden weite Landschaften, Porträts und Makroaufnahmen, die Tiere werden im Rudel, auf der Jagd, beim Fressen oder mit ihren Jungen dargestellt oder einfach nur, wie sie sich die Nässe aus dem Fell schütteln. Das Besondere findet Platz neben dem Alltäglichen.

Auch das Standard-Afrika-Repertoire wird geboten: Afrika rot-gold, Silhouetten und die einsame Giraffe in der weiten Savannenebene. Aber eben durch die gute Mischung der Aufnahmen wirkt es nicht kitschig und langweilig. Man bekommt einen Einblick in den wahren Geist dieser Wildnis und es hat schon etwas beunruhigend Archaisches direkt in den aufgerissen Rachen einer Hyäne zu blicken, aber dann gibt es auch wieder die Bilder, auf denen sich Tiermütter sorgfältig um ihre Jungen kümmern. Einige der Fotos sind geradezu verblüffend erheiternd, etwa die Tierschnauze in Nahaufnahme, die fast das ganze Bild einnimmt, oder die Tupfen eines Gepardenfelles, auf dem ein kleiner Käfer kriecht. Keins der Fotos wurde nachträglich elektronisch bearbeitet. Auch die grafische Gestaltung des Buches insgesamt ist gelungen.

Bleibt, den beiden Fotografen zu bescheinigen, dass sie wahre Meister der Tier- und Naturfotografie sind und eine sehr gute Kenntnis und intime Vertrautheit mit den wildlebenden Tiere der afrikanischen Savanne besitzen. Das Gleiche gilt für die Texte, welche die Aufnahmen und die gezeigten Tiere gut beschreiben und gleichzeitig Zeugnis von der Reise der beiden Fotografen ablegen. Wünschen würde man sich nur, dass der Druck der Qualität der Fotos Rechnung tragen würde, denn diese Aufnahmen haben eine bessere Brillanz und Farbintensität und eine höhere Papierqualität verdient. Aber das würde dann wahrscheinlich zu Lasten des Preises gehen.