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 Kohle

Mit Volldampf zum Reichtum


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Glück
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Spielregel
Strategie


Wenn sich der Autor eines Spiels noch innerhalb der Spielregel für selbige entschuldigt, dann ist das erstmal kein gutes Zeichen. So geschehen mit dem britischen Autor Martin Wallace und seinem 2007 erschienenen Titel "Brass", ein Spiel, das in Spielerkreisen einerseits deswegen zu Berühmtheit gelangte, weil seine Regel phänomenal verwirrend strukturiert war - und andererseits deswegen, weil es sich um ein geniales, cleveres und innovatives Strategiespiel handelte, das viele Hardcore-Strategen begeistern konnte. Nun wird "Brass" vom Pegasus Verlag unter dem Titel "Kohle" auch auf Deutsch veröffentlicht, was nur auf den ersten Blick eine merkwürdige Übersetzung zu sein scheint, ist doch der englische Begriff Brass genauso ein Synonym für Geld wie das deutsche Wort Kohle. Und die erste Frage, die man als Kenner des Originals nun stellen muss, lautet: Was wurde mit der doofen Regel angestellt?

[imgleft]images/UploadGrafiken/Kohle1.jpg[/imgleft] Die Leute von Pegasus sind kein Risiko eingegangen und haben eine Agentur engagiert, die sich den schwierigen Konzepten von "Kohle" annahmen und sie in eine Spielanleitung verpackten, die man für einen Titel dieser Komplexität nur noch als vorbildlich bezeichnen kann. Perfekt ist sie beileibe nicht, aber Anfänger haben ab jetzt zumindest eine gute Chance, dieses Spiel allein durch das geschriebene Wort zu erlernen.

Doch worum geht es in "Kohle" eigentlich? Typisch für Wallace? Spiele findet man sich in einem historischen Setting wieder, das in Design und Regeln erstaunlich gut transferiert wurde. "Kohle" spielt zur Zeit der Industriellen Revolution in Großbritannien. Der Siegeszug der Dampfkraft schritt stetig voran, machte immer neue Innovationen und damit immer effektivere Produktionsbetriebe möglich. In der britischen Region Lancashire hatte man sich vor allem auf Baumwollspinnereien, Kohlebergwerke und Eisenhütten spezialisiert. Die Spieler übernehmen nun die Rolle von drei oder vier Investoren, die mit ein wenig Startkapital allerlei Industrien in Manchester, Liverpool, Bolton und Co. aus dem Boden stampfen sollen, um so ihr Einkommen zu vermehren und an Siegpunkte zu gelangen.

Das Spiel findet in zwei Perioden statt, der Kanalperiode und der Eisenbahnperiode, in denen auch nur die namensgebenden Verbindungen zwischen Städten gebaut werden können. Ziel der Spieler ist es, Industrien wie Baumwollspinnereien, Kohlebergwerke, Eisenhütten, Werften und Häfen zu bauen und diese betrieblich auszulasten, damit sie Geld und Siegpunkte generieren. [imgright]images/UploadGrafiken/Kohle2.jpg[/imgright]Die Industrien sind durch kleine, quadratische Marker repräsentiert, die bei bestimmten Voraussetzungen auf ihre Rückseite gedreht werden, was in Geld und Punkten für den entsprechenden Spieler resultiert. Bei einem Kohlebergwerk müssen dafür beispielsweise sämtliche Rohstoffe abtransportiert werden, bei einer Baumwollspinnerei deren Güter erfolgreich an einen Hafen oder den entfernten Markt verkauft werden.

Wenn ein Spieler am Zug ist, hat er meist acht Karten auf der Hand, die die verschiedenen Städte und Industrien zeigen. In einer Runde darf er zwei dieser Karten ausspielen und dadurch zwei Aktionen tätigen, darunter das Aufnehmen eines Kredits (ein Markenzeichen von Wallace), das Bauen von Transportwegen, das Verkaufen von Baumwolle und das Entwickeln und Bauen von Industrien. Spätestens an dieser Stelle schlägt die Komplexität von "Kohle" jedoch mit aller Wucht ein, denn es gilt, etliche Bauregeln zu beachten. Man darf nur an den Orten bauen, die einem die Karten vorgeben, man muss den gebauten Marker auch bezahlen und meistens sogar noch Kohle oder Eisen zu der Stadt bringen können, in der man seine Industrie errichten möchte. Selbst für Hardcore-Zocker ist das am Anfang ziemlich überfordernd, der goldene Satz jeder Partie wird zunächst "Ach nee, das geht ja nicht!" sein. Das ist es im Endeffekt auch, was "Kohle" den Zugang zum Olymp der besten Strategiespiele verwehrt, denn viele kleine Einzel- und Sonderregeln sowie einige Dinge, die einfach völlig unlogisch erscheinen, machen das Spiel unnötig kompliziert, wo es schlanker hätte gestaltet werden sollen. Warum also muss man Kohle transportieren und darf man Eisen einfach beamen? Und ist diese "virtuelle Verbindung" zwischen Liverpool und Birkenhead wirklich nötig?

[imgleft]images/UploadGrafiken/Kohle3.jpg[/imgleft]Abgesehen davon ist "Kohle" jedoch ein wahnsinnig cleveres, forderndes Spiel, bei dem viele verschiedene Strategien zum Sieg führen können, ob man nun auf teure Werften, viele Verbindungen oder hochtechnisierte Baumwollspinnereien setzt. Doch stets muss man genau aufpassen, was man tut, denn fast alle Aktionen beeinflussen die der Gegner maßgeblich. Baue ich ein Kohlebergwerk, stehen dem anderen die Ressourcen zur Verfügung, eine Eisenhütte oder noch Besseres zu errichten. Errichte ich einen Hafen, mit dem ich meine Baumwolle verkaufen möchte, schnappt mir jemand anders vielleicht genau diese Aktion vor der Nase weg. Der Konkurrenzkampf in "Kohle" ist knüppelhart, das Verbauen und Klauen der großen Möglichkeiten steht auf der Tagesordnung. Das ist ein Paradies für Strategen, kann aber auch zu enormen Denk- und damit Wartezeiten am Tisch führen, was in einer Spieldauer von ungefähr drei Stunden resultiert.

Wie man es dreht und wendet, "Kohle" ist ein exzellentes Strategiespiel mit Schönheitsfehlern, das auf Gelegenheitsspieler jedoch in seiner Komplexität schnell abschreckend wirkt. Für echte Zocker und Strategen bietet sich hier jedoch ein tolles Wirtschaftsspiel, das vor allem in seiner leicht verbesserten Aufmachung durch den Pegasus Verlag ein guter Kauf ist. Lediglich die hässlichen Plastikmünzen des Originals wurden nicht durch eine bessere Währung ersetzt. Angesichts dieses schönen Spiels bleibt aber ansonsten nur eins übrig: Mr. Wallace, Entschuldigung angenommen!

Julius Kündiger



Brettspiel | Erschienen: 1. Oktober 2008 | Originaltitel: Brass | Preis: 40 Euro

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