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Petra Reski auf der Frankfurter Buchmesse 2008
Interview mit Petra Reski
Media-Mania.de: Guten Tag Frau Reski, erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem neu erschienen Buch "Mafia" bzw. auch mit Ihren anderen Büchern?

Petra Reski: Ich will Geschichten erzählen. Geschichten von Menschen. In diesem Fall sind das nun Geschichten von Mafiosi und Menschen, die für und gegen die Mafia kämpfen. Das sind einfach erst einmal Familiengeschichten. Die Geschichte des Buches "Mafia" ist ja auch im Grunde aus meinem Interesse an Familiengeschichten entstanden. So wurde auch erst mein Interesse für die Mafia geweckt.

Media-Mania.de: Seit 1989, dem Jahr in der die Hoffnung auf eine erfolgreiche Bewegung gegen die Mafia groß war, berichten Sie nun über die Mafia. Was hat Sie dazu gebracht, sich mit dem Thema Mafia zu befassen?

Petra Reski: Das erste Mal bin ich als Studentin in Sizilien gewesen. Nachdem ich Mario Puzo gelesen habe, bin ich ganz naiv mit meinem damaligen Freund in einem rostigen Renault 4 dahin gefahren. Von Kamen im Ruhrgebiet bis nach Corleone. Ich war dann sehr enttäuscht, als ich nur alte Männer mit Schlägermützen dort gesehen habe. Ich wollte mich zu diesem Zeitpunkt natürlich auch von den anderen Studenten abheben, die nach Rimini oder sonstwohin fuhren, dennoch hat mich natürlich erst einmal "Der Pate" interessiert, weil das eine Familiengeschichte ist. Als Journalistin bin ich 1989 zum ersten Mal nach Sizilien gekommen. Das war die erste Geschichte, die ich als Journalistin in Italien gemacht habe und dies direkt in Palermo. Dort bin ich in einem sehr präzisen - wie Sie schon sagten - historischem Moment angekommen. Eine sehr offene, optimistische und auch euphorische Stimmung herrschte. Es war wenige Monate vor dem Mauerfall und in Sizilien glaubte man, dass dieses nun der Moment sei, in dem die Mafia endgültig besiegt werden könne. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass damals die beiden Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino aktiv waren. Ich habe damals eine der Protagonistinnen von meinem Buch kennen gelernt, nämlich Letizia Battaglia. Damals war sie schon Abgeordnete in Palermo. Ihre Tochter Shobha ist ebenso wie Letizia Fotografin. Beide haben die Mafia fotografiert, wobei Letizia zu diesem Zeitpunkt damit bereits abgeschlossen hatte und als Politikerin arbeite. Mit Shobha habe ich mich angefreundet und wir beide haben dann auch die ganzen Jahre immer weiter zusammen gearbeitet. Mich hat das Thema Mafia interessiert, weil ich mir als Deutscher viele Dinge anfangs fremd waren und ich sie verstehen wollte. Selbst Shobha, die als Sizilianerin mit einem ganz anderen Blickwinkel daran geht, war über viele Geschichten und viele Begebenheiten, die wir erlebten, erstaunt. Wir haben uns immer gegenseitig ein bisschen bereichert. Mit der Distanz der Deutschen und der Nähe der Sizilianerin.

Media-Mania.de: In Ihrem Buch erwähnen Sie, dass Shobha regelmäßig nach Indien fliegt, um von dem Thema Abstand zu gewinnen. Was machen Sie, wenn es Ihnen zu viel wird?

Petra Reski: Für mich als Ausländerin ist das natürlich viel leichter, Distanz zu halten, als für Italiener. Viele Schicksale haben mich berührt, da mir Familiengeschichten nahe sind und ich trotzdem auch als Tochter eines Ostpreußen und einer Schlesierin aus einer katholischen Kultur komme und dementsprechend sehr wohl viele Dinge nachvollziehen kann. Indes bin ich keine Italienerin und diese psychologische Distanz ermöglicht es mir, mich nicht so vereinnahmen zu lassen. Wohingegen meine Freundin Shobha ebenso wie alle Sizilianer die Mafia jeden Tag erlebt. Sie muss nur mit ihrem Hund eine Runde machen oder Gemüse kaufen, dann sieht sie die Mafia. Das ist natürlich langfristig sehr deprimierend. Speziell wenn man so wie wir anfangs noch die Hoffnung hatte, dass die Mafia eines Tages besiegt würde. Und eines Tages einsehen mussten, dass dies nicht der Fall ist. Und für eine Frau wie Letizia Battaglia, die nicht nur Antimafia-Fotografin war, sondern sich im Kampf gegen die Mafia auch politisch engagiert hat, ist es bitter, dies als Lebensresumée zu ziehen: Letizia ist jetzt 74 Jahre alt - und am Ende ihres Lebens muss sie anerkennen, dass der Kampf, dem sie ihr ganzes Leben gewidmet hat, vergebens gewesen ist. Das ist wirklich bitter. Und zeugt von Größe.

Media-Mania.de: Die Mafia versucht, sich in die Gesellschaft einzugliedern und unsichtbar zu werden. Sie wirken dem mit Ihren Büchern entgegen. Hatten Sie deshalb bereits Probleme mit der Mafia?

Petra Reski: Wir sind verschiedene Male bedroht worden während unserer Recherchen. Körperlich bedroht worden. Ansonsten ist es immer ein Vabanquespiel: Wenn die Mafia sich mit dir als Journalistin einlässt, dann gestattet sie dir nur Einblicke, die sie dir gestatten will, logischerweise. Sie will Botschaften loswerden. Sie will dich als Journalistin benutzen und du willst dich nicht benutzen lassen. Dieser Drahtseilakt hat immer etwas sehr Gefährliches an sich. Da muss man eben sehen, wie weit man dabei gehen kann und wie weit nicht.

Media-Mania.de: Was war ihre gefährlichste Begegnung mit der Mafia?

Petra Reski: Eine sehr gefährliche Begegnung hatten wir bei unseren Recherchen in San Luca, dem Ort aus dem die Toten des Massakers aus Duisburg stammen. In einer gewissen Weise auch blauäugig sind wir an dem Haus des Clans Pelle-Vottari, einer der an der Fehde beteiligten Clans, vorbeigefahren. Dort gab es einen Bunker, in dem - kurz bevor wir kamen - ein Boss verhaftet wurde, der dort lebte. Wir sind davon ausgegangen, dass dieses Haus beschlagnahmt wäre. Wir standen davor und wollten eigentlich nur ein Foto von diesem Haus machen. Ich stand dort mit meinem Notizbuch in der Hand und machte mir ein paar Notizen und in diesem Augenblick geht das Tor auf und zehn Männer kommen heraus gelaufen, umstellen uns, drohen uns Schläge an und hätten uns sicherlich auch krankenhausreif geschlagen, wenn nicht zufällig gerade ein Polizist vorbei gekommen wäre ,und wir diesen Moment nutzen konnten, um abzuhauen. Einer dieser Männer, der mir nur aus dem Grunde aufgefallen ist, weil er viel älter war als die anderen, ist mir sieben Monate später in den Abendnachrichten wieder begegnet als einer der dreißig gefährlichsten flüchtigen Mafiosi Italiens. Es war einer aus dem Clan der Pelle-Vottari, Giuseppe Pelle, der Zuhause lebte. Man fragt sich natürlich, warum die Polizei nicht auf den Gedanken gekommen ist, mal bei ihm Zuhause vorbei zu schauen, so wie wir das getan haben.

Media-Mania.de: Was macht die sizilianische Polizei gegen die Mafia?

Petra Reski: Es gibt sehr viele Polizisten, die ihr ganzes Leben einsetzen im Kampf gegen die Mafia. Sie können natürlich nur so viel machen, wie die Gesetze ihnen erlauben. Es gibt einen Polizisten in Trapani, über den ich auch geschrieben habe, der in den letzten sechs Jahren über 400 Mafiosi festgenommen hat. Für ihn ist dann natürlich die Arbeit logischerweise beendet, sobald er den Mafiosi festgenommen hat. Wenn aber dieser Mafiosi dann nur zu zwei Jahren verurteilt wird und nach zwei Jahren dann wieder auf freien Fuß gesetzt wird, dann haben wir natürlich ein Problem. Dem Polizisten, der sehr aufrichtig seine Arbeit macht, wird diese Arbeit, ebenso wie dem Staatsanwalt, dann zunichte gemacht, indem die Politiker immer wieder auch Gesetze zu Gunsten der Mafia erlassen.

Media-Mania.de: In Ihrem Buch erwähnen Sie immer wieder, dass die Mafia kein rein italienisches Problem mehr sei. Was bedeutet das für Deutschland?

Petra Reski: Die Mafia hat sich schon sehr lange hier in Deutschland gemütlich eingerichtet, da sie weiß, wie sie von der liberalen Gesetzgebung in Deutschland profitiert. Mafiazugehörigkeit ist in Deutschland im Gegensatz zu Italien kein Delikt. Es gibt hier das Delikt der kriminellen Vereinigung mit einer Höchststrafe von fünf Jahren. Die Mafia betrachtet Deutschland als Ruheraum für flüchtige Mafiosi und in erster Linie als Investitionsraum. Das ist ihr in den ganzen Jahren auch sehr gut gelungen. Sie hat sich im Westen und nach dem Fall der Mauer auch in Ostdeutschland etabliert. Sie hat dort viel investiert und diese Investitionen werden von den Behörden in keinster Weise kontrolliert.

Media-Mania.de: Was müsste sich Ihrer Meinung in Deutschland ändern, um der Mafia Einhalt gebieten zu können?

Petra Reski: Es wäre schon einmal ganz nützlich, wenn beispielsweise die Besitztümer eines in Italien verurteilten Mafiosos auch in Deutschland beschlagnahmt werden könnten. Das können sie bislang nicht. Das heißt also, wenn jemand in Italien verurteilt wurde, versucht er, seine Güter in Deutschland zu investieren. Wenn jemand in Italien auch nur unter Verdacht steht, zur Mafia zu gehören, werden seine Güter beschlagnahmt. Das ist in Deutschland nicht so. Es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen, die die Mafia ausnutzt. Zum Beispiel ist es in Deutschland nicht möglich, in öffentlichen Lokalen abzuhören. Auch das weiß die Mafia sehr wohl. Sie nutzt diese ganzen Gesetzeslücken. Vor allem ist es wichtig, nachzuschauen, woher die Investitionen kommen, weil die Mafia daran interessiert ist, dass ihre Investitionen langfristig Früchte tragen. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn das politische Ambiente auch günstig ist. Das heißt also, man versucht den ein oder anderen Kommunalpolitiker zu bestechen, vielleicht auch den ein oder anderen Finanzbeamten. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, da es viel Geld gibt und es ebenso viele Menschen gibt, die käuflich sind. Das ist in Deutschland nicht anders als in Italien. Man versucht, politischen Einfluss zu erhalten. Diese Gefahr wahrzunehmen, wäre schon einmal ein großer Fortschritt in Deutschland.

Media-Mania.de: Gibt es in Deutschland bestimmte Bereiche, in denen sich die Mafia ansiedelt?

Petra Reski: Es gibt natürlich immer wieder aus historischen Gründen bestimmte Ecken, in denen sich bestimmte Clans niedergelassen haben. Grundsätzlich ist beispielsweise die 'Ndrangheta viel mobiler als die Cosa Nostra, die sizilianische Mafia. Das heißt, sie sind also schon einmal in ganz Italien aktiv, aber eben auch in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg um Stuttgart, Erfurt und in Thüringen. Es gibt im Grunde keinen Raum in Deutschland, wo es keine Mafia gäbe. Es gibt in München Mafia. Ich nehme mal an, an der Frankfurter Börse spekulieren Mafiosi und Sie können sich vorstellen, dass jetzt gerade bei diesem Börsencrash die Mafia von der Situation garantiert profitiert. Es gibt schwerpunktmäßig bestimmte Gebiete, in denen sich einzelne Clans niedergelassen haben, aber es gibt selbstverständlich auch in Berlin und überall Mafia. Man kann keine Stadt und keine Region ausschließen. Wo man Geld verdienen kann ist die Mafia.

Media-Mania.de: Sie wurden im Ruhrgebiet geboren und haben Venedig zu Ihrer Wahlheimat gemacht. Was gibt es außer der Mafia, was Sie an Italien fasziniert und Sie zu dieser Entscheidung bewogen hat?

Petra Reski: Ich komme - wie ich schon sagte - aus einer ostpreußisch-schlesischen Familie, deswegen war mir die katholische Kultur sehr nahe und ich fühlte mich in Italien sehr schnell sehr wohl. Ich liebe Italien und aus diesem Grund ist es mir auch ein Anliegen zu verdeutlichen, dass Italien nicht nur Mafia ist, sondern dass die Italiener die Allerersten sind, die unter diesem Phänomen leiden. Die ganze italienische Gesellschaft wird davon zersetzt. Das ist für die Italiener sehr frustrierend und sie haben gerade in den letzten Jahren ein Gefühl von Rückentwicklung, dass viele Errungenschaften ihnen wieder genommen worden sind. Man hat das Gefühl, dass in Italien ein gewisser Stillstand eingetreten ist. Ich hoffe, dass es nicht so ist. Italien ist für mich meine zweite Heimat und ich würde keinen Tag daran denken, aus Italien wegzugehen. Das Einzige, was ich wirklich fürchten würde ist, dass man mich nicht mehr nach Italien rein lassen würde, das fände ich wirklich bedauerlich.

Media-Mania.de: Welche weiteren Projekte haben Sie für die Zukunft geplant?

Petra Reski: Ich schreibe ja nicht nur über die Mafia, sondern ich schreibe sehr viele Reportagen in der ganzen Welt, nicht nur in Italien. Das ist für mich auch sehr gut, um eine gewisse Distanz zu Italien und dem Thema Mafia zu bekommen. Ich reise durch Afrika, im August war ich noch in Sibirien, ich mache ganz viele Geschichten in der ganzen Welt. Ich bin immer auf der Suche nach Geschichten. Geschichten von Menschen interessieren mich weiter und meine Neugier treibt mich und sie wird mich auch wieder zu neuen Ufern treiben.

Media-Mania.de: Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg dafür.

Petra Reski: Danke.


Rezension zu "Mafia"
Geführt von Vera Schott am 16.10.2008