Kaum ein Thema kann die Gemüter in der Europapolitik so gut erhitzen wie die Debatte um den Türkeibeitritt. Sollte man die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden lassen? Könnte die Türkei überhaupt ein Teil Europas sein? Denn auf einmal kam die Frage auf, was es brauche, um Europäer zu sein. Oft wurde dieses Thema in den Medien diskutiert - und leider nicht immer sachlich-objektiv oder gar kenntnisreich.
Diese Lücke möchte nun zumindest für den Zeitraum November/Dezember 2002 das Buch "Europa am Bosporus (er-)finden?" von den Autoren Roberta Carnevale, Stefan Ihrig und Christian Weiß schließen. Die Publikation wurde im Rahmen des Studienkollegs zu Berlin verfasst und beschäftigt sich mit Tageszeitungen aus England, Deutschland, Frankreich und Italien.

Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel. Zunächst wird in einer Einleitung die Arbeit und die Diskussion um den Türkeibeitritt vorgestellt. Leser sollten sich an dieser Stelle nicht verwirren lassen: Auch wenn die Einleitung als erstes Kapitel gekennzeichnet ist, beginnen die Autoren erst ab dem eigentlichen Hauptteil mit ihrer Zählung. Das dritte Kapitel ist in der Einleitung folglich das zweite und so weiter.
Im zweiten Kapitel wird die Fragestellung noch einmal präzise vorgestellt und das Instrument der Presseanalyse kritisch hinterfragt.
Danach folgen zunächst die nötigen Hintergrundinformationen zum Beitrittsverfahren der Türkei und eine kurze Darstellung der Berichterstattung über die Türkei in den Medien, bevor im eigentlichen Hauptteil die Argumente für und wider einen Beitritt präsentiert und untersucht werden. Die Argumente werden dabei thematisch in Unterkapitel eingeteilt und nicht etwa nach Ländern sortiert. Einige der Themen sind dabei Religion, Ökonomie und Geographie.
Nach dem obligatorischen Fazit folgen noch vier mit Korrespondenten europäischer Zeitungen in Istanbul geführte Interviews. Dies ist natürlich ein sehr interessanter Einblick in die Gedankenwelten der Berichterstatter vor Ort und hebt dieses Buch angenehm von thematisch ähnlichen Werken ab.
Abgeschlossen wird das Buch mit kurzen Zusammenfassungen in Englisch, Französisch, Italienisch und Türkisch - wer nur des Deutschen mächtig ist, sollte schon das ganze Buch, zumindest aber das Fazit in Kapitel sechs lesen.

Ein interessantes Buch zu einem wichtigen und immer noch sehr aktuellem Thema. Interessieren dürfte es die unterschiedlichsten Fachrichtungen, die sich mit diesem Thema befassen, wie Historiker oder Soziologen. Das nach Zeitungen sortierte Literaturverzeichnis und die ausführlichen Fußnoten dürften zudem das weitere Arbeiten mit dem Buch erleichtern.
Die sogenannten "interessierten Leser" dürfte das Thema sicher auch ansprechen. Allerdings kommt ihnen der Text nicht gerade entgegen. Der Stil wirkt oft etwas hölzern und sperrig, wenn auch auf den exzessiven Gebrauch von Fachsprache verzichtet wurde. Hier dürfte zugute kommen, dass die drei Autoren aus jeweils anderen Fachrichtungen kommen.

Wer sich im Rahmen der Wissenschaft oder seiner Arbeit mit der Debatte um den Türkeibeitritt beschäftigt, sollte unbedingt zu dem Buch greifen. Denn auch wenn sich der Zeitraum auf November/Dezember 2002 beschränkt, finden sich viele Argumente wieder, die auch vor und nach dem Beobachtungszeitraum in der Presse diskutiert wurden.
Allen anderen sei gesagt, dass dieses Buch nicht immer leicht zu lesen sein mag und es hier auch nicht um literarische Qualitäten geht - trotzdem ist es ein interessanter Text geworden, der es vielleicht schafft, etwas Klarheit in die Debatte zu bringen.