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Interview mit Yadé Kara über ihren neuen Roman "Cafe Cyprus"
Interview mit Yadé Kara
Media-Mania.de: Hasan, der Protagonist Ihres neuen Romans "Cafe Cyprus", steht auch im Zentrum eines vor wenigen Jahren erschienenen weiteren Buchs, "Selam Berlin". Die Figur Hasan wirkt sehr lebensecht, man glaubt rasch, Hasan wirklich zu kennen. Gibt es eine reale Vorlage?

Yadé Kara: Eine reale Vorlage gibt es nicht. Die Idee zu dieser Figur, Hasan Kazan, hatte ich in Hongkong. Ich hatte ursprünglich an eine Short Story gedacht, doch dann wuchsen diese Geschichte und diese Figur, und ich habe mich entschlossen, einen Roman zu schreiben. In die Figur sind wahrscheinlich die Beobachtungen eingeflossen, die ich gemacht habe. Aber Hasan Kazan ist eine fiktive Figur.

Media-Mania.de: Hasan ist ein junger Mann um die zwanzig. Als Sie die Figur entwickelten, waren Sie bereits ein gutes Stück älter als er, zudem sind Sie eine Frau. War es unter diesen Umständen nicht sehr schwierig, eine Figur zu entwerfen, die die Welt aus einem ganz anderen Blickwinkel sieht als Sie selbst?

Yadé Kara: Schwierig fand ich das nicht. Ich hatte den Ton von diesem jungen Mann im Ohr und habe auch keinen Augenblick daran gezweifelt, dass es sich um einen jungen Mann handelt, der die Geschichte erzählt. Deshalb habe ich auch nie daran gedacht, die Perspektive zu ändern.
Ich fand es viel schwieriger, die verschiedenen Abfolgen zu entwerfen, also die Dramaturgie und die Reihenfolge der Szenen.

Media-Mania.de: In "Cafe Cyprus" geht es um Grenzen und Mauern. Hasan entflieht Berlin nach dem Mauerfall, weil es nicht mehr sein Berlin ist. In London begegnet er der fest gefügten Grenze, die Zypern durchschneidet. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Yadé Kara: Hasan geht ja in der Nachmauer-Zeit nach London, und die Nachmauer-Zeit, also die ersten Jahre, bedeuteten "Baustelle" in Berlin - reell und mental, bei den Menschen. Er geht nach London; ich habe eine Weile in London gelebt, und diese Zeit, die Major-Ära, war ruhiger. London ist natürlich eine sehr quirlige, lebendige Mega-Metropole, aber die Umstände, die Umwälzungen, waren nicht so dramatisch wie in Berlin.
In London lernt Hasan die Zyprioten in Green Lanes kennen, die griechischen wie auch die türkischen. Ich habe in einer der Seitenstraßen von Green Lanes gewohnt. Und allein die Tatsache, dass die Zyprioten in Green Lanes diese Demarkationslinie, die Green Line, überwunden haben, was sie ja auf der Insel nicht geschafft haben, hat mich sehr überrascht. Das funktioniert seit vierzig Jahren. Es ist alles so selbstverständlich, neben der Bank of Cyprus ist ein Turkish Food Centre, daneben ein Barber Shop ?
Die griechischen Zyprioten hätten sich ja auch in einem anderen Stadtteil Londons ansiedeln können, oder die türkischen Zyprioten. Zu den Migrationswellen kam es in den 50er- und 60er-Jahren, nach dem Krieg, und die meisten Zyprioten gingen in diesen Stadtteil. Das ist verwunderlich, aber im positiven Sinne.

Media-Mania.de: Das hat offensichtlich besser geklappt als in Berlin, wo eine gewisse Mauer in den Köpfen noch zu bestehen scheint.

Yadé Kara: Nun, Berlin hat ja sehr tiefe Wunden und Narben. Es hat einen großen Krieg hinter sich, und dass es sich trotz seiner dramatischen Vergangenheit so gut zusammengefügt hat, ist auch bemerkenswert und sollte nicht unterschätzt werden. So etwas hat es in der Historie ja nie gegeben.
London ist eher neutraler Boden. Deshalb konnten sich die Zyprioten dort vielleicht eher annähern als auf der Insel. Aber sie haben ja in anderen Jahrhunderten sehr gut miteinander gelebt; diesen Aspekt darf man auch nicht vergessen.

Media-Mania.de: Das Multikulti-London, das Sie in "Cafe Cyprus" beschreiben, ist herrlich bunt und spannend und Hintergrund für tragische Schicksale. Welchen Bezug haben Sie persönlich zu London? Wie haben sich Ihre Recherchen zu "Cafe Cyprus" gestaltet?

Yadé Kara: London ist eine Acht-Millionen-Stadt, dort werden dreihundert verschiedene Sprachen gesprochen. Und vierzig Prozent von Inner London City haben einen Migrationshintergrund, dort ist die halbe Welt. Man geht dort sehr selbstverständlich damit um, was auf dem Festland, im "Alten Europa", noch nicht so sehr etabliert ist. Aber das kommt vielleicht mit der Zeit.
London hat mir sehr gefallen, weil es eine Mega-Metropole ist und sehr durchmischt, weil es eine eigene Dynamik, einen eigenen Rhythmus hat, ein bisschen mit Istanbul vergleichbar ist von der Urbanität her und einen sehr höflichen Umgangston hat. Mega-Metropolen haben ja immer ein gewisses Aggressionspotenzial, und wenn man fremd ist, schätzt man diese Höflichkeit sehr, auch wenn sie aufgesetzt ist. Sie schafft den Fremden auch einen schnelleren Zugang zu der Stadt.

Media-Mania.de: An dieser Stelle wäre es interessant, wenn Sie Ihre persönliche Biografie umreißen würden, die ja nicht gerade gewöhnlich ist - und dabei erwähnen, wann und wie Sie zum kreativen Schreiben kamen, vielleicht auch vor "Selam Berlin".

Yadé Kara: "Selam Berlin" ist mein erster Roman, das heißt, da habe ich mich zum ersten Mal richtig mit dem Schreiben beschäftigt. Ich habe mir vorher zwar manchmal kurze Notizen oder Skizzen gemacht, aber nichts, womit ich mich hingesetzt und ernsthaft daran gearbeitet hätte. Das war erst bei "Selam Berlin" der Fall.
Ich bin in Berlin eingeschult worden und dort aufgewachsen, bin dort zur Schule gegangen und habe dort, dann auch in London studiert. Ich habe in Istanbul, in Hongkong und Berlin gearbeitet und in Berlin dann auch den Roman "Selam Berlin" zu Ende geschrieben.

Media-Mania.de: In welchem Beruf haben Sie gearbeitet?

Yadé Kara: Ich habe Deutsch als Fremdsprache und Englisch unterrichtet, als Journalistin und im Management gearbeitet, in der Textilproduktion. Als Studentin habe ich ganz verschiedene Jobs gemacht, so habe ich lange Zeit im Schiller Theater Berlin gearbeitet und auch im Tourismusbereich einiges gemacht. Ich spreche mehrere Sprachen gut, und wenn man Sprachen beherrscht, kann man in vielen Bereichen einspringen.

Media-Mania.de: Solch einer Biografie entspringen sicher auch viele Erlebnisse und Eindrücke, die man schriftstellerisch verarbeiten kann.

Yadé Kara: Es gibt Leute, die haben viel buntere und interessantere Lebensläufe, aber das heißt nicht unbedingt, dass man dann schreiben kann. Jeder hat ein eigenes Ventil für seine Kreativität. Einer malt, ein anderer schreibt, einer betätigt sich als Bildhauer, andere machen Filme. Aber das heißt nicht, dass jemand, der so viele Stationen hinter sich hat, kreativ sein kann. Wenn man viel von der Welt gesehen hat, bedeutet das ja nicht zwingend, dass man einen breiten Horizont hat. Man benötigt eine bestimmte Einstellung.

Media-Mania.de: Aber wenn man diese Einstellung hat, erleichtert ein solcher Hintergrund doch sicher das Schreiben - man beobachtet so viele Personen ?

Yadé Kara: ? Personen, Atmosphären, kleine Details, klar, das speichert man. Aber es gibt auch Personen, die speichern gar nichts.

Media-Mania.de: Sie skizzieren Ihre Figuren so lebensecht, gerade im Multikulti-London. Die Briten wirken auf mich so, wie ich sie erlebt habe - als Beispiel.

Yadé Kara: Ich arbeite gern mit dem Stilmittel der Ironie, da überzeichnet man natürlich bewusst. Man skizziert, man karikiert, man parodiert, davon lebt ja die Ironie.

Media-Mania.de: Ihre "Schreibe" ist sehr flüssig, das Tempo Ihrer Romane reißt den Leser regelrecht mit. Schreiben Sie ebenso so rasant, wie das beim Lesen herüberkommt? Anders gefragt: Sind Ihre Romane jeweils "in einem Aufwasch" entstanden, oder kennen Sie auch Schreibblockaden und schöpferische Pausen?

Yadé Kara: Schöpferische Pausen kenne ich, Blockaden nicht. Ich schreibe sehr gern, und ich schreibe puzzleartig durcheinander in der guten Hoffnung, dass es irgendwie zusammenpasst. Wenn ich zum Beispiel mit einer Szene oder einem Dialog nicht fertig werde, dann lasse ich das ruhen, mache etwas anderes und komme später darauf zurück.
Rasant ? Meine Romane sind urbane Romane, sie spielen in großen Städten, es geht um Urbanität. Urbanität hat einen Rhythmus, einen Takt, und das ist dann wohl auch ins Schreiben eingeflossen.

Media-Mania.de: Sie sind ja wie Hasan sowohl in der deutschen als auch in der türkischen Kultur verwurzelt, dann kommen im Roman noch die englischen Eindrücke hinzu. Verstehen Sie Ihre Romane als reine Unterhaltung oder möchten Sie auch zwischen den Nationalitäten, Kulturen und Literaturen vermitteln?

Yadé Kara: Gehen wir mal ganz von den Nationalitäten weg. Hasan Kazan ist ein gebürtiger Westberliner mit türkischem Hintergrund, zweisprachig aufgewachsen, polyglott, multikulturell. Er hat also beide Kulturen in sich und geht dann nach London, eine Stadt, in der das Multi-Dasein sehr etabliert und selbstverständlich ist. Das heißt, dieser junge Mann macht einen Lernprozess durch. Er lernt, sich im multiplen Dasein zurechtzufinden und einzurichten. Menschen, die monosprachig und monokulturell sind, versuchen, die Welt durch eines zu verstehen, sind also Einweltmenschen. Und dann gibt es Mehrweltmenschen, für die es selbstverständlich ist, sich in mehreren Sprachen, mehreren Kulturen, mehreren Denkarten zu bewegen.
Hasan Kazan lernt das in London. Er sagt an einer Stelle: "Wir sind die neuen Europäer, wir sind die Pioniere", weil er Menschen sieht, die ähnlich sind wie er, und neue Identifikationsmöglichkeiten entdeckt. Für Menschen, denen die erlebte Erfahrung fehlt, ist es sehr schwierig, zu verstehen, was es heißt, im Multiplen zu existieren. Aber warum soll man sich auf eines reduzieren, wenn man in mehreren zu Hause ist? Die Monomenschen können das nicht nachvollziehen, weil ihnen, wie gesagt, die erlebte Erfahrung fehlt.

Media-Mania.de: ? Die Sie in Ihrem Buch sehr gut vermitteln.
Media-Mania.de bedankt sich für das Interview und wünscht Ihnen für die Zukunft weiterhin viel Erfolg und alles Gute!
<hr />[i]Das Interview wurde am 16.10. auf der Frankfurter Buchmesse am Stand des Diogenes-Verlags von Regina Károlyi geführt.

<hr />Informationen zum Buch:
Yadé Kara: "Café Cyprus", Diogenes, September 2008, ISBN 978-3257066234
Rezension bei Media-Mania.de [/i]
Geführt von Regina Károlyi am 31.08.2008