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 Beim Häuten der Zwiebel


Cover
Gesamt ++---
Anspruch
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Bereits vor der Veröffentlichung löste Grass’ "Beim Häuten der Zwiebel” eine heftige Diskussion aus, in der es vor allem um seine Mitgliedschaft bei der Waffen-SS ging beziehungsweise darum, warum er so lange darüber geschwiegen hatte. Der Zeitraum, den Grass in seinem Buch beschreibt, umfasst die Jahre zwischen Kriegsausbruch 1939 und dem Erscheinen seines ersten Romans, der Blechtrommel, 1959. Grass’ Zeit bei der Waffen-SS macht also einen eher geringen Teil des Buches aus, in dem er vom Ende seiner Kindheit mit Ausbruch des Krieges erzählt, von der Enge der Wohnung und der Flucht in den Krieg, vom Hunger in der Kriegsgefangenschaft und von fleischlichen Gelüsten und dem sexuellem Begehren danach. Und schließlich vom Wunsch ein Künstler zu werden, zuerst verfolgt als Steinmetzpraktikant und schließlich als Student an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Im Sommer sechsundfünfzig geht Grass mit seiner Frau Anna nach Paris und tippt dort auf seinem Hochzeitsgeschenk, der mittlerweile berühmten Olivetti, "Die Blechtrommel”, die schließlich im Herbst neunundfünfzig erscheint.

Günter Grass ist unbestritten einer der bedeutensten deutschen Autoren. Er tritt häufig als Kommentator des aktuellen Tagesgeschehens in Erscheinung, gilt als intellektuelle und moralische Instanz und engagierte sich für Wahlkämpfe der SPD. 1999 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Seine 2006 erschienene Autobiographie mit dem wunderbaren Titel "Beim Häuten der Zwiebel” löste eine alsbald ausufernde Debatte in den Medien aus. Die Biographie, die auf satten 479 Seiten zwanzig Jahre Grassschen Lebens zum Inhalt hat, zeigt deutlich, wie sehr diese Zeit in die Romane des Autors eingeflossen ist. Kundige Grass-Leser werden einige interessante Parallelen zwischen dem Leben und den Romanen des Autors entdecken, zumal Grass diese Parellelen selbst zieht und beschreibt, wie er Ereignisse und vor allem Personen in seinen Büchern verarbeitet hat. An diesen Stellen im Text ist es gut, die Romane zu kennen. Kennt man sie nicht, steht man ein wenig verloren im beschriebenen Gedränge von Realität und Fiktion.

Den Leser erwartet natürlich Literatur im Grass-Stil: teilweise überaus detailreich, verklausulierte Sätze, metaphern- und symbolreiche, rhythmische Sprache. Neben der Zwiebel greift Grass auch immer wieder einen Bernstein mitsamt eingeschlossenem Insekt auf. Während die Zwiebel nach und nach gehäutet wird, auf diese Weise nach und nach Erinnerungen freigibt, existiert im Bernstein gleichsam offensichtlich und doch nicht zu ergreifen das Insekt, ergo die Vergangenheit. Überhaupt sind Erinnern und Gedächtnis zentrale Themen im Buch und immer wieder stellt Grass die Frage, inwieweit man seinen Erinnerungen trauen kann, ob etwas wahr oder Fiktion ist, wer der junge Mann ist, über den er schreibt. So flüchtet er oft in die dritte Person; ist also zugleich Beobachter seiner selbst. Durch diese Entfremdung und das Einnehmen einer Kameraperspektive verliert das Buch an Glaubwürdigkeit und Authentizität. Gefühle von Reue oder Schuld, die sein Wirken in der NS-Zeit betreffen, nimmt man ihm nicht ab, auch wenn er sie formuliert. Dafür sind sie zu weit entfernt von dem Grass, der über sich schreibt. Emotionalität geht unter dieser steten Analyse vollständig verloren. Das Bild, das Grass hier von sich zeichnet, ist das eines Kopfmenschen. Menschen und Ereignisse, egal wie nah oder fern von ihm, werden beobachtet, werden beschrieben, werden analysiert. Die Art und Weise, wie Grass mit seiner Vergangenheit umgeht, wie er sich und ebenjene Vergangenheit dem Leser präsentiert, wirkt auf Dauer einfach zu selbstverliebt, als dass sie den Leser auf seine Seite ziehen könnte. Schon die ständige Wiederholung des Zwiebel- und Bernsteinmotivs stößt unangenehm auf. Die Erkenntnis, dass Erinnerungen trügerisch sein können, ist eine triviale. Der Vorsatz, sich ihrer beim Schreiben bewusst zu sein, durchaus löblich, wenngleich man das von einem Günter Grass erwartet. Vom übertriebenen Gebrauch der Symbole und der redundanten Auseinandersetzung mit dem Thema Erinnerung bleibt nichts als ein schaler Geschmack zurück und der Gedanke: Da hört sich einer gerne reden.

Katja Maria Weinl



Taschenbuch | Erschienen: 01. Mai 2008 | ISBN: 9783423136556 | Preis: 9,90 Euro | 479 Seiten | Sprache: Deutsch

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