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 Die ersten Israelis

Die Anfänge des jüdischen Staates

Autoren: Tom Segev
Übersetzer: Helmut Dierlamm, Hans Freundl
Verlag: Siedler

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Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Der israelische Historiker Tom Segev ist bekannt für eine besonders kritische Sicht auf die Geschichte seines Landes. Dieser Ruf gründet sich nicht nur, aber auch nicht zuletzt, auf das hier besprochene Werk, das bereits 1986 erschien, nunmehr aber erstmals in deutscher Sprache erhältlich ist.

Das Thema des Buches sind die Anfangsjahre des Staates Israel. Segev gliedert den Stoff anhand von vier Problemfeldern, die damals eine Rolle spielten. Es handelt sich um die politischen Konflikte

- zwischen Juden und Arabern,
- zwischen Veteranen und Neuankömmlingen,
- zwischen Orthodoxen und Säkularen und
- zwischen Vision und Realität.

Hierbei geht es ihm darum, deutlich zu machen, dass zwischen dem, was man den Gründungsmythos Israels nennen könnte und der historischen Wirklichkeit eine Kluft bestehe. Insbesondere hebt er hervor, dass viele Araber tatsächlich vertrieben worden seien, wie von ihnen selbst behauptet; dass sich die Israelis am Eigentum der geflohenen Araber bereichert hätten; dass die kulturelle Kluft zwischen askenasischen (europäischen) und sephardischen (orientalischen) Juden so tief gewesen sei, dass die gegenseitigen Vorurteile an Rassismus grenzten; dass viele Einwanderer lange in Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen mussten; dass es eine nationale Identität der Israelis nicht von Anfang an gegeben habe, und dass sie, soweit es sie gab, vielfach mit der jüdischen in Konflikt lag; dass in den ersten Jahren die israelische Wirtschaft eine Kriegs- und Planwirtschaft war, die von einer kafkaesken Bürokratie dirigiert wurde. Außerdem schildert Segev ausführlich das Ringen um den religiösen beziehungsweise säkularen Charakter des entstehenden Staates.

Segev hat viele israelische Archive in den achtziger Jahren als Erster ausgewertet. Seine Schilderung ist, als Frucht dieser Arbeit, außerordentlich detailreich; dies so sehr, dass der Leser den unaufhörlich auf ihn einplätschernden Details irgendwann nicht mehr folgen kann und will. Obwohl er sein Thema plausibel gegliedert hat, verzichtet Segev auf eine übergreifende Fragestellung wie auf eine belastbare Theorie: Er bietet dem Leser keinen roten Faden, anhand dessen seine Erzählung Kontur und Spannung gewinnen könnte.

Nicht einmal das Spiel "Was-wäre-gewesen-wenn", mit dem Historiker sonst gerne Problemlagen verdeutlichen, gönnt er dem Leser. Er versucht gar nicht erst, den Handlungsspielraum der politisch Verantwortlichen analytisch auszuloten. Stattdessen stellt er dort, wo er überhaupt problematisiert, mit einer für einen Historiker erstaunlichen Naivität den Anspruch und Wirklichkeit gegenüber: Wenn er zum Beispiel referiert, dass israelische Politiker überlegten, bevorzugt junge, qualifizierte und nicht zuletzt kampffähige (statt alter und kranker) Einwanderer ins Land zu holen, und dies zu einem Zeitpunkt, wo der Staat von Einwanderern geradezu überrannt wurde und nicht wusste, wo und wie er sie unterbringen sollte, dann kommentiert Segev naserümpfend, dies sei eher eine israelische als eine jüdische und nicht einmal eine zionistische Sichtweise.

Bleibt zu kommentieren, dass Segevs eigene Sichtweise jedenfalls nicht die eines Historikers ist. Man hat eher den Eindruck, dass er die von ihm selbst geschilderte Enttäuschung nicht verkraftet hat, dass die Gründung des Staates Israel weniger heroisch, weniger edelmütig, weniger human verlaufen ist als es die historische Legende will. Statt aber an die Stelle der Legende eine differenzierte Analyse zu setzen, überschwemmt Segev den Leser mit Empirie, verbleibt aber bei der Analyse in den Kategorien von Ideal und Wirklichkeit.

Manfred Kleine-Hartlage



Hardcover | Erschienen: 01. April 2008 | ISBN: 9783886808892 | Originaltitel: 1949. The First Israelis | Preis: 24,95 Euro | 414 Seiten | Sprache: deutsch

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