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 Einführung in die Emotionspsychologie, Band II

Evolutionspsychologische Emotionstheorie


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Der zweite Band des von Meyer, Schützwohl und Reisenzein herausgegebenen Lehrbuchs behandelt die evolutionspsychologischen Emotionstheorien. Man mag bei dem Titel schaudern. Zu sehr hat sich die Idee eines Sozialdarwinismus in unseren Köpfen festgesetzt und wird dort mit dem Dritten Reich und seiner Rasseneugenetik verbunden. Doch wie im ersten Band erweisen sich die Autoren als hervorragende Kenner der Materie. Sie resümieren Darwins Theorie peinlichst genau. Wer bisher noch nicht diesen anderen, diesen echten Darwin kennt, wird ihn hier antreffen. Natürlich ist die Darwinsche Evolutionstheorie nur ein Teil des Lehrbuches. Sie wird im zweiten Kapitel - nach einer Einleitung im ersten Kapitel - vorgestellt.

Was aber haben nun Gefühle mit der Evolution zu tun? Sehr unmissverständlich zitieren die Autoren: "Natürliche Selektion kann nicht Verhalten per se selektieren; sie kann nur Mechanismen selektieren, die Verhalten produzieren." Das heißt, dass nicht Gefühle in der Evolution ausgewählt werden, sondern die Voraussetzungen (Mechanismen), Gefühle zu haben. Das Gefühl wird dann aktiviert, wenn es eine wirkliche oder scheinbare Funktion in einer konkreten Umwelt erfüllt. Tatsächlich spielt diese Aktualisierung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die zunächst doch sehr seltsame Frage mancher Therapeuten, wozu etwa der Depressive seine depressiven Gefühle brauche, oder der Gelangweilte seine Langeweile, oder der Verunsicherte seine Unsicherheit; diese Wozu-Fragen zielen auf die Funktion und Funktionalität von Gefühlen. Ob ein Gefühl dann als gelungene Anpassung gewertet werden kann, ist eine ganz andere Sache.

Wo Darwin in vielen Aspekten seines Werkes Darwinist ist, ist er bei der Phylogenese der Emotionen Lamarckist. Lamarck ging davon aus, dass es eine zweckmäßige Assoziation im evolutiven Geschehen gibt. Mit anderen Worten: Weil Giraffen ihre Hälse streckten, wurden die Giraffenhälse länger. Für die Giraffen bestreitet Darwin dies. Tiere mit längeren Hälsen hatten unter bestimmten Umweltbedingungen einfach den Vorteil, mehr Nahrung erreichen zu können. Dadurch wurde die Population mit längeren Hälsen selektiert und im Zuge der Evolution entstanden dann die Giraffen. Für die Gefühle aber gibt es eine soziogenetische Assoziation zwischen einer zweckmäßigen Mimik und Gestik und den entsprechenden Emotionen. Das heißt, dass der Ausdruck von Gefühlen sozial gelernt wird, auch wenn durch die Evolution die Möglichkeit bestimmter Gefühle und bestimmter Mimiken bereit gestellt wird. Da der Ausdruck von Gefühlen soziale Wirkungen zeigt, wird er schon beim kleinen Kind zu einer zweckmäßig eingesetzten Gewohnheit. Von diesen Annahmen leitet sich dann eine modernere Strömung der evolutiven Emotionstheorie ab: Die neuro-kulturelle Theorie nennt sich deshalb so, weil ‚neuro-’ auf genetisch vererbte Determinanten, kulturell auf sozial bedingte Determinanten Bezug nimmt. Diese und andere Weiterentwicklungen und Kritiken der Darwinschen Emotionstheorie werden in der zweiten Hälfte des zweiten Kapitels vorgestellt.

Das dritte Kapitel widmet sich der Sozialpsychologie von William McDougall. McDougall hat, gleichsam im Vorfeld einer Sozialpsychologie, abzuklären versucht, inwieweit psychische Phänomene aus der Entwicklungsgeschichte erklärt werden müssen. Dabei setzt er sich nicht von Darwin ab, sondern greift seine Ideen auf und entwickelt sie weiter. Für die Definition von Emotionen stützt er sich auf die angeborenen Instinkte von Menschen; diese bildeten die Basis für die grundlegenden Emotionen, beziehungsweise sind die grundlegenden Emotionen Begleittatsachen einiger (!) Instinkte. Beides, Emotionen und Instinkte, sind aber nicht biologistisch zu verstehen. Sie sind flexibel und veränderbar. Beim Menschen tritt zudem noch, laut McDougall, hinzu, dass Instinkte und Emotionen durch Assoziation und Vorstellung ausgelöst werden können. Dabei gibt McDougall auch zu bedenken, dass einige Instinkte erst spät heranreifen, zum Beispiel alle Instinkte, die zu einem adulten Verhalten gehören. Diese werden beim Menschen aber durch die wesentlich frühere Ausprägung kognitiver Fähigkeiten bereits im Vorfeld modifiziert. Schließlich sind es die assoziativen Leistungen des Verstandes, die ein und dasselbe Objekt zum Auslöser verschiedener Instinkte machen kann. Tritt dieser Fall ein, und das ist beim Menschen recht regelmäßig so, würden komplexe Sekundäremotionen ausgebildet. Dazu gehörten etwa Dankbarkeit, Bewunderung, Neid oder Ehrfurcht. Eine dritte Gruppe von Emotionen sind die sogenannten abgeleiteten Emotionen. Diese entstehen bei einer kognitiven Einschätzung des Handlungserfolges und begleiten nicht die angeborenen oder erlernten Handlungsimpulse. Zu diesen Emotionen gehören, laut McDougall, Zuversicht, Kummer oder Reue.

Die Emotionstheorie von Robert Plutchik ist Thema des vierten Kapitels. Auch Plutchik betrachtet Emotionen als Begleitzustände von psychomotorischen Abfolgen. Diese Abfolgen bestehen aus einem auslösenden Reiz, einer kognitiven Verarbeitung, einer physio-emotionalen Reaktion, einem Handlungsimpuls, einen Verhalten und einer Auswirkung (in der Umwelt). Die Auswirkung bilde, so Plutchik weiter, Rückkopplungen zu allen Teilkomponenten dieser Abfolge. Dadurch sei Lernen und das Ausbilden komplexer, milieuspezifischer psychomotorischer Abfolgen möglich. Das heißt auch, dass es in den Gefühlen eine Informationsfunktion gibt, die sich direkt oder auf Umwegen in das Lernen einschaltet.

Ein fünftes Kapitel widmet sich der Kritik der gleichsam angeborenen oder auch Basisemotionen und inwiefern die methodischen Untersuchungen dazu sinnvoll und haltbar sind. Das sechste Kapitel geht auf die moderne evolutionäre Psychologie ein. Exemplarisch wird hier die Weiterentwicklung am Phänomen der sexuellen Eifersucht aufgezeigt.

Wie der erste Teilband dieser Einführung ist auch dieser zweite Band so überaus klar, didaktisch klug und umfassend belesen, dass man kaum ein weiteres Wort zu Lesefreundlichkeit und fachlicher Orientierung verlieren braucht. All das macht das Buch nicht nur zu einem intellektuellen Vergnügen, sondern ist auch überaus spannend. Dass man das Buch trotzdem nicht rasch lesen kann, liegt vor allem daran, dass die problemorientierte Haltung der Autoren den Leser zum Nachvollziehen anregt: Man überdenkt andauernd kleine selbsterlebte Situationen neu und entnimmt ihnen - teilweise - überraschende Entdeckungen. Nötigt ein Buch so den Leser auf angenehme Art und Weise zu neuen Perspektiven und Reflexionen, bleibt nur eine mögliche Bewertung: hervorragend. Hervorragend zwar vor allem für Studenten und Professionelle, aber auch für den Laien, der sich nicht dem begriffsverwirrten Zeitgeist emotionaler Kompetenzen hingeben will, sondern diesen ein methodisches und kritisches Fundament geben möchte.

Frederik Weitz



Taschenbuch | Erschienen: 01. Februar 2008 | ISBN: 9783456839868 | Preis: 22,95 Euro | 222 Seiten | Sprache: Deutsch

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