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Deutsche Literatur auf einen Blick
Interview mit Ralf Georg Bogner
Media-Mania.de: Guten Tag, Herr Bogner,
vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben. Im Sommer ist Ihr Kanon der deutschen Literatur erschienen. Wie kamen Sie auf die Idee, einen Kanon herauszugeben?

Ralf Georg Bogner: Die Idee kam vom Verlag. Ich habe die Idee aber gerne aufgegriffen und umgesetzt. Ich fand es eine sehr spannende Herausforderung, ein Handbuch zu den wichtigsten Werken der deutschsprachigen Literatur herauszugeben. Natürlich ging es auch darum, eine Alternative zu Frenzels längst überholten „Daten deutscher Dichtung“ zu erarbeiten. Der Band ist daher gut lesbar geschrieben, dennoch wissenschaftlich fundiert und auf aktuellem Stand.

Media-Mania.de: Ein Kanon ist ein vielumstrittenes Mittel zur Darstellung der aktuell als wertvoll angesehenen Werke. Wie war die Resonanz auf Ihr Buch?

Ralf Georg Bogner: Da muss ich Ihnen widersprechen. Ein wissenschaftlich sauber recherchierter Kanon ist in seinem Kern überhaupt nicht umstritten. Jeder weiß, dass das „Nibelungenlied“, die großen Lieder Luthers wie „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ oder Goethes „Faust“ feste Bestandteile unseres kulturellen Gedächtnisses sind. Und diese Werke kann man durch eine größere Recherche, wie ich sie durchgeführt habe, eruieren. Darauf basiert die Auswahl, nicht auf persönlichen Einschätzungen meinerseits. Wichtig war mir allerdings, dass die Literaturgeschichte in ihrer historischen Dimension nicht zu kurz kommt. Nicht nur Thomas Mann, Günter Grass und viele andere Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts oder gar der Gegenwart haben Beiträge zum Kanon geschrieben. Vielmehr reicht die Reihe großartiger Werke in deutscher Sprache zurück bis ins 8. Jahrhundert. Alle bisherigen Reaktionen haben das gewürdigt.

Media-Mania.de: Wie viele der 400 aufgezählten Werke haben Sie persönlich gelesen?

Ralf Georg Bogner: Ich bin Universitätsprofessor für Geschichte der deutschsprachigen Literatur und habe, mit einigen wenigen Ausnahmen, selbstverständlich alle behandelten Werke gelesen. Ich habe ja auch selbst etwa 100 der insgesamt 400 Werkdarstellungen geschrieben und die etwa 300 Artikel anderer Verfasser alle redigiert. Das wäre nicht möglich gewesen ohne vorherige Lektüre der Texte.

Media-Mania.de: Inwiefern glauben Sie, sollte ein Deutscher, der nicht beruflich mit Literatur zu tun hat, die von Ihnen ausgewählten Werke kennen?

Ralf Georg Bogner: Ich würde keinen Imperativ formulieren. Ich freue mich über jeden, den ich zum Lesen anregen kann. Im Übrigen gehören, wie bereits erwähnt, diese Werke zum Zentrum unserer kulturellen und literarischen Identität und sind, wenigstens dem Titel nach, zu großen Teilen vielen einigermaßen Gebildeten bekannt. Man weiß, dass es „Merseburger Zaubersprüche“ oder einen herrlichen Schelmenroman über Simplicissimus gibt, und wenn man sich ein wenig darüber informieren möchte, liest man in meinem Handbuch nach.

Media-Mania.de: Auf der Frankfurter Buchmesse dieses Jahr wurde auch wieder das eBook heiß diskutiert. Wo sehen Sie Vor- und Nachteile des eBooks im Vergleich zum gedruckten Buch? Wird das eBook die Buchbranche verändern?

Ralf Georg Bogner: Wenn ein Mensch nach einem Arbeitstag an einem Computerarbeitsplatz am Abend zum Lesen von Literatur gerne auch noch in eine Mattscheibe starrt, soll er das von mir aus gerne tun. Ich persönlich bevorzuge bei der Lektüre ein schön gestaltetes, fein gebundenes und wohlriechendes Buch aus gutem Papier. Um künftige Veränderungen in der Buchbranche prognostizieren zu können, müsste ich Prophet sein.

Media-Mania.de: Die Frage, ob Sie viel lesen, erübrigt sich ja. Aber haben Sie einen Lieblingsort, an den Sie sich beim Lesen zurückziehen?

Ralf Georg Bogner: Ja, eine Couch im Wohnzimmer.

Media-Mania.de:
Welches Buch lesen Sie gerade beziehungsweise was war das letzte Buch, das Sie gelesen haben?

Ralf Georg Bogner: Ich lese im Moment wieder Adalbert Stifters Erzählung „Bergkristall“ in Vorbereitung auf eine Vorlesungsstunde nächste Woche, in der ich den Text behandle.

Media-Mania.de: Vielen Dank für das Interview!
Geführt von Vera Schott am 28.10.2009