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 Der Chinese

Autoren: Henning Mankell
Übersetzer: Wolfgang Butt
Verlag: Zsolnay

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


In einer eisigen Nacht wird das kleine schwedische Dorf Hesjövallen nahezu ausgelöscht. Neunzehn Menschen werden brutal ermordet, ja regelrecht in ihren Häusern abgeschlachtet. Die ungeheure Bluttat erschüttert ganz Schweden; ein Verbrechen von vergleichbarem Ausmaß ist bisher noch nie passiert. Die Polizei geht der Frage nach, ob es sich um die Tat eines Irren handelt oder um ein bedächtig geplantes und ausgeführtes Verbrechen. Wer könnte ein Motiv haben, so viele Menschen kaltblütig umzubringen? - Zumal klar wird, dass die Opfer keinen schnellen Tod gestorben sind.
Die schwedische Richterin Birgitta Roslin verfolgt die Berichterstattung über den Fall per Zeitung und erkennt eine Verbindung zu ihrer eigenen Familie. Unter den Opfern sind die Pflegeeltern ihrer Mutter. Roslin macht sich auf den Weg nach Hesjövallen und stellt eigene Ermittlungen an. Neben einem rätselhaften roten Stoffband, das am Tatort gefunden wurde, stößt sie bald auf alte Tagebücher ihrer Vorfahren. Darin berichtet ein in die USA emigrierter Schwede von seinem Leben. Gibt es eine Verbindung zwischen dem Massaker an neunzehn Menschen und einer Geschichte, die sich vor über 150 Jahren ereignet hat?

Im Jahr 2008 waren die Augen der Welt auf China gerichtet, wo die Olympischen Spiele stattfanden. Geradezu passend zu diesem Anlass erschien im gleichen Jahr der neueste Roman von Henning Mankell. "Der Chinese" trägt die typische Handschrift Mankells - und ist doch anders als seine anderen Bücher. Nach dem melancholischen Roman "Die italienischen Schuhe", der kein Kriminalroman war, kehrt "Der Chinese" erstmal zu dem zurück, was Mankell zweifelsohne eindringlich beschreiben kann: Mord und Gewalt. Die Gewalt, bei deren Beschreibung der schwedische Autor ohnehin nie zimperlich ist, nimmt hier neue Ausmaße an, sodass man sich als Leser flüchtig fragt, wo eine Steigerung überhaupt noch möglich ist. Neunzehn Menschen in einem kleinen Dorf werden hier methodisch dahingemetzelt. Zwar wird die Tat selbst nicht beschrieben, aber dank einer detaillierten Beschreibung des Tatorts bleibt dann doch kaum etwas der Fantasie überlassen. Dennoch ist dies eigentlich kein klassischer Krimi. Die Tat rückt mit der Erzählung etwas in den Hintergrund und macht einer Betrachtung des alten und neuen China Platz, bis Mankell schließlich eine politische Theorie präsentiert, die China mit Afrika in Verbindung bringt.

Wieder einmal hat Mankell eine weibliche Hauptfigur gewählt. Die schwedische Richterin Birgitta Roslin stellt fest, dass sie eine Verbindung zu den Mordopfern hat, und stellt auf eigene Faust Ermittlungen an. Dabei führen ihre Nachforschungen sie auf die Spur eines Chinesen und folgerichtig bis nach China. Hier wird das Bild, das sie von China hat - als junge Frau war sie Mitglied einer kommunistischen Widerstandsgruppe, die nach den Grundsätzen von Mao handelte - gründlich auf die Probe gestellt.
Mankell unterbricht seine Erzählung nach einem Teil, der in Schweden im Jahr 2006 spielt, für ein langes Kapitel, das in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts spielt und von drei chinesischen Brüdern berichtet, die nach Amerika verschleppt werden und dort unter menschenunwürdigen Bedingungen den Ausbau der Eisenbahnlinie vorantreiben. Nur einer von ihnen kehrt schließlich nach China zurück. Den Zusammenhang zwischen der ungeheuerlichen Bluttat und diesem Einschub begreift der Leser schnell. Auch Birgitta Roslin erkennt rasch Parallelen, doch benimmt sie sich auf ihrer Chinareise teilweise sehr naiv und berichtet allen möglichen Leuten, die sie kaum kennt, von ihrem Verdacht. Dass eine erwachsene Richterin mit großer Berufserfahrung sich so sorglos verhält und natürlich auch prompt in Gefahr gerät, erscheint nicht sehr plausibel.

Der Roman hat zweifellos seine Längen. Mankell-Fans, die die anderen Kriminalromane des Autors kennen, werden sich unter Umständen langweilen, wenn ausführlich von den politischen und gesellschaftlichen Plänen chinesischer Machthaber berichtet wird. Die Geschichte der drei Brüder, die in die USA verschleppt werden, ist fesselnd, verliert sich aber leider bald ebenfalls in einigen Längen, die die Tragik zerstören und den Leser schließlich ungeduldig die Seiten umblättern lassen. Man merkt, dass Mankell das Thema am Herzen liegt und dass er sich viele Gedanken über China und seine Rolle in der zukünftigen Weltpolitik gemacht hat; man muss aber erstmal den Zugang zu diesem Thema finden. Neben einer gewissen Langatmigkeit spielt diesmal auch der Faktor Zufall eine zu große Rolle in diesem Werk. Wenn Birgitta Roslin nach Peking reist und damit sofort am richtigen Ort ist, ist das schon ein wenig unglaubwürdig. Wirklich störend sind die vielen kleinen Fährten, die Mankell auslegt und die nicht weiter verfolgt werden. Was spannend und verheißungsvoll wirkt, wird überhaupt nicht mehr angesprochen: das Verbrechen in den USA, das rote Band, der zuerst gefasste mutmaßliche Täter.

"Der Chinese" ist kein schlechtes Buch, es ist nur insgesamt weniger mitreißend als andere Romane von Henning Mankell und stellenweise auch ein wenig langatmig. Mehrere thematisch sehr unterschiedliche Handlungsstränge sind nicht immer überzeugend miteinander verwoben. Man sollte sich auf jeden Fall für die Themen China und Globalisierung interessieren, um Zugang zu der Geschichte zu finden. Wer ein eher politisches Buch lesen möchte, der ist hier richtig; wer einen klassischen Krimi oder Thriller erwartet, könnte enttäuscht sein - und wird mit Sicherheit Kurt Wallander und seine Tochter Linda vermissen.

Christina Liebeck



Hardcover | Erschienen: 01. Mai 2008 | ISBN: 9783552054363 | Originaltitel: Kinesen | Preis: 24,90 Euro | 603 Seiten | Sprache: Deutsch

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