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Die Internationalen Spieltage 2011 in Essen

Was für die einen der Jahresurlaub auf Teneriffa ist für die anderen ein Besuch auf der alljährlich stattfindenden Messe SPIEL, den Internationalen Spieltagen in Essen – danach hat man genauso viel Geld ausgegeben, ist jedoch erst recht urlaubsreif. Dafür nimmt man umso mehr schöne und vor allem handfeste Erinnerungen mit nach Hause.

[PIC]Nicht nur für die Spieler, sondern für die ganze Branche ist die Messe in Essen das größte internationale Ereignis im gesamten Geschäftsjahr. Hier wird gemeinsam entschieden, welches die erfolgreichsten Trends und besten Spiele des nächsten Jahres sein werden. Es darf bezweifelt werden, dass beliebte Spiele wie "Dominion" oder das jüngst mit dem Deutschen Spielepreis 2011 ausgezeichnete "7 Wonders" ohne die Aufmerksamkeit, die sie in den vergangenen Jahren auf der Messe erfuhren, auch jenseits der Gemeinde der Hobby-Spieler so populär geworden wären.

Ein Titel mit Massenappeal scheint dieses Jahr jedoch zu fehlen – was nicht heißen soll, dass das Angebot an Neuheiten schlecht gewesen ist. Mit fast 800 Neuerscheinungen stellte die Messe sogar einmal mehr einen neuen Rekord auf – und da lässt sich garantiert für jeden Geschmack etwas finden. Die großen Verlage wie Ravensburger oder Mattel setzen dabei auf elektronische Innovationen mit Spielen wie "Das Elektronik Labyrinth" oder "Loopz" (vielleicht aus Angst davor, den Anschluss an die allgegenwärtige Unterhaltungskonkurrenz der Videospiele zu verlieren). Verlage für Hobbyspieler wie Lookout Games versuchen, mit neuen Titeln namhafter Autoren ("Ora et Labora" von Uwe Rosenberg) oder mit Neuauflagen von Spieleklassikern ("1830" von Francis Tresham) zu punkten. Große Vertriebe wie Pegasus oder der Heidelberger Spieleverlag setzen auf eine Mischung aus Erweiterungen ("Civilization: The Board Game – Fame and Fortune"), Partyspielen ("Pictomania") und aufpolierten, internationalen Neuheiten ("Gears of War: The Board Game"). Und Kleinstverlage aus der ganzen Welt hoffen, die Messebesucher für das eine Spiel zu begeistern, das sie extra rechtzeitig zur Messe produziert haben und dort als einziges vorstellen. Sie alle hoffen, nicht auf Dutzenden von unverkauften Schachteln sitzen zu bleiben.

[PIC]Wie im letzten Jahr lagen auch diesmal wieder Produktionsschwierigkeiten als dunkler Schatten über der Veranstaltung. Nachdem Anfang des Jahres das Unternehmen Scheer, einer der wichtigsten Hersteller von Spielmaterial in Deutschland, Insolvenz anmeldete, machten sich die Produktionsengpässe deutlich bemerkbar. So konnte man wie schon im letzten Jahr einige Titel auf der Messe nur als Demo anspielen, jedoch nicht kaufen. Andere Verlage haben nun mit unsauber produziertem Material zu kämpfen und müssen den verärgerten Käufern teuren Ersatz beschaffen. So wirkt sich die Wirtschaftskrise zumindest indirekt auf die ansonsten bemerkenswert beständige Spielebranche aus.

Doch dies wird nur am Rande der Messe getuschelt, offenbart sich nur im persönlichen Gespräch mit Verlagsvertretern, Hobbyspielern und Autoren. Im Endeffekt mindert jedoch nichts die Aufregung, über das große Messegelände zu schlendern, alte Bekannte zu treffen, die bizarr verkleideten Besucher anzuglotzen, jede Menge Spiele auszuprobieren und hemmungslos Geld auszugeben. Von Teneriffa bleiben schließlich nur ein paar Urlaubsfotos, von Essen dagegen Hunderte Stunden Spielspaß – und die halten genau bis zur nächsten Messe.

[PIC]Auch nach vier Messetagen ist schwer zu sagen, welche der Veröffentlichungen auch in zwei oder drei Jahren noch regelmäßig auf den Tisch kommen werden, ohne von aktuelleren Titeln abgelöst zu werden. Auf der Messe selbst spielt man schließlich meist nur einige Spielzüge oder Runden, bevor man den Rundgang über das Gelände auf der Suche nach dem nächsten freien Demo-Tisch fortsetzt. Im Folgenden seien deswegen Eindrücke zu allen Einzeltiteln aufgelistet, die während der Messetage (und auch danach) gewonnen werden konnten.

Jedes Jahr bringt der Hans im Glück-Verlag mindestens ein Spiel unter die Leute, das durch seine Mischung aus einfachen Regeln und taktischer Tiefe besticht. Noch vor wenigen Jahren hatte der Verlag mit "Stone Age – Das Ziel ist dein Weg" dabei einen riesigen Erfolg – kein Wunder, dass das Spiel nun mit einer Erweiterung namens "Mit Stil zum Ziel" ausgestattet wurde. Diesen Erfolg möglichst wiederholen soll die Neuheit "Hawaii" (ohne dämlichen Untertitel) von Newcomer Greg Daigle. Auch hier baut man das eigene Dorf mit Hütten und allerlei Zeugs aus. Jedoch sind wir hier natürlich nicht in der Steinzeit, deswegen muss das alles mit Geld bezahlt werden … na okay, mit Muscheln und Früchten, aber der Dollar steht halt aktuell nicht so gut. So versetzt man den eigenen Stammesführer auf der pazifischen Insel (was übrigens mit Füßen bezahlt wird und keinen weiteren ironischen Kommentar mehr nötig hat) und kauft sich Plättchen, die verschiedene Vorteile und Punkte liefern. Das ist recht schnell gelernt, spielt sich flüssig und bietet angenehm viele Möglichkeiten, kurzum: Es tut dem Vielspieler nicht weh, macht ihn aber auch nicht wirklich satt. Ob dem Spiel der Erfolg von "Stone Age" oder "Sankt Petersburg" beschieden ist, muss sich erst zeigen.

[PIC]An Hardcore-Zocker mit Mittelalter-Fetisch richtet sich das kryptisch betitelte "MIL (1049)" vom Verlag HomoLudicus, in dem man die Ländereien von Rittern verwaltet, die Recken auf den Spielplan schickt, sich die Ritter der Gegner zu Vasallen macht und bei jedem Würfelwurf hofft und betet, dass es doch diesmal einen männlichen Erben für Sir Waldemar gibt, bevor dieser das zeitliche segnet und nur eine Horde Jungfrauen bis zum Spielende in der Turmstube rum hockt. Das Spiel bringt zwar einige interessante interaktive Elemente auf den Tisch, da man sich gegenseitig angreifen und unterjochen kann, jedoch ist alles so zerregelt, so sehr mit Sonderregeln und Ausnahmen versehen, dass der Einstieg keinen wirklichen Spaß macht.

Viel direkter erscheint dabei das nicht minder merkwürdig betitelte "Upon a Salty Ocean" von Giochix.it, das sich um Bootsbau, Fischfang und -vermarktung dreht. Man baut Gebäude und Schiffe, füllt letztere bis zum Rand mit Salz und schickt sie auf's Meer, um dort Makrelen und Heringe zu fangen, die dann in der Stadt zu möglichst hohen Preisen verkauft werden sollen. Kostet natürlich fast alles Geld – nur braucht man das meiste Geld, um zu gewinnen. Eigentlich ein gutes Spiel, das durch die knochentrockene Präsentation und Mechanik ein bisschen versalzen wird.

Selbst die abstrakten Spiele sehnen sich nach Strand und Meer, so auch die Selbstveröffentlichung "Moeraki – Kemu" von Stefan Kiehl, die man in der deprimierend schlecht besuchten Halle 7 des Messegeländes ausprobieren konnte. Es bedarf freilich eines enormen Abstraktionsvermögens, um in den weißen und schwarzen Kugeln zwei sich kabbelnde Maori-Stämme wiederzuerkennen. Und es bedarf einer außergewöhnlichen Geduld, sich angesichts des simplen Kugellegens, das wie eine überlange Tic Tac Toe-Partie anmutet, nicht zu Tode zu langweilen.

Immerhin wurde "Moeraki – Kemu" wirklich schön gestaltet – was man von "2019: The Arctic" des polnischen Verlags SINONIS nicht behaupten kann; da echauffiert sich sogar der Autor selbst über die Hässlichkeit der Farben und Figuren, die produziert wurden. Das Spiel selbst macht dafür einen ordentlichen Eindruck, erinnert sogar angenehm an das großartige "Imperial". Diesmal prügeln sich die Nationen der nahen Zukunft um die letzten großen Ressourcenvorkommen in der schmelzenden Arktis – und die Spieler stellen dabei schmierige Lobbyisten dar, die sie dabei lenken. Die ersten Spielrunden wirken vielversprechend, jedoch muss sich erst über den Verlauf einer gesamten Partie zeigen, ob das Spiel wirklich etwas taugt.

Ganz anders schaut das bei "Eclipse" aus, das aus Finnland, einem noch weißen Fleck auf der Spielelandkarte, stammt, durch Asmodee vertrieben wird und mit seinem eleganten Design sofort begeistert. Wer den Weltraum erobern will spielt natürlich "Twilight Imperium" – vorausgesetzt, man kann fünf Gleichgesinnte für 14 Stunden an einem Ort versammeln. Wenn man nicht ganz so viel Zeit hat, wird "Eclipse" daher zur echten Alternative. Erkunden, forschen, entwickeln, kämpfen – es ist alles mit drin, und man kann nebenbei sogar die eigenen Raumschiffe ausbauen, fast wie in "Galaxy Trucker". Fieserweise wurde aus dem Must Have bereits am Donnerstag der Messe ein Can't Have, schließlich waren die wenigen Exemplare des Spiels ratzefatz ausverkauft.

[PIC]Als kleiner Trost dafür diente "Trajan" von Stefan Feld, von dem am Stand von Ammonit Spiele noch genug Exemplare übrig waren. Zugegeben, das Thema Rom bringt aktuell selbst den passioniertesten Hobby-Historiker zum Gähnen, aber dies ist ja schließlich ein Feld-Spiel, da macht es keinen Unterschied, ob man die römische Kultur entwickelt oder eine Kette von Dessous-Läden. Übrig bleibt bei "Trajan" ohnehin nur ein sehr spannender Grundmechanismus, der wie ein kleines Logikrätsel funktioniert, und die ungefähr zwei Tonnen an verschiedenen Optionen und Strategien, die man im Verlauf des Spiels ausprobieren kann. Sauber!

Erwähnten wir gerade Dessous-Läden? Beim Thema Mode überschlagen sich die größtenteils männlichen Hobby-Spieler sicherlich nicht gerade vor Begeisterung (ein T-Shirt mit dem Spruch "Elfen haben doofe Ohren" gilt dort bereits als Haute Culture). So gesehen kann man vor dem Mut des polnischen Autors Ignacy Trzewiczek nur den fabulösen Hut ziehen, denn in seinem Spiel "Prêt-à-Porter" geht es um die kunterbunte und nebenbei knallharte Welt der Modebranche. Da ist das Geld knapp, die Aktionen rar und die Konkurrenz nicht am Schlafen. Angesichts des guten Spiels sollte man daher ausnahmsweise mal dem Thema eine Chance geben.

[PIC]Was für Spieler natürlich immer geht, ist Fantasy. Und endlich gibt es neben Mittelerde, Warhammer, Dungeons & Dragons und Co. auch ein brauchbares Spiel zu Terry Pratchetts genialer Scheibenwelt. Das Spiel "Scheibenwelt: Ankh-Morpork" von Martin Wallace im Vertrieb vom Kosmos-Verlag integriert all die beliebten Figuren der Romane, ob Nobby Nobbs, TOD, den Bibliothekar oder Rincewind, in ein amüsantes Hick-Hack um die Hauptstadt Ankh-Morpok, bei dem nie ganz klar ist, welcher Spieler welches Ziel verfolgt. Wenn eins der veröffentlichten Spiele vom Thema und vom Ablauf her Massenappeal hat, dann das.

So wie der Oger auf der Schachtel seinen kleinen Hausdrachen schließt auch der Spieler die Gestaltung von Vlaada Chvátils "Dungeon Petz" (Heidelberger Spieleverlag) sofort in sein Herz. Das Spiel, das sich darum dreht, kleine Monster im Tamagotchi-Stil aufzuziehen, zu füttern, zu versorgen, um sie dann zu verkaufen, versteht mit seiner knuffigen, detailverliebten und zuckersüßen Aufmachung geschickt zu kaschieren, dass einem die namensgebenden Tiere eigentlich nur nonstop den Käfig vollkacken. So ist man stets gefordert, die umfangreichen Bedürfnisse der kleinen Monster zu erfüllen … aber die sind sooooo süüüüüß!

Nicht ganz so süß, aber genauso schick gestaltet sind die Drachen des Spiels "Draco" (bzw. "Mount Drago") von Schmidt Spiele. Das Spielprinzip eines Wettrennens auf dem Rücken von zehn verschiedenen Drachen ist eher abstrakt umgesetzt worden und nicht sonderlich anspruchsvoll, dafür jedoch ziemlich langwierig geraten. Das Artwork ist super, inhaltlich fliegt sich das Spiel jedoch schnell tot.

[PIC]Bleibt noch "Kingdom Builder", das neue Spiel des geheimnisvollen "Dominion"-Autors Donald X. Vaccarino, das bei Queen Games erscheint. Der Schuster blieb bei seinen Leisten und erstellte ein abstraktes, kurzes und sehr einfach zu lernendes Spiel, das vor allem durch die Abwechslung zwischen dem Aufbau einzelner Partien leben soll. Prinzipiell legt man in jedem Spielzug auf Basis einer zufällig gezogenen Karte nur drei Häuser auf den variabel gestalteten Spielplan. In jedem Spiel kann man dabei auf einen kleinen Teil der mitgelieferten Sonderaktionen zurückgreifen und es liegen nur drei der zehn Siegbedingungen aus. Diese Bedingungen machen das supersimple Spielprinzip tatsächlich interessant und variabel, da man hierüber clevere Spielzüge generieren kann. Aber ob das auch wirklich langfristig Spaß macht?

Dies ist vielleicht die entscheidende Frage für alle Spiele, die auf der diesjährigen Messe erschienen sind. Einige werden von ihrem kurzen Hype leben, ein paar Mal auf den Tisch kommen und danach in der Versenkung verschwinden. Andere werden sich in den Herzen der Spieler festspielen. Bis man weiß, welche Spiele das sein werden, gibt es jedoch noch so viel auszuprobieren! Und bis dahin steht mindestens schon die nächste Messe in Nürnberg, wenn nicht sogar die nächste SPIEL in Essen an. Frohes Spielen!

Julius Kündiger, 16.11.2011