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Wir haben Erfolg!
Interview mit Dr. Kerstin Finkelstein
Media-Mania.de: Frau Dr. Finkelstein, Sie haben das im Frühjahr 2008 erschienene Buch "Wir haben Erfolg! - 30 muslimische Frauen in Deutschland" verfasst. Auf der Frankfurter Buchmesse fand eine sehr interessante Podiumsdiskussion zum Thema und zum Buch statt, an der sich zwei der porträtierten Frauen und Sie selbst beteiligten.
Das Buch besteht aus Kurzbiografien von in Deutschland lebenden muslimischen Frauen mit Migrationshintergrund, die ihren Weg gegangen sind und ein erfülltes Leben führen.
Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Buch? Denn wirklich spektakulär ist ja das aus der Sicht des Durchschnittsbürgers Extreme oder auch das Klischee, also die junge Frau, die Opfer eines Ehrenmordes wird, oder die Muslimin mit Kopftuch, die einige Schritte hinter ihrem Mann hergeht, mit prallen Plastiktüten bepackt und eine Menge Kinder im Schlepptau - nicht jedoch eine türkischstämmige Zahnärztin oder Chefin einer Reinigungsfirma.


Kerstin Finkelstein: Genau das war der Ansatzpunkt meines Buches: Wenn hierzulande über Migranten gesprochen wird, dann eben zumeist nur in Zusammenhang mit Kriminalität, Arbeitslosigkeit, mangelnder Bildung, Unterdrückung der Frau und anderen negativen Bildern. Ich habe das selbst auch stark erlebt, als ich nach einem Buch über Deutsche, die im Ausland leben, eines über Einwanderung geschrieben hatte und zu meinen Lesungen fast ausschließlich Menschen kamen, die neue Gräuelgeschichten hören wollten.

Media-Mania.de: Was möchten Sie mit Ihrem Buch bewirken über die bloße Erkenntnis hinaus, dass in Deutschland lebende Musliminnen mehrheitlich keineswegs den Klischees entsprechen?

Kerstin Finkelstein: Ich würde mich freuen, wenn in Deutschland der Bereicherung, die durch Migration entstehen kann, mehr Aufmerksamkeit gewidmet würde. Es ist gut, Probleme zu benennen, da nur so Lösungen gefunden werden können. Zugleich sollte jedoch auch nie der Gewinn aus dem Auge verloren werden, den sowohl Zuwanderer als auch Aufnahmeland durch Migration erlangen können. Jeder Mensch, der sich in zwei Kulturen auskennt, hat die Chance zu vergleichen und für jede Situation verschiedene Handlungsweisen und Wege herauszufinden. Der Gesellschaft steht so ein großes Potential an Entwicklung zur Verfügung. Leider fehlt in Deutschland manchmal die Bereitschaft dazu, etwas, dass man "schon immer so gemacht hat" zu ändern - auch wenn es bessere Lösungsmöglichkeiten gäbe. Das erleben im übrigen nicht nur Migranten, sondern auch Deutsche, die eine Weile im Ausland gelebt haben und dann zurück in der Bundesrepublik ihre Erfahrungen einbringen wollen, aber selten gefragt werden.

Media-Mania.de: Wie haben Sie die dreißig Frauen gefunden, die ja über die gesamte Bundesrepublik verstreut leben und vom Hintergrund her sehr unterschiedlich sind?

Kerstin Finkelstein: Einige der Frauen habe ich über das Internet gefunden, über andere wurde bereits einmal in der Zeitung geschrieben, wieder andere fanden sich unter den Bekannten von Bekannten und schließlich kennen erfolgreiche Migrantinnen in der Regel auch wiederum andere erfolgreiche Migrantinnen, so dass ich mir Empfehlungen geben lassen konnte.

Media-Mania.de: Die von Ihnen vorgestellten Frauen üben ganz unterschiedliche Berufe aus. Sie sind Ärztinnen, Unternehmerinnen, Polizistinnen und Professorinnen, engagieren sich in der Politik oder im sozialen Bereich, auch, um andere Migranten zu unterstützen, oder betätigen sich künstlerisch wie Lady Ray.
Wie definieren Sie den Begriff "Erfolg", das Schlagwort in Ihrem Buchtitel?


Kerstin Finkelstein: "Erfolg" definierte ich im Zusammenhang mit dem Buch als Karriere, die sich innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft vollzogen hat. Dabei war es mir wichtig, das ganze Spektrum der beruflichen Tätigkeiten darzulegen, um deutlich zu machen, dass eine Frau mit Migrationshintergrund eben nicht nur Anwältin, sondern auch Profifußballerin oder Balletttänzerin werden kann.

Media-Mania.de: Haben Sie eines oder mehrere Schicksale, denen Sie bei der Arbeit an diesem Buch begegnet sind, besonders berührt? Wenn ja, warum?

Kerstin Finkelstein: Das Wort "berühren" würde ich hier vielleicht weniger verwenden, da die Lebensgeschichten der von mir vorgestellten Frauen ja alle "gut" ausgegangen sind - derzeit leben sie die von ihnen angestrebten Träume und Ziele. Ihr Weg dorthin war selbstverständlich unterschiedlich steinig, denn neben den von ihren Eltern geförderten Frauen, deren Entwicklung bruchlos verlaufen konnte, fanden sich unter meinen Interviewpartnerinnen auch einige, die sich ihren Weg innerhalb der Familie und der Gesellschaft sehr hart erkämpfen mussten, oder die Kriege miterlebten.

Media-Mania.de: Welches Fazit ziehen Sie angesichts Ihrer Erfahrungen bezüglich der Integration von Musliminnen - und auch Muslimen - in Deutschland: Sind wir auf einem guten Weg? Was ließe sich verbessern?

Kerstin Finkelstein: Ich denke, dass Deutschland zumindest inzwischen so weit ist, an einer Integration wirklich Interesse zu haben. Das sah ja über viele Jahrzehnte anders aus, als zum Beispiel Migrantenkinder noch in separaten Klassen in ihrer Muttersprache unterrichtet wurden, um ihnen die "Rückkehroption" offen zu halten. Inzwischen wird der Fakt weitestgehend anerkannt, dass in Deutschland Millionen Einwanderer leben, die durchaus vorhaben, auch hier zu bleiben. Erst mit dieser Erkenntnis ist dem konkreten Handeln, das Integration überhaupt ermöglicht, der Weg geebnet. Insofern sind wir seit einigen Jahren auf einem guten Weg. Dennoch folgt auch heute noch oftmals der Analyse keine Tat. Anders ist zum Beispiel nicht zu verstehen, warum nicht mehr Geld in die Bildung fließt, um große Klassen mit einem zusätzlich hohen Anteil an Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache zu verhindern. Deutschland hat mit den "Gastarbeitern" keine Akademiker ins Land geholt, sondern Menschen, die hier einfachste Arbeiten verrichten sollten. Da hierzulande noch immer gilt, dass Akademikerkinder meist Akademiker werden und Arbeiterkinder Arbeiter, wir aber zugleich keine Arbeiter mehr brauchen, da wir jetzt Maschinen haben, entsteht unter anderem durch das Bildungsproblem eben auch ein soziales Problem. Anstatt die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgehen zu lassen, bräuchten wir also eine Politik, die echte Aufstiegschancen einräumt. Wenn Migranten dann auch noch zum Beispiel in Form eines solchen Buches Vorbilder hätten, die ihnen zeigen, dass es möglich ist, seine Ziele zu verwirklichen, dann denke ich, hätten wir einen entscheidenden Schritt getan.

Media-Mania.de: Sie haben sich auch vor "Wir haben Erfolg!" bereits mit dem Thema Migration befasst, freilich in umgekehrter Richtung, nämlich mit den Gründen dafür, warum Deutsche auswandern. Was fasziniert Sie so sehr am Thema Auswanderung?

Kerstin Finkelstein: Ich habe selbst fünf Jahre im Ausland gelebt, zunächst in Wien und Prag, dann in Buenos Aires, wo ich zwei Jahre arbeitete. Es gibt derzeit etwa 200.000 Deutsche, die unser Land jährlich verlassen, weil sie meinen, ihre Träume anderswo leichter in die Realität umsetzen zu können - manche gehen, weil sie hier ihre wirtschaftliche Existenz nicht mehr gesichert sehen, weil sie sich in einen Ausländer verliebt haben oder weil sie sich schlicht nach einer oftmals strahlenden Sonne sehnen. Mich hat bei meinen Recherchen zu "Ausgewandert. Wie Deutsche in aller Welt leben", für das ich eine Weltreise machte und viele Auswanderer interviewte, sehr interessiert, was aus diesem Traum vom Auswandern in der Realität bleibt. Schließlich kann man noch so gut planen und sich Gedanken machen - das Leben sieht nicht nur im Ausland dann doch oft ganz anders aus, als man es sich zwischen den eigenen Ohren ausgemalt hat. Das Faszinierende am Thema der Wanderung überhaupt ist für mich sicher, wie der Mensch sich wandelt, wenn er seine Umgebung austauscht. Um also herauszufinden, welche Potentiale noch in einem schlummern und auf was man auf gar keinen Fall verzichten möchte, ist ein langer Aufenthalt im Ausland sicher eine ideale Chance. Und zur Sicherheit kann man ja auch immer noch ein Rückflugticket lösen!

Media-Mania.de: Media-Mania.de bedankt sich für das Interview und wünscht Ihnen weiterhin viel Erfolg - in jeder Hinsicht!



Das Interview wurde im Dezember 2008 von Regina Károlyi per E-Mail geführt.
Geführt von Regina Károlyi am 30.11.2008