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 Der Vorhang geht auf

Das Ende der Diktaturen in Osteuropa

Autoren: György Dalos
Übersetzer: Elsbeth Zylla
Verlag: C. H. Beck

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Das Jahr 1989 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte Europas als das Jahr, in dem der Eiserne Vorhang endgültig fiel. Zwar hatten sich in einigen Ostblockstaaten schon zuvor gewisse Auflösungserscheinungen alter Strukturen gezeigt, doch erst nachdem die Sowjetunion die Vasallenstaaten in ihrem Westen mehr oder weniger freigegeben hatte, kam es rasch zum Fall der kommunistischen Regierungen Polens, der Tschechoslowakei, der DDR, Ungarns, Rumäniens und Bulgariens.
In seinem Buch "Der Vorhang geht auf" lässt der in Berlin lebende ungarische Schriftsteller György Dalos die damaligen Ereignisse in diesen Längern Revue passieren. Er beginnt mit dem Generationenwechsel in Moskau 1985, als Gorbatschow nach dem Tod Tschernenkos die Macht übernahm, und stellt die prominenten Trauergäste aus den sozialistischen Bruderstaaten vor, denen in den nachfolgenden Kapiteln jeweils eine Hauptrolle zuteil wird.
Den Anfang unter diesen Kapiteln macht jenes über Polen, in dem die Gewerkschaft Solidarnosc erwartungsgemäß eine zentrale Rolle spielt. Im nächsten Abschnitt geht es um den Umbruch in Ungarn und die Gründe dafür, warum dieses Land so bereitwillig den DDR-Flüchtlingen die Ausreise nach Österreich ermöglichte, wodurch der gesamte Umwälzungsprozess bekanntlich ins Rollen kam.
Komplex ist das Kapitel zur DDR, nicht zuletzt wegen der besonders engen Verbundenheit zwischen Ostberlin und Moskau und der Ausnahmestellung der DDR im Prozess der Ablösung vom Kommunismus angesichts des Vorhandenseins der Bundesrepublik im Hintergrund.
Weniger bekannt dürften die von Dalos detailliert beschriebenen Ereignisse in Bulgarien sein, das, in ökonomisch und ökologisch fataler Lage und aufgrund seiner destruktiven Minderheitenpolitik, kurz vor dem Kollaps stand. Wesentlich robuster präsentierte sich die Tschechoslowakei, deren "samtene Revolution" Gegenstand des sich anschließenden Kapitels ist. Es folgt das Rumänien-Kapitel mit dem passenden Titel "Revolution bei Grabeskälte"; bekanntlich hat dieses Land in Bezug auf die Umwälzungen von 1989, anders als die fünf anderen, zahlreiche Todesopfer zu beklagen und entledigte sich des kommunistischen Diktators auf radikale Weise.
Den Abschluss bildet ein Aufsatz des Autors aus dem Jahr 1985, betitelt "Die Befreiung der Sowjetunion von ihren Satelliten - Eine Utopie".
Im Anhang findet man unter anderem eine Zeittafel, anhand derer der Leser die zeitlichen Abläufe gut nachvollziehen kann.

Dieses Buch vermittelt ganz ausgezeichnet sowohl die Gemeinsamkeiten, die die Umstürze in den sechs westlichen Vasallenstaaten der Sowjetunion auszeichnen, darunter die körperlich hinfälligen und geistig verknöcherten Greise, die diese Staaten anführten - wie auch die Sowjetunion vor Gorbatschow -, als auch die Eigendynamik jener Prozesse in jedem einzelnen Land: Zwischen dem weniger spektakulären Verlauf etwa in Ungarn und der Tschechoslowakei und einem letzten Aufgebot von Terror und Gewalt in Rumänien besteht ein enormer Unterschied. György Dalos erläutert facettenreich, wie es zu diesen individuellen Ausprägungen und Abläufen kommen konnte, und er greift dabei auf die Geschichte des jeweiligen Regimes zurück, sodass sich die Ereignisse von 1989 auch für zeitgeschichtlich weniger bewanderte Leser und vor allem für Jüngere sehr gut nachvollziehen lassen.
Ein trockenes Geschichtsbuch hat der Autor freilich nicht vorgelegt. Er berichtet, ergründet und argumentiert, wo es angebracht ist oder sich, auch das kommt vor, nicht vermeiden lässt, mit bissigem Witz und zollt andererseits den Opfern und einzelnen herausragenden Protagonisten des Umsturzes Respekt. Zudem versteht er es, die zum Teil rasanten und unkontrollierten Entwicklungen packend, dabei jedoch ohne billige Effekthascherei darzustellen.
In Deutschland richtet man das Augenmerk naturgemäß vor allem auf die Ereignisse in Moskau, Ostberlin, Leipzig und anderen Orten, die zum Abbruch der Mauer führten. Wie eng verknüpft der Fall Honeckers und KrenzÂ’ mit den Schicksalen der anderen kommunistischen Diktaturen Europas waren, beachtet man hierzulande kaum - zu Unrecht, wie dieses Buch zeigt, das auch ausgezeichnet die Animositäten unter einigen Bruderstaaten schildert. Zwanzig Jahre "danach" lässt György Dalos ein fulminantes, folgenreiches Stück europäischer Geschichte spannend und höchst informativ wieder auferstehen.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 01. Februar 2009 | ISBN: 9783406582455 | Preis: 19,90 Euro | 272 Seiten | Sprache: Deutsch

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