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 Wallander: Der Feind im Schatten

Serie: Wallander
Autoren: Henning Mankell
Übersetzer: Wolfgang Butt
Verlag: Zsolnay

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Einerseits scheint es, als käme Kurt Wallander, inzwischen 60 Jahre alt, ein wenig zur Ruhe: Seine Tochter Linda ist eine feste Beziehung zu einem Banker eingegangen und hat ein Kind bekommen, ein kleines Mädchen. Doch andererseits scheint gerade dies Wallander vor Augen zu führen, dass er in den letzten Abschnitt seines Lebens eingetreten ist. Immerhin hat er sich einen lange gehegten Lebenstraum erfüllt, endlich seine Wohnung in der Mariagata verlassen und sich ein Häuschen im Grünen gekauft – und den ebenfalls lange ersehnten Hund angeschafft. Doch auch in diesem neuen Leben gibt es nicht nur Ruhe und Frieden, sondern auch Einsamkeit, viele Gedanken über die Schatten der Vergangenheit und vor allem Schrecken über seine schwindende Gesundheit: Immer häufiger hat Wallander geistige Aussetzer, so dass er befürchtet, an Alzheimer erkrankt zu sein.

Dann gerät Kurt Wallander durch Lindas Schwiegereltern auf die Spur eines neuen Falls, der ihn geradewegs in die Vergangenheit und die Zeit des Kalten Kriegs zurückführt. Auf einer Familienfeier von Lindas Schwiegervater, dem pensionierten Marineoffizier Håkan von Enke, fällt Kurt auf, dass von Enke sich merkwürdig benimmt, ganz so, als hätte er Angst vor etwas oder als würde er verfolgt. Håkan erzählt Kurt eine beunruhigende Geschichte aus dem Kalten Krieg, als fremde U-Boote in schwedische Gewässer eindrangen. Wer dahinter steckte, konnte nie geklärt werden, denn Håkan von Enke erhielt in buchstäblich letzter Sekunde von ganz oben den Befehl, die Sache auf sich beruhen und die feindlichen Boote ziehen zu lassen.
Kurze Zeit nach dieser Erzählung verschwindet Lindas Schwiegervater spurlos. Wurde Håkan von Enke tatsächlich verfolgt? Und besteht eine Verbindung zu den mysteriösen U-Booten, die in den 1980er Jahren in schwedische Gewässer eingedrungen sind? Klar ist, dass Håkan von Enke nicht "einfach so" verschwunden sein kann, denn er war ein Mann mit Prinzipien, der nie von seinen Gewohnheiten abwich. Bald sieht sich Wallander in Mord und Intrigen, Spionage und höchst brisante politische Machenschaften verstrickt …

Das war es also – mach's gut, Kurt, möchte man als jahrelanger treuer Leser von Henning Mankells grandioser Romanfigur sagen und ihn am liebsten gar nicht gehen lassen. Zwar hatte Mankell schon weit früher das Ende der Wallander-Krimis angekündigt – eigentlich sollte seine Ermittlungsarbeit mit dem Buch "Vor dem Frost", in dem Linda im Mittelpunkt steht, beendet sein -, doch nun ist mit "Der Feind im Schatten" ein weiterer Roman erschienen. Diesmal ist es der endgültig letzte, denn Mankell lässt am Ende des Buches keinerlei Zweifel daran, dass es ein Abschied für immer ist. Vorher gibt es natürlich noch einen Fall zu lösen, der diesmal höchst brisant und sehr politisch ist: kein normaler Mordfall, sondern eine Reihe von komplizierten Ereignissen, die fast Kurt Wallanders Verstand übersteigen. Das ist wohl einer der Gründe, warum die Leser diesen so grummeligen, einsamen und manchmal gar selbstzerstörerischen Ermittler so lieben: Er ist sich nicht zu schade zuzugeben, dass er sein Leben lang politisch eher desinteressiert war und dass er viele Zusammenhänge nicht begreift. Dazu gehört auch, dass Wallander sein Leben resümiert und über Versäumtes nachsinnt. In "Der Feind im Schatten" schwingt eine gehörige Portion Melancholie mit, so viel, dass die Lektüre gar ein wenig deprimierend ist. Mankell, so alt wie seine bekannteste Romanfigur, hat sich sehr ausführlich mit den Themen Älterwerden und Verfall auseinander gesetzt. Es tut weh zu lesen, wenn Kurt Wallander, der einst so scharfsinnige und korrekte Polizeibeamte, auf einmal furchtbare Fehler begeht und immer wieder geistige Ausfälle hat. Das macht nicht nur Wallander selbst Angst, sondern auch dem Leser, denn die Angst davor, seinen Verstand zu verlieren, gehört wohl zu den größten überhaupt.
Was ebenso schmerzt ist die Tatsache, dass Wallander immer noch ein sehr einsamer Mensch ist, der trotz Tochter, Enkeltochter und Hund nie wirklich unter Menschen ist und der vielen verpassten Chancen hinterher trauert. Tatsächlich holt Henning Mankell in diesem Roman nochmal "alte Leichen" aus dem Keller und belebt sowohl Baiba Liepa, Wallanders Liebe aus Lettland ("Hunde von Riga"), als auch seine Exfrau Mona wieder – es werden vielfältige und durchweg traurige Abschiede.
Trotz der ausgesprochenen Melancholie hat der Autor aber auch einen spannenden und schlüssigen Kriminalfall geschrieben, der am Ende, ganz Wallander-typisch, menschliche Abgründe offenbart. Ein gewisses Interesse für Politik und Spionage sollte man als Leser durchaus mitbringen. Schade ist, dass am Ende viele kleine Indizien, die Mankell in die Handlung eingestreut hat, einfach unter den Tisch fallen und keine Rolle mehr spielen. Hier wäre noch mehr drin gewesen.

"Der Feind im Schatten" ist ein guter Abschied geworden, und zwar nicht nur von Wallander selbst, sondern auch von vielen anderen Romanfiguren, die in den Krimis eine Rolle spielten: ziemlich traurig und melancholisch, aber auch spannend und clever ausgedacht – das Buch passt gut zu Kurt Wallander, der trotz des zunehmenden Verfalls und seinen trübsinnigen Gedanken noch einmal seinen Scharfsinn, seinen Instinkt und seine Hartnäckigkeit in einem bedeutsamen Fall beweisen darf.

Lesen Sie hier ein Interview, das im Dezember 2009 mit Henning Mankell geführt wurde: Im Gespräch mit Henning Mankell

Christina Liebeck

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Hardcover | Erschienen: 30. April 2010 | ISBN: 9783552054967 | Originaltitel: Den Orolige Mannen | Preis: 26,00 Euro | 592 Seiten | Sprache: Deutsch

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