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 Die Frau mit dem roten Tuch

Autoren: Jostein Gaarder
Übersetzer: Gabriele Haefs
Verlag: Hanser Verlag

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Als Studenten waren sie fünf Jahre lang ein Liebespaar, bis ein unvorhergesehenes Ereignis ihre Beziehung in den Grundfesten erschütterte - was zur Trennung führte. Nun treffen sie sich zufällig - so zumindest glauben beide - in genau dem Hotel wieder, in dem sich die damaligen Geschehnisse ereigneten. Die Begegnung dauert nur einen Nachmittag, aber Solrun und Steinn, inzwischen um die 50 und in neuen Partnerschaften, beginnen daraufhin einen E-Mail-Wechsel, in welchem sie die Ereignisse von damals aufarbeiten und ihre eigene Entwicklung schildern. Dies ist die Handlung von “Die Frau mit dem roten Tuch” des norwegischen Autors Jostein Gaarder, bekannt vor allem durch den Welterfolg “Sofies Welt”, erschienen im Carl Hanser Verlag.

Wie alle Bücher von Jostein Gaarder stellt die Handlung der Geschichte aber nur einen Rahmen für den eigentlichen Inhalt dar. Auch in diesem Roman Gaarders geht es philosophisch zu. Zwei Weltbilder werden einander gegenübergestellt und kämpfen um die Vorherrschaft. Steinn ist ein Wissenschaftler, ein Vollblutrationalist, während sein Gegenpart Solrun eine christliche Spirituelle ist, die ein höheres Wesen hinter den Geschicken wähnt und den Gedanken an die Vergänglichkeit des Lebens ablehnt. In ihrem Briefwechsel versuchen beide, den Standpunkt des anderen zu widerlegen und Belege für ihre eigene Sicht der Dinge aufzuzeigen. Der Leser soll, wie bei allen Büchern des Autors, nicht nur passiv beteiligt sein, sondern sich seine eigenen Gedanken zu den angesprochenen Themen machen und seinen eigenen Standpunkt irgendwo zwischen den vorgestellten Polen finden.

Bei einem Buch von Jostein Gaarder erwartet man von vornherein keine einfache Lektüre oder einen spannenden Krimi. Bereits “Sofies Welt” wurde nicht wegen der Geschichte um die vierzehnjährige Sofie und dem geheimnisvollen Briefeschreiber millionenfach gelesen, sondern wegen der enthaltenen Einführung in die Philosophie. Auch in diesem Buch möchte Gaarder den Leser zum Denken auffordern und ihn dazu bewegen, sich seine eigene Sicht auf die Welt bewusst zu machen. Wobei bei diesem Buch, das sich diesmal explizit an erwachsene Leser richtet, auch die Rahmenhandlung selbst sehr spannend ist.

Nur das Allernötigste wird auf den ersten Seiten verraten: Wir wissen, dass vor 30 Jahren etwas Schlimmes passiert sein muss - die beiden Protagonisten bekommen immer noch einen Schrecken, wenn sie einem Polizisten begegnen, und dass dies damals zum Ende der Beziehung geführt hat. Der Spannungsbogen ist hervorragend aufgebaut. Einmal angefangen zu lesen, will man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, um endlich zu erfahren, was damals geschehen ist. Die Wahrheit, beziehungsweise der Versuch sie aus den beiden gegensätzlichen Perspektiven zu finden und zu verstehen, erfährt der Leser erst gegen Ende des Buches, bevor sich als Abschluss noch eine Wendung ergibt, in der sich das ganze Buch - Handlung und Philosophie - noch einmal widerspiegelt.

Das Problem der Geschichte ist, dass der Leser sie als Briefroman dem Autor nicht abkaufen möchte. Die beiden Charaktere werden jeweils so einseitig und überzogen dargestellt, dass der Leser sie nur schwerlich als Manifestationen realer Personen akzeptieren kann. Steinn, der Rationalist, beschwört die positive Wahrscheinlichkeit eines Zufalls mit einer Chance von eins zu zwei Milliarden, um ja keinen höheren Sinn zuzulassen und reduziert die Menschheit auf “wir sind Primaten”. Während dieser Charakter von Anfang an unsympathisch und unglaubwürdig ist, glaubt der Leser in Solrun zu Beginn noch einen Menschen mit Herz und Verstand zu sehen. Allerdings entpuppt sie sich nach kurzer Zeit als spirituelle Esoterikerin, die an das ewige Leben glaubt und ihren Körper als bloße Hülle abtut, ähnlich einem Auto oder der Kreditkarte.

Auch die E-Mails, die in dieser modernen Form des Briefromans getauscht werden, wirken nicht glaubhaft. Leider setzt Jostein Gaarder zu sehr den Holzhammer ein, um die gegensätzlichen Standpunkte an den Leser zu bringen. Offensichtlich wird, dass der Dialog sich nicht an den jeweils Angeschriebenen richtet, sondern immer an den Leser. Leidlich vertuscht werden soll das durch eingeworfene Trivialitäten à la “Beschreib doch mal Dein Büro”, welche aber so wenig glaubwürdig wirken, dass der Autor lieber gleich darauf verzichtet hätte. So tauschen im Ergebnis zwei unwirkliche Personen unwirkliche E-Mails aus. Letztendlich belehrt Jostein Gaarder den Leser. Im Vergleich dazu wirkt die Adressierung des Lesers in Thomas Manns “Der Zauberberg” mittels der Belehrungen Hans Castorps durch die Gegenpole Settembrini und Naphta wesentlich eleganter.
Als zusätzlichen Kritikpunkt muss man die traditionelle Rollenverteilung des Buches ansehen. Wieso muss Jostein Gaarder in alte Klischees verfallen und ausgerechnet den Mann zum wissenschaftlichen Rationalisten und die Frau zur gefühlsorientierten Spiritualistin machen. Gerade einem Autor, dem die Bildung seiner Leser so sehr am Herzen liegt, sollte doch in diesem Punkt willens sein, neue Wege einzuschlagen.

Insgesamt hat Jostein Gaarder mit der “Frau mit dem roten Tuch” ein für ihn typisches Buch geschrieben, welches seine Fans bestimmt begeistern wird. Aber auch für den, der Gaarders Bücher noch nicht kennt aber sich für ein bisschen Philosophie über das Wesen der Welt interessiert, ist dieses Buch durchaus zu empfehlen. Die einfache aber spannende Rahmenhandlung zieht den Leser sofort in ihren Bann und lässt das Buch in einem Rutsch durchlesen. Wer allerdings nur auf der Suche nach einem Krimi oder einer Bettlektüre zum passiven Konsum ist, der sollte sich lieber woanders umschauen.


Zur Leseprobe beim Hanser Literaturverlag

Laura Wasiluk



Hardcover | Erschienen: 8. Februar 2010 | ISBN: 978-3446234888 | Originaltitel: Slottet i Pyreneene | Preis: 18,90 Euro | 222 Seiten | Sprache: Deutsch

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