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 Walden

oder Leben in den Wäldern


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis


Wie soll und will ich leben? Diese Frage stellt sich Henry D. Thoreau und zieht sich 1845 für zwei Jahre und zwei Monate in eine selbstgebaute Blockhütte in das Waldstück seines Freundes Ralph Waldo Emerson am Waldensee zurück. Walden oder Leben in den Wäldern ist das Buch zu diesem Experiment. Thoreau möchte fort aus seinem Alltag in Concord, einer kleinen Stadt in Massachusetts, und an einem See leben, wo er nur "den Wind im Schilf flüstern hört". Auf die Fragen seiner Freunde, was er denn dort machen wolle, antwortet er: "Ist es denn nicht Beschäftigung genug, den Lauf der Jahreszeiten zu verfolgen?"

Das fast dreihundertfünfzig Seiten starke Taschenbuch, das 2007 im Diogenes Verlag bereits in der 22. Auflage erschienen ist, enthält Essays, Prosa und Gedanken Thoreaus aus dieser Zeit. Ökonomische Betrachtungen über den Bau der Hütte und dem Leben vor Ort stehen am Anfang dieses Experiments, "Haus ... $ 12, Kartoffeln ... $ 0,10". Thoreau berichtet dem Leser ausführlich, wo und wofür er lebt. Er schildert die Geräusche seiner Umgebung, die Natur, in der und mit der er lebt, und natürlich den See. Einsam ist er nicht, wie das Kapitel über Besuche verrät. Seine Lektüre ist ebenso Thema wie die Heizung und die Nachbarn, Menschen und Tiere; am Ende des Buches stehen Reflexionen über den Frühling. Eingestimmt wird der Leser durch Stichworte des deutschen Schriftstellers Walter E. Richartz, dem Übersetzer von Thoreaus Buch "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat", und es schließt mit Anmerkungen, einem Sach- und Namensregister und einer Zeittafel über das Leben Thoreaus.

Henry David Thoreau wurde 1817 in Concord geboren. Nach seinem Studium war er kurze Zeit Privatsekretär bei dem amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit übte er verschiedene Gelegenheitsarbeiten aus und engagierte sich ein ganzes Leben lang im Kampf gegen die Sklaverei. Er gilt als der geistige Vater Gandhis, Martin Luther Kings und der gegenwärtigen Friedensbewegung. Einige sehen ihn als den Pionier des Natur- und Umweltschutzes, alternativer Lebensformen und zivilen Ungehorsams. Seinem Denken spricht man nachhaltigen Einfluss auf Autoren wie Allen Ginsberg oder Jack Kerouac und auch Hermann Hesse zu. Im Alter von gerade mal 44 Jahren verstarb Thoreau an Tuberkulose.

Kaum zu glauben, wie spannend es sein kann, seitenlange Beschreibungen über die Farbe und Oberfläche eines Waldsees zu lesen oder das Beackern eines Bohnenfeldes. Thoreau ist dabei kein Misanthrop, sondern liebt die Gesellschaft anderer ebenso sehr wie die meisten Menschen. "Wir müssen lernen wieder wach zu werden und uns wach zu erhalten", ruft er uns seit über hundertfünfzig Jahren vom Waldensee aus zu. Dies soll nicht durch mechanische Mittel geschehen, sondern durch die ständige Erwartung von etwas Höherem, die uns selbst im Schlaf nicht verlassen darf. Thoreau zieht in den Wald, weil er den Wunsch hat, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, dem wirklichen Leben näherzutreten, vom Leben selbst zu lernen, was es zu lehren hat, damit man nicht zur Stunde seines Todes erkennen muss, dass man nicht gelebt hat. Dabei geht es ihm nicht um die Entsagung an sich, außer sie ist unumgänglich; Thoreau will sich auf die Essenz des Lebens konzentrieren und alles ausschließen, was nicht Leben ist. "Vereinfache. Vereinfache", lautet seine Devise.

Auch heute noch finden sich ja immer wieder Nachahmer dieser Philosophie, die fordern, das eigene Leben zu entrümpeln, und jeder, der die Erfahrung gemacht hat, sich von Unnötigem zu trennen, weiß, wie viel Energie dies freisetzt und wie befreiend diese Maßnahme ist. Oder man denke an Heidemarie Schwermer, eine Psychotherapeutin, die beschloss ganz ohne Geld zu leben, und die ihre Erlebnisse in Büchern veröffentlicht. Anne Donath ist ein weiteres Beispiel. Sie errichtete ihr Holzhaus in einer deutschen Kleinstadt und lebt dort unter einfachsten Bedingungen, arbeitet jeweils ein halbes Jahr und reist die andere Hälfte. Ganz wie bei dem amerikanischen Transzendentalisten pilgern am Sonntagnachmittag die Nachbarn zu ihrem Häuschen, um sich an ihrem obskuren Leben zu ergötzen.

Nach Thoreau muss man, um ein Philosoph zu sein, wie ein Philosoph leben. Es ist nicht genug, geistreiche Gedanken zu haben oder eine Schule zu gründen. Nein, Thoreau fordert, dass man seine Weisheit so liebt, dass man nach ihr lebt, ein Leben von "Einfachheit, Unabhängigkeit, Großmut und Vertrauen". Nun, das tat er, und er lässt den Leser an seinen Erfahrungen teilhaben und macht Mut, dem Eigensinn zu folgen. Es geht ihm nicht darum, dass andere nach seinem Muster leben, er fordert auf, das ureigene Leben kreativ zu erschaffen, die eigene Wahrheit zu finden, den eigenen Träumen zu folgen und man selbst zu sein.

Welches Fazit zieht Thoreau nun aus seiner 26 Monate dauernden Gemeinschaft mit einem tiefgründigen See? "Wenn jemand vertrauensvoll in Richtung seiner Träume fortschreitet und danach strebt, das Leben zu leben, das er sich einbildet, so wird er Erfolg haben, von dem er sich in gewöhnlichen Stunden nicht träumen ließ. Hat man Luftschlösser gebaut, so braucht die Arbeit nicht verloren zu sein. Eben dort gehören sie hin. Jetzt lege das Fundament darunter!"

Dieses Buch ist ein Muss für jeden auf der Suche nach Wahrheit und alle, die die tägliche Trance verlassen und aufwachen möchten.

Sabine Seip



Taschenbuch | Erschienen: 01. August 2007 | ISBN: 9783257200195 | Originaltitel: Walden; or, Life in the Woods | Preis: 9,90 Euro | 342 Seiten | Sprache: Deutsch

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