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 Baba Jaga legt ein Ei


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Die Baba Jaga gehört gleichzeitig zu den berühmtesten als auch ambivalentesten Mythengestalten der osteuropäischen Kultur. Ein altes Weib soll sie sein, mal eine Fruchtbarkeitsgöttin, selten ein hilfreicher Geist, meistens eine fürchterliche, böse Hexe. Die Erzählungen, die sich um sie ranken, sind mannigfaltig und faszinierend. In einem kleinen Hüttchen soll sie leben, das auf einem Hühnerfuß steht und sich um sich selbst drehen kann. Ihr Heim ist von einem Zaun aus Knochen und Totenköpfen begrenzt. Sie selbst ist eine verfressene, undurchsichtige Vettel, die mitunter in einem Mörser durch die Gegend fliegt, den sie mit dem Stößel antreibt. Mal bringt sie Unheil und Verderben, mal hilft sie armen Schluckern in der Not.

Diese facettenreiche Gestalt stellt die kroatische Schriftstellerin Dubravka Ugresic in den Mittelpunkt ihres neuen Buches. Das jedenfalls lassen der Titel und der Verlagstext auf der Rückseite vermuten. Umso überraschter ist man dann doch, als man mit dem Lesen des nicht ganz 370seitigen Hardcovers beginnt. Von ihrer Mutter erzählt Ugresic da, oder zumindest ihre fiktive Ich-Erzählerin. Vom Altwerden erzählt sie, von den Schrullen, die sich ihre Mutter mit den Jahren angewöhnt hat und davon, wie sich die Perspektive verschiebt. Wie plötzlich Dinge wichtig werden, die man früher nie beachtet hat und man vieles vergisst - selbst die triviale Bezeichnung von Alltagsgegenständen.

Es ist keine leichte Kost, die die Kroatin ihren Lesern in "Baba Jaga legt ein Ei” präsentiert. Es geht ans Eingemachte, an die Nieren, denn sie schildert eine harte Realität, vor der die Jungen und Schönen so gern die Augen verschließen. Was aber hat dieser szenische Bericht mit Baba Jaga zu tun? Das bleibt zunächst ungewiss. Nach neunzig Seiten beendet Dubravka Ugresic dann ihren Bericht, der zweite Teil des Buches beginnt. Es handelt sich um keine ebenso bissig wie realistisch verfasste literarische Reportage mehr, sondern um eine Novelle in sechs Akten. Ein abrupter Wechsel, will dem Leser scheinen, der plötzlich an den Erlebnissen dreier ältlicher, seltsamer Frauen an sechs aufeinander folgenden Tagen teilnimmt. Das einzige, durch das die Erzählung mit dem vorhergehenden Teil des Buches verknüpft zu sein scheint, ist das Thema "Alter”, das auch hier eines der Leitmotive ist - neben Schönheitswahn, Körperkult und der traditionellen Rolle der Geschlechter. Das ganze verpackt die Autorin in eine etwas abstrakte Geschichte mit einigen wenigen phantastischen Elementen. Da wird ausgerechnet beim Golfspielen jemand versehentlich totgeschlagen, ein Kurbad besucht, beim Glücksspiel gewonnen - und gestorben. Auch hier spielt die Baba Jaga scheinbar keine Rolle, allenfalls ihre Sinnbilder - das, wofür sie steht - sind thematisch verändert in die Handlung eingeflochten.

Das jedenfalls erfährt man im dritten Teil des Buches, der "Baba Jaga für Anfänger” betitelt ist, etwas über hundert Seiten lang ist und sich dann auch endlich ausführlich mit der berüchtigten Mythengestalt befasst. Erst hier präsentiert Ugresic eine Abhandlung über die verschiedenen Motive, für die Baba Jaga steht, über die Attribute der Alten und ihre Bedeutung - und ihre gesellschaftskulturellen Wurzeln. Diesen Sachtext kleidet sie dann noch in die fiktive Arbeit einer gleichsam fiktiven Dozentin namens Dr. Aba Bagay - ein Anagramm der Baba Jaga. Dadurch gelingt es ihr, durch kleine Einschübe im Text Bezug zu den ersten beiden Teilen des Buches herzustellen. Dubravka Ugresic kommentiert und interpretiert, ja erklärt und analysiert ihren eigenen Text - und liefert endlich eine sehr interessante, durch zahlreiche Märchenzitate gespickte Analyse der Baba Jaga. Wofür steht ihr Häuschen auf dem Hühnerbein, wofür der Mörser? Was versteckt sich sinnbildlich hinter Baba Jagas Kannibalismus? Was ist dieser Mythos - und wozu hat die Gesellschaft ihn gemacht?

Baba Jaga wird zum Sinnbild der alten Frau. Denn das ist das eigentliche Leitmotiv von Dubravka Ugresics neuem Buch. Punktabzug gibt’s dann doch dafür, dass der Verlagstext so trügt, andere Erwartungen hervorruft. Schlussendlich erwartet den Leser aber dennoch ein sehr scharfsinniges, bitterböses Werk: ein Hybrid aus Sachbuch und Belletristik. Das ist zwar nicht leicht zu lesen, wo es so hart und stringent mit unserer heutigen Gesellschaft ins Gericht geht, aber dennoch sehr intensiv.

Christian Handel



Hardcover | Erschienen: 01. November 2008 | ISBN: 9783827007483 | Originaltitel: Baba Jaga je snijela jaje | Preis: 16 Euro | 366 Seiten | Sprache: Deutsch

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