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 Alles, was wir geben mussten

Autoren: Kazuo Ishiguro
Übersetzer: Barbara Schaden
Verlag: Blessing

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Dieser Roman scheint zuerst eine Art "Hanni und Nanni" für Erwachsene zu sein, da er ebenfalls in einem idyllischen Internat spielt, doch nach ein paar Seiten tauchen immer mehr Andeutungen auf einen düsteren Hintergrund auf.
Kathy, Ruth und Tommy wachsen wohlbehütet in Hailsham auf, einem wunderschönen Internat, das ihnen wirklich alles bietet, vor allem Sicherheit. Erst im Laufe der Geschichte kommen immer mehr Details ans Licht, die den Anschein erwecken, dass doch nicht alles so toll ist.
Immer wieder werden die Kinder zu Kreativität angehalten, wer es nicht schafft, kreative Basteleien zu schaffen, wird von den anderen oft gemobbt. Dies passiert oft mit Tommy, bis Kathy und eine der Aufseherinnen für ihn einstehen. Ab diesem Zeitpunkt entsteht eine besondere Verbindung zwischen Tommy und Kathy, die nie abbricht, egal, was passiert.
Die besten dieser Kunstwerke werden mehrmals im Jahr von Madame eingesammelt. Was mit den so geehrten Werken passiert, weiß keiner so genau. Es geht das Gerücht um, dass diese in Madames "Galerie" kommen, doch warum, das weiß wirklich niemand von den Kindern und die Aufseher hüllen sich in Schweigen.
Nach und nach wird die gesamte Kindheit der Hauptpersonen, die sie bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr im Internat verbringen - komplett von der Außenwelt abgeschnitten - geschildert. Keiner der Kinder kann sich ein Leben draußen wirklich vorstellen, auch Zukunftsträume werden selten geträumt.

Warum dies so ist, kommt nur langsam zum Vorschein. Es fängt damit an, dass immer wieder die Rede von "Spendern" und "Betreuern" ist. In ihrem letzten Jahr in der Schule ergreift eine Aufseherin die Initiative und erzählt den Kindern, was ihr wirklicher Sinn im Leben ist.
Dies ist aber keine wirkliche Neuigkeit für sie, also führen sie ihr Leben so normal wie immer fort. Erst mit dem Umzug ins College ändert sich das Leben langsam für Kathy und ihre Clique, sie schließen neue Freundschaften und lernen die Welt draußen kennen.
Nicht nur das alltägliche Leben, auch die charakterliche Entwicklung der Protagonisten wird beschrieben. Kathy ist stets zurückhaltend und steht meist im Schatten ihrer Freundin Ruth, die auch in der Pubertät mit Tommy zusammen ist, obwohl alle Kathy und ihn für füreinander bestimmt halten. Dieses Zwischendrängen von Ruth hat weit reichende Konsequenzen für die Zukunft …

Die Geschichte wird im Rückblick aus der Sicht Kathys erzählt. Sie ist nun eine Betreuerin und steht kurz vor dem Abschluss. Viele ihrer Freunde, auch Ruth und Tommy, die Spender wurden, hat sie betreut, nun erinnert sie sich auf langen Autofahrten an ihr gesamtes Leben zurück.

Der Roman ist ein beeindruckendes Werk über die Gefahren der Gentechnik und auch der Genmanipulation. Vor allem in unserer sich schnell weiter entwickelnden Welt denken viele Menschen gar nicht an die möglichen Folgen und Gefahren, hier werden die Leben der Betroffenen nachgezeichnet. Dies alles aber ohne falsche Panikmache oder Effekthascherei, der eigentliche Vorgang des Klonens wird nur angedeutet. Gerade diese Besonderheit, dass der Leser zwischen den Zeilen lesen muss, macht das Buch so spannend und treffend.
Nicht nur auf den Aspekt der Genforschung geht der Autor ein, auch andere, philosophischere Fragen werden gestellt. So zum Beispiel die Frage, was denn die Seele ist, ob Menschen beziehungsweise Klone überhaupt eine haben und ob das ganze Leben möglicherweise vorbestimmt ist.

Sehr vertraut nimmt der Leser an Kathys Leben und an ihrer Gefühlswelt teil, wobei die Schwierigkeit besteht, dass die Details, die für sie selbstverständlich sind, nicht erklärt werden. Der Leser muss sich selbst den Daseinszweck der Kinder zusammenreimen; dies ist aber kein Nachteil, sondern macht dieses Buch noch mehr zu etwas Herausragendem.
Besonders zu Gute halten muss man dem Autor, dass er nie den moralischen Zeigefinger hebt. Dadurch, dass er Kathy erzählen lässt, wird die Welt in Hailsham zur Normalität, auch für den uneingeweihten Leser, der sich nun selbst eine Meinung über Sinn und Unsinn des technologischen Fortschritts machen kann.

Für alle Leser, die an Zukunftsvisionen interessiert sind, die den technischen Fortschritt nicht als hervorragend preisen, ist dieses Buch sehr geeignet. Doch auch alle, die eher utopische Zukunftsvisionen träumen, sollten sich mal mit diesem Buch befassen, um zu bedenken, was der Nutzen und was die Kosten einer Welt sind, die fast bis an ihre Grenzen entwickelt ist.

Anja Thiemé



Hardcover | Erschienen: 01. August 2005 | ISBN: 3896672339 | Preis: 19,90 Euro | 348 Seiten | Sprache: Deutsch

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