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 Spirituellen Materialismus durchschneiden

Autoren: Chögyam Trungpa
Herausgeber: John Baker, Marvin Casper
Illustratoren: Glen Eddy
Übersetzer: Sylvia Luetjohann
Verlag: Theseus

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Einen spirituellen Weg zu gehen ist ein schwieriges Unterfangen. Zahlreiche Irrwege und Sackgassen tun sich auf, die zu einer verzerrten, egozentrischen Auslegung von Spiritualität führen können. So kann man sich der Täuschung hingeben, dass man sich geistig weiterentwickelt, während man stattdessen nur die eigene Ich-Bezogenheit durch spirituelle Techniken nährt. Diesen grundlegenden Irrtum bezeichnet Chögyam Trungpa als "spirituellen Materialismus": das Ego kann alles zu seinem eigenen Nutzen verdrehen, selbst Spiritualität.

Die Grundprobleme des spirituellen Materialismus sind allen geistigen Lehren gemeinsam, geistiger Stolz ist im Buddhismus ein ebensolches Problem wie im Christentum. Nach Chögyam Trungpa besteht das Hauptziel jeder spirituellen Praxis darin, "sich der Bürokratie des Egos" zu entledigen. Dazu gehört, das ständige Verlangen nach Wissen, Tugend, Religion, Einsicht, Trost oder was auch immer das Ego gerade suchen mag aufzugeben. Erst wenn das Verlangen aufgegeben wird, kann wahre Freiheit erlangt werden, können der offene und weite Raum, geistige Gesundheit und Erleuchtung sich entfalten.

Chögyam Trungpa (1939 - 1987) war einer der wichtigsten Wegbereiter des tibetischen Buddhismus im Westen und einer der ersten Dharma-Lehrer aus Tibet. Neben seiner traditionellen Ausbildung studierte er westliche Psychologie und Kunst und man sagt ihm einen tiefen Einblick in die Psyche seiner Schüler nach. Zahlreiche Meditationszentren gehen auf ihn zurück sowie die erste buddhistische Universität im Westen, das Naropa-Institut. Das vorliegende Hardcover-Buch, das 2009 im Theseus Verlag in Neuauflage und in neuer Übersetzung in der Reihe Klassiker erschienen ist, geht auf den Originaltitel "Cutting through spiritual materialism" zurück, der bereits 1973 in den USA erschien.

Obwohl die meisten seiner Schüler den aufrichtigen Wunsch verspürten, den spirituellen Weg zu gehen, brachten sie ziemlich viel Verwirrung, Missverständnisse und Erwartungen mit. Chögyam Trungpa hielt es deshalb für notwendig, ihnen eine übersichtliche Darstellung des Weges zu geben und sie so vor möglichen Gefahren zu warnen. Die vorliegenden Vorträge wurden im Herbst 1970 und Frühjahr 1971 in Boulder, Colorado, gehalten. Zunächst werden die verschiedenen Möglichkeiten des spirituellen Materialismus und die vielfältigen Formen der Selbsttäuschung behandelt und danach die allgemeinen Grundzüge des wahren spirituellen Weges besprochen. Den Vorträgen folgen jeweils Fragen der Schüler und Antworten Chögyam Trungpas, die das Verständnis des Themas weiter vertiefen.
Die Texte Chögyam Trungpas haben auch nach über dreißig Jahren nichts an Aktualität verloren und gehören ins Handgepäck jedes spirituell Suchenden. Allzu schnell verfängt man sich in schicken Ritualen, exotischen Roben, Reisen in ferne Länder zu berühmten Lehrern und blickt stolz auf die Errungenschaften und die Zahl der Praxisjahre. Dabei hat man vielleicht nur einen "spirituellen Kramladen" eröffnet, wie Chögyam Trungpa es auf den Nenner bringt.

Wahre spirituelle Praxis erfordert Hingabe und ein Sich-Öffnen. Es geht mehr darum, etwas aufzugeben als etwas hinzuzugewinnen, etwas hinzugeben, sich selbst hinzugeben und zu öffnen für alles, was ist. Die vielfältigen Täuschungen und Neurosen bilden dabei das Ausgangsmaterial für die spirituelle Praxis und werden umgewandelt. Stroh wird zu Gold gesponnen. Transformation, das ist das große Thema im Tantra. Entscheidend ist dabei nicht das Wissen von Wahrheit, sondern die lebendige Erfahrung dieses Wissens im Alltag. Das Wissen wird im Feuer des Lebens gehämmert und geschmiedet, bis es die Farbe von reinem Gold annimmt. Den wahren Führer auf diesem Weg findet man dabei in sich selbst, wenn man ganz und gar das ist, was dem eigenen Wesen entspricht. Jede Suche im Außen ist sinnlos.
Den Weg, den Trungpa vorstellt, nennt er zum einen den "harten Weg". Zentral auf diesem Weg ist die persönliche Bemühung des Schülers, sich zu sich selbst zu bekennen, einen Prozess der Demaskierung zu durchleben und bereit zu sein, allein zu stehen, was sehr schwierig ist. Er bezeichnet den Weg zum anderen als den "offenen Weg", auf dem der Schüler sich völlig bloßstellt und die Selbsttäuschung erkennt, der er unterliegt. Damit bietet sich die Chance, ganz man selbst zu sein, das, was man tatsächlich ist, die positiven und die negativen Eigenschaften, zu akzeptieren, den eigenen Weg zu finden. Welche Befreiung!

Dies alles klingt ziemlich anstrengend und lässt sich offensichtlich nur mit viel Humor ertragen. In der Tat ist für Chögyam Trungpa das Fehlen von Humor in der Praxis auch schon wieder ein Aspekt des spirituellen Materialismus. Also Schluss jetzt mit dem trockenen, ehrwürdigen Heiligkeitkeitsgetue und dem Religions-Dünkel. Beherrscht man Formen und Regeln perfekt, kommt allen Verpflichtungen nach und geht regelmäßig in die Kirche, kann man sich noch lange nicht auf der sicheren Seite wähnen. - Sehr interessant sind auch die Ausführungen über die Entwicklung des Egos, das Chögyam Trungpa mit einem Affen vergleicht, der in einem Haus eingesperrt ist. Weiß man erst mal, wie das Ego entsteht, lässt sich der ganze Prozess dann einfach umkehren.
Trungpa schließt mit einem Exkurs über Tantra. Während sich die Grundlehren des Mahayana-Buddhismus mit der Ausbildung von transzendentem Wissen befassen, beziehen sich die Grundlehren des Tantra auf den Umgang mit Energie. Wir werden ständig mit den Gedanken, Emotionen und Energien in unserer Beziehungen zu anderen Menschen konfrontiert. Tantra lehrt, diese Energien anzunehmen und sie nicht zu unterdrücken oder auszuschalten, sondern umzuwandeln, mit ihnen "zu tanzen". Wie man sich das ganz konkret vorzustellen hat, erfährt man auf den letzten Seiten des informativen Buches.

Fazit: Empfehlenswertes und bereicherndes Buch für alle spirituell Suchenden, nicht nur aus den buddhistischen Schulen. Es enthält neben dem Titelthema eine sehr umfassende Einführung in den Aufbau und die Funktionsweise des Egos und den Umgang mit Emotionen. Zentrale Themen des Buddhismus und des Bodhisattva-Weges als auch des Tantra werden skizziert. Chögyam Trungpa behandelt das Thema anschaulich mit der ihm eigenen offenen und direkten Art, die direkt ins Zentrum trifft.

Sabine Seip



Hardcover | Erschienen: 01. Januar 2009 | ISBN: 9783783195637 | Originaltitel: Cutting through spiritual materialsm | Preis: 22,95 Euro | 260 Seiten | Sprache: Deutsch

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