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Die Wasser des Bosporus (deutsche Übersetzung)
Interview mit Alan Drew
Zum englischsprachigen Originalinterview

Media-Mania.de: Ich habe ihr Buch "Die Wasser des Bosporus" gelesen und habe mich immer gefragt: Ist die Familie, die Geschichte, echt oder reine Fiktion?

Alan Drew: Ja, es ist reine Fiktion, auch wenn es auf Erlebnissen, die ich erlebt habe oder derer ich Zeuge wurde, während ich in Istanbul war, basiert. Meine Frau und ich lebten dort für drei Jahre von 1999 bis 2002. Das Erdbeben spielt offensichtlich eine große Rolle in der Geschichte, doch viele andere Dinge geschahen auch, während ich da war.
Letztes Jahr gab es in Istanbul einige Ehrenmorde, die sehr schockierend waren. Viele dieser Erlebnisse spielen in die Geschichte hinein, aber die Handlung ist Fiktion und die Charaktere sind Charaktere, die ich erfand, basierend auf Leuten, die ich kannte.

Media-Mania.de: Was bewog Sie dazu, über das Erdbeben in Istanbul zu schreiben?

Alan Drew: Es gibt viele Gründe, warum ich über dieses Erdbeben schrieb. Der erste ist der pure Schock darüber, diese Zerstörung zu sehen. Ich wuchs in Los Angeles auf und machte viele Erdbeben mit, meine Frau und ich trafen uns in San Francisco und erlebten einige Erdbeben und dann kamen wir in Istanbul an und dieses 7,4-Erdbeben ? Ich habe nie solche Zerstörung gesehen.
Wir wollten in einer Zeltstadt arbeiten, die von einer Baptistengruppe aus Texas geleitet wurde, sie waren Christen und die Zeltstadt war wirklich gut organisiert, die türkische Regierung war überwältigt, daher kamen viele Organisationen um zu arbeiten. Jedenfalls, diese Leute trugen blaue T-Shirts mit einer Taube auf der Brust und einem Kreuz auf dem Rücken und machten die Arbeit. Das Buch basiert auf einer Situation, als wir gerade damit fertig waren, allen Leuten im Camp Essen zu geben und eine Gruppe von uns - Lehrern, der Schule, an der wir arbeiteten - machte eine kleine Pause bevor wir zurückgehen und mit den Leuten reden und mit den Kindern Fußball spielen wollten. Ein junger Mann, wahrscheinlich Anfang zwanzig, kam zu uns, hockte sich vor uns und sagte "Ihr seid alle Christen, oder?". Wir sahen uns alle an, nach dem Motto "Was geht hier vor?" und ein guter Freund von mir, Robert Rosenberg, der Jude ist, sah mich mit einem seltsamen Blick an wie "Das ist nicht gut". Der junge Mann wartete nicht auf antwort, er sagte nur "Geht und verbreitet die Gute Nachricht." Und dann rannte er zu den Zelten und versuchte offensichtlich die Moslems im Camp zum Christentum zu bekehren. Das machte mich wütend. Es wirkte wie ein Missbrauch ihrer Position. Die Menschen im Camp hatten alles verloren, um ihre Familie gesund zu halten, mussten sie das Essen und die Unterkunft der amerikanischen Missionare annehmen. Aber dann wurden sie gezwungen, ihnen zuzuhören, bekamen gesagt, ihre Religion wäre nicht gut genug. Das war ein solcher Machtmissbrauch - und auch eine vertane Chance: Wären die Amerikaner einfach nur gekommen, hätten sich um die Leute gekümmert, niemals Gott erwähnt, nie das Christentum erwähnt, nie Jesus erwähnt, dann hätten die Türken glaube ich einen sehr positiven Eindruck der Amerikaner und der Christen gekriegt, weil sie einfach nur Gutes getan hätten, einfach nur jemandem geholfen hätten, ohne ihn bekehren zu wollen. Aber stattdessen haben sie es ruiniert, denke ich. Ich war so wütend darüber, dass es hängen blieb und ich darüber schreiben wollte. Und dann wirkte es wie eine Metapher für vieles an der amerikanischen Politik in der Welt. Sie wissen, wenn Amerika rausgeht und viele Dinge macht, aber auch sagt "Ihr müsst so sein, ihr müsst wie wir sein". So wollte ich das sozusagen als Metapher für das Buch benutzen.
Aber es gab viele Ereignisse ?

Media-Mania.de: Ich erinnere mich an den Charakter Marcus in Ihrem Buch. Wie viele Parallelen gibt es zwischen Markus und Ihnen?

Alan Drew: Ich würde sagen, dass es weniger Parallelen zwischen Marcus und mir gibt als zwischen Sinan und mir.
Es war sehr schwierig für mich, über Marcus zu schreiben, obwohl er Amerikaner ist, weil ich mit dem, was später ein fundamentalistischer Glaube wird, nicht übereinstimme. Der einzige Weg ins Paradies ist es, ein Christ zu sein und dann muss man diese Leute konvertieren und ihnen helfen, das Paradies zu erreichen. Aber er ist sehr ähnlich zu den Briten und Amerikanern, die viel Zeit in der Türkei verbracht haben, die ich traf. Diese machen wirklich fabelhafte Arbeit, aber sie haben auch eine sehr patriarchalische, sehr elternhafte Sicht auf die Türkei, so wie "Ich bin hier, um dir zu helfen, ich weiß, wie alles funktioniert, weil ich aus dem Westen bin. Ich bin besser und wir werden euch erheben und ihr werdet wie wir werden." Das ist eine ziemlich erniedrigende Sicht. Also war Marcus schwer für mich zu schreiben.
Ich würde sagen, Sinan ist mehr wie ich. Für mich geht viel von der Geschichte darum, wie Sinan sich als Mann, als die Person, die er ist, behaupten kann. Er ist der Haupternährer der Familie, er muss sich um sie kümmern, sie beschützen und dann verliert er die Fähigkeit, dies zu tun. Ich wurde zu der Zeit zum ersten Mal Vater und ich fürchtete mich zu Tode. Ich hatte Angst, das Leben meiner Kinder zu ruinieren, ihnen in der ein oder anderen Art zu schaden, viele meiner Ängste kommen durch Sinan in die Geschichte.

Media-Mania.de: In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass die türkische Regierung nicht viel für die Bevölkerung tat. Was ist wirklich passiert, was haben Sie gesehen?

Alan Drew: Ich bin mir nicht sicher, was wirklich passierte weil es eine sehr verwirrende Zeit war. Für die türkische Regierung war es ein akutes und riesiges Desaster. Ich glaube jede Regierung, auch die bestorganisierte, hätte in dieser Situation Schwierigkeiten gehabt, jedem zu helfen. Ganze Städte wurden verwüstet. Ich glaube, der Hauptgrund, warum es so furchtbar war, sind die Baubestimmungen. Viele Menschen kommen aus Anatolien in die Stadt und die Regierung ist nicht fähig oder nicht gut genug organisiert um sicher zu gehen, dass die Gebäude, die gebaut werden, starke Gebäude sind und die Bestimmungen erfüllen. Also gibt es Situationen, in denen am Bau geschlampt wird, zum Beispiel Sand vom Strand in den Zement gemischt wird. Also stürzten all diese Gebäude ein. Die meisten der Menschen, die in diesen Gebäuden lebten, waren arm.
In dieser Hinsicht versagte die Regierung.
Die Gründe, die Sinan aus dem Südosten vertrieben, der Bürgerkrieg, das ist ein politisches Versagen für die Kurden und dann kommen sie nach Istanbul und erleben erneut, wie die Regierung versagt, da sie nicht darauf achteten, was für Gebäude in einer Erdbebenzone errichtet wurden.
Dann gab es diese riesigen Zonen der Zerstörung, und wenn die zivile Regierung nicht in der Lage ist, schnell Hilfsstationen einzurichten, würde normalerweise das Militär übernehmen. Doch das Militär selbst war getroffen. Ich glaube, dass viele Türken, die unter dem Erdbeben litten, - und viele von ihnen waren arm und konservativ - zu glauben begannen, die Regierung könnte sie nicht schützen, wäre nicht fähig dazu und das war ein großer Schock für viele Menschen.
Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe die Theorie, dass dies einer der Gründe dafür ist, dass es diese Massenbewegung von vielen konservativen Menschen im Land gibt, konservative Parteien wie die AKP, die sehr konservativ sind, zu wählen, da sie das Gefühl haben, diese würden sich mehr um sie kümmern, während sie denken, dass die gemäßigteren Regierungen dies nicht tun.

Media-Mania.de: Sie haben nicht nur über das Erdbeben geschrieben, sondern auch eine Art Wandel in der Gesellschaft Istanbuls beschrieben, der nichts mit dem Erdbeben zu tun hat, sondern mit der Adaption mancher Ideen der westlichen Kultur. Wie viel davon haben sie während Ihrer Zeit in Istanbul erlebt?

Alan Drew: Ob ich den Wandel zur Westernisierung in Istanbul erlebte? Ich weiß nicht ?
Während ich dort lebte wirkte es sehr westlich. Zu der Zeit hatten die Türken die Hoffnung, der EU beizutreten. Ich glaube, im Allgemeinen waren die Türken sehr positiv gegenüber Amerika und der Amerikanischen Regierung eingestellt, damals. Der Irak-Krieg hat vieles daran geändert. Ich glaube sogar, dass die Bewegung vielleicht in entgegen gesetzter Richtung verläuft. Es passiert viel in der Türkei. Früher war es größtenteils eine dörfliche Gesellschaft and plötzlich ziehen all diese Dörfler in die Stadt, das macht eine sehr kosmopolitische Gesellschaft. Istanbuler sind sehr gemäßigt, sehr westlich und sehr europäisch und auf einmal sind sie von Leuten aus den Dörfern umgeben, die dies nicht sind, die mehr Richtung Mittleren Osten schauen und die religiös-konservativer sind, die eventuell mehr gewillt sind eine islamitische Regierung zu haben. Dieser Clash geht mit der Stadt selbst vor und auch mit der Regierung. Man sah immer Frauen, die wunderschöne Kopftücher trugen, die gemäßigten Moslems. Aber dann sah man immer mehr Leute, die schwarze Gewänder trugen und sich komplett verhüllten. Aber während wir dort waren, in 2002, sah ich nie eine Frau, die ihr Gesicht bedeckte, nicht einmal in den konservativsten Gegenden. Ich war nochmals vor eineinhalb Monaten da und auf einmal sieht man Menschen, die ihre Gesichter bedecken, ihre Hände bedecken, also denke ich, dass sich vieles in die gegensätzliche Richtung bewegt, dass mehr in Richtung Mittlerer Osten geschaut wird. Aber das ist der Kern des Konflikts im Land, der jetzt in der Regierung vor sich geht.

Media-Mania.de: Sie waren für drei Jahre dort, was machen Sie jetzt? Ich las, dass sie in Europa waren und dass Sie viel gereist sind.

Alan Drew: Während wir in Istanbul lebten, reisten wir viel, das war wunderbar. Als wir dort weggingen, gingen wir nach Iowa, um unsere Master-Abschlüsse zu machen. Meine Frau machte einen Master in Bildung, ich einen im Schreiben. Als ich dort war, begann ich, das Buch zu schreiben und etwa nach der Hälfte zogen wir nach Cincinnati und bekamen ein Kind, weil meine Frau von da stammt. Ich arbeitete am Buch, recherchierte ständig, redete mit Leuten in Istanbul, las alles, was ich über die Türkei finden konnte und veröffentlichte dann das Buch.
Jetzt sind wir gerade nach Philadelphia gezogen und ich unterrichte Schreiben an der Villanova-Universität, und fahr rum und mache diese Sachen, wie sie wissen.

Media-Mania.de: Das hier war Ihr erstes Buch, werden Sie mehr schreiben? Oder haben Sie im Moment irgendwelche Projekte?

Alan Drew: Ich soll in ungefähr einem Jahr ein weiteres Buch in den Staaten veröffentlichen, also muss ich noch ein Buch schreiben oder ich kriege Ärger. Ich habe an einem zweiten Buch gearbeitet, es war eine stressige Zeit, wir haben ein zweites Kind gekriegt und sind umgezogen und immer über dieses Buch zu reden, das hat mich vom Schreiben abgehalten, aber ja, ich soll bald ein zweites Buch haben und das spielt wieder einmal in der Türkei. Ich glaube, ich will ein Buch schreiben, das jede Seite von Istanbul zeigt und das vielleicht nicht ganz so tragisch ist.

Media-Mania.de: Haben Sie noch andere Pläne für die Zukunft?

Alan Drew: Mal sehen: Versuchen, meine Kinder groß zu ziehen, sie zu anständigen Leuten zu machen ?
Ich muss dieses Buch beenden und vielleicht als Professor ?.. verdienen. Wir nehmen unsere Kinder zum ersten Mal international, im Januar werden wir in Paris sein, das wird toll. Meine Fantasie wäre, an einer Universität zu unterrichten, weiter zu schreiben und dann die Sommer im Süden der Türkei an der Mittelmeerküste zu verbringen. Aber das ist die Fantasie, mal sehen, ob sie jemals eintritt.
Ich werde weiterhin schreiben und hoffentlich gute Bücher schreiben, ein guter Vater, ein guter Ehemann und ein guter Lehrer sein, denke ich.

Media-Mania.de: Vielen Dank für das Interview.

Alan Drew: Vielen Dank.
Geführt von Vera Schott am 16.10.2008