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Interview mit Esther Schoonbrood über ihr Buch "Erklär mir die Liebe"
Interview mit Esther Schoonbrood
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Sehr geehrte Frau Schoonbrood, gemeinsam mit der Journalistin Barbara Dobrick haben Sie sich an ein heikles Projekt gewagt: nämlich daran ein Buch zu schreiben, das Eltern beziehungsweise Mütter dabei unterstützt ihren, heranwachsenden Töchtern zu erklären, was es mit den Veränderungen in der Pubertät und der aufkeimenden Sexualität auf sich hat. Weshalb meinen Sie, dass der Buchmarkt noch ein weiteres Aufklärungsbuch benötigt?

Esther Schoonbrood:
Ich war es den über 25.000 Schülerinnen schuldig, mit denen ich in den letzten zehn Jahren im Gespräch war. Durch meine Ärztinnen-Fragestunden mit Mädchen bin ich tagtäglich so nah an den Jugendlichen dran wie sonst nur die beste Freundin. Ich kenne ihre Sorgen und Nöte, ich weiß exakt, was sie von ihren Müttern erwarten und was ihnen fehlt. Ein Buch mit einem umfassenden Aufklärungskonzept für die Erfordernisse der heutigen Zeit gab es auf dem Buchmarkt nicht. Ich wünsche den Mädchen sehr, dass es immer noch weitere Verbreitung findet.

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Ein Buchprojekt gemeinsam zu starten ist ein sehr kreativer, aber manchmal auch sicherlich anstrengender Prozess, da mehrere Autoren auch unterschiedliche Meinungen vertreten. Gab es bei Ihnen große Schwierigkeiten zu entscheiden, welche Themen in das Sachbuch unbedingt mit aufgenommen werden sollten?

Esther Schoonbrood:
Das war bei uns nicht so problematisch, weil unsere Aufgaben unterschiedlich waren. Das inhaltliche Wissen, die Themenauswahl war durch meinen riesigen Erfahrungsschatz bestimmt. Meine Co-Autorin hatte zum einen die Idee, überhaupt ein Buch aus alledem zu machen, und das journalistische Know-how, wie man so etwas aufbereitet und präsentiert. Natürlich haben wir um so manche Formulierung gerungen, denn bei diesem Thema beinhaltet die Wortwahl ja oft gleich eine Wertung. Wertmaßstäbe waren uns beiden wichtig – natürlich nicht zu 100% immer deckungsgleich. Den Eltern wollten wir zeigen, wie man offen ist und dennoch Maßstäbe setzt.

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In „Erklär mir die Liebe!“ sind sehr viele bebilderte medizinische Infotafeln enthalten. Gehen Sie davon aus, dass sich die Töchter diese alleine ansehen und informieren, oder sind sie eher dazu gedacht, den Müttern die informelle Grundlage für die Aufklärungsgespräche an die Hand zu geben?

Esther Schoonbrood:
Das Gespräch mit der Mutter ist für ein Mädchen unglaublich wichtig, gleichzeitig ist diese Tradition im Schwinden. Eltern glauben, die Kinder wüssten alles aus der Schule oder dem Internet. Sie täuschen sich dabei gewaltig über die verwirrenden und oft skandalösen Inhalte dieses Wissens. Unser Buch können ältere Mädchen gerne in die Hand nehmen, eigentliche Zielgruppe aber sind Mütter, Omas, Lehrerinnen, die je nach Alter des Kindes das Passende für Gespräche verwenden.

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Frau Schoonbrood, Sie kommen in Ihrer medizinischen Arbeit mit vielen verwirrten und Hilfe suchenden Mädchen in Kontakt, denen Sie oftmals die verwirrenden Rätsel der Sexualität erklären und entwirren. Inwieweit benötigen denn deren Eltern ebenfalls Aufklärung, wie weit ist in der Elterngeneration das medizinische Sachwissen überhaupt vorhanden oder braucht es dort zusätzlich Nachhilfe?

Esther Schoonbrood:
Die wichtigste „Nachhilfe“ ist, den Müttern zunächst zu erschließen, dass vieles scheinbar Selbstverständliche für jede neue Generation wieder neu und verwirrend ist. Körperliche Veränderungen verunsichern heutige Pubertierende genauso wie ihre erwachenden Sehnsüchte und die Andersartigkeit der Jungen. Hinzu kommt seit einigen Jahren eine Überflutung mit pornografischen Inhalten, deren Verbreitung sogar schon unter jungen Kindern sehr vielen Erwachsenen völlig verborgen ist. Wie man behutsam, doch offen aufklärt und zugleich Maßstäbe vermittelt, das ist das Thema des Buches. Heranwachsende brauchen klare Haltungen von ihren Eltern. Sie wollen nicht nur Sex und Verhütung kennen, sie suchen ja die Liebe – und sie suchen nach den Zusammenhängen zwischen all dem für ihr erwachendes Liebesleben.

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Sie selbst haben zwei Töchter. Konnten Sie dadurch, dass Sie ohnehin viel Kontakt zum Thema haben, deren Aufklärung leichter handhaben oder ist es für Sie genauso schwer, den richtigen Ton zu treffen, wie für alle anderen Mütter?

Esther Schoonbrood:
Klar, für mich war es leichter. Das Thema war am Küchentisch dauernd präsent. Und ich konnte problemlos das tun, was ich allen Müttern empfehle: ganz viel drüber reden, ohne das Kind selbst zu meinen oder eine aktuelle Situation. Also die Menstruation, Binden, Tampons nebenbei erklären, weil da gerade ein Anknüpfungspunkt auftaucht. Oder über Treue, Liebe oder Verhütung reden, wenn ein Film in Vorlage geht. Über die Bedeutung von Sexualität reden, wenn noch gar kein Freund da ist und so fort. Das ist dann der richtige Ton. Ich hatte darin natürlich besondere Übung, aber mit kundiger Anleitung, wie in unserem Buch, kann das jede Mutter hinkriegen.

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Ich denke, das wichtigste Kapitel des Buches befindet sich ganz am Ende. Hier wird davor gewarnt, welche Schäden die sexualisierte Werbung, Pornofilme, Gewaltdarstellungen und die sexuell geladene Sprache bei den Gefühlen von Kindern und Jugendlichen bewirken können. Hören denn Ihre eigenen Kinder in Ihren Augen Musik mit zweifelhaften Texten und bewegen sich frei im Internet? Wie versuchen Sie, Ihre Töchter vor den Gefahren zu schützen?

Esther Schoonbrood:
Da haben Sie recht. Das wichtigste Kapitel sensibilisiert Eltern dafür, was Kinder heute an pornografischen Inhalten „serviert“ bekommen – und ihren wirklichen Gefühlen so krass entgegensteht. Mit 13 Jahren schauen 50% der Jungen willentlich Pornos, bei den Mädchen haben mit 14 Jahren die Hälfte zufälligen Kontakt zu Pornografie. In jede Klasse schwappt das rein, auch in den Grundschulen schon! Beim Beginn der pornografischen Welle waren meine Kinder schon größer – und bekamen Erklärungen und Maßstäbe an die Hand. Verbote waren nicht wirklich nötig, aber ich halte Verbote im Bedarfsfall für sehr sinnvoll, denn sie haben einen normierenden Charakter. Nicht Verbote MACHEN manche Dinge verlockend, sondern manches IST verlockend. Am wichtigsten sind sicher aber die positiven Inhalte: Wir müssen mit unseren Kindern über die Liebe sprechen, ihre große Kraft, die erforderlichen Opfer, die große Bereicherung. Und was sie mit Sexualität zu tun hat, über deren bindende Kraft und wie die Voraussetzungen dafür stimmen. Danach suchen Jugendliche ja im Innersten eigentlich!

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Viele Mädchen träumen davon, eines Tages berühmt zu werden und viel Geld zu verdienen. Was ist Ihre persönliche Meinung zu solchen Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder die vielen Modelsendungen, in denen immer jüngere Kandidatinnen dem Fernsehpublikum
vorgeführt werden?


Esther Schoonbrood:
Eltern sollten diese Sendungen limitieren und kommentieren! Nur so kann sich ein Wertesystem entwickeln, das fürs Leben taugt. Beziehungsfähigkeit fällt nicht vom Himmel, sie wird durch Erziehung und durch richtig verstandene, das heißt ganzheitliche Aufklärung erworben. DSDS ist dafür nicht hilfreich. Fernseher und Internet für Kinder allein in ihrem Zimmer erfüllen nach allem, was ich erlebe, oft den Tatbestand der Körperverletzung.

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Abschließend noch eine allerletzte Frage: Was ist für Sie die wichtigste Botschaft, die Sie mit „Erklär mir die Liebe!“ den aufwachsenden Mädchen und ihren Müttern vermitteln wollen?

Esther Schoonbrood: An die Mädchen: Euer Körper ist etwas Wunderbares und mit ein paar Tricks weiß man auch gut mit ihm umzugehen. Eure zarten Gefühle sind die richtigen, lasst sie euch nicht kaputt machen. Pornos sind Umweltverschmutzung fürs Herz, am besten geht man sofort weg. Wartet auf den Traumprinzen, nur mit dem Richtigen verzaubert sich Sex eines Tages zu etwas wirklich Schönem.
Und an die Mütter: Nehmen Sie die Gefühle von Scham oder Ekel sehr ernst und bestätigen Sie sie als normal, das öffnet Türen! Warten Sie nicht auf Fragen, nehmen Sie die Fragen vorweg! Sprechen Sie positiv vom Weiblichsein, vom Körper der Frau, vom Warten auf den Richtigen, von der Liebe. Geben Sie auch dann nicht die Aufklärung auf, wenn Ihre Pubertierenden vorgeben, Sie als Mutter abzulehnen.
Geführt von Daniela Hanisch am 30.04.2010