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 Der Mord an Theo van Gogh

Geschichte einer moralischen Panik


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


"Wie können wir diese Geschichte je unseren Enkeln erzählen, das, was sich in den letzten Monaten des Jahres 2004 zugetragen hat? Woran werden wir uns erinnern? An den durchbohrten Leib des Filmemachers Theo van Gogh? An die sich gebetsmühlenartig bewegenden Lippen der Politiker und Intellektuellen? Oder an das Gefühl der Gefahr, an die ungeheure Kälte, die an diesem 2. November 2004 mit einem Mal in unser Haus eindrang?"
Mit diesen Sätzen beginnt Geert Mak sein Buch "Der Mord an Theo van Gogh. Geschichte einer moralischen Panik", das sich mit der Reaktion der niederländischen Bevölkerung auf ein brutales Attentat aus religiösen Motiven auseinandersetzt. Anfang November 2004 wurde dem umstrittenen Filmemacher Theo van Gogh, nachdem er auf seinem Fahrrad angeschossen worden war, die Kehle durchgeschnitten. Sein radikal-islamischer Mörder Mohammed Bouyeri rammte ihm zudem ein Messer in den Bauch, an das er sein Bekennerschreiben mit weiteren Gewaltandrohungen spickte.

Dieser Mord machte Schlagzeilen und hatte in den Niederlanden weit reichende Folgen: ",Holland brennt!Â’ verkündeten die Fernsehnachrichten nach dem Mord an Theo van Gogh. Dem stellvertretenden Premierminister rutschte heraus, dass sich das Land ,im KriegszustandÂ’ befinde. Unverzüglich nahmen die Blätter den Begriff in fetten Überschriften auf: Krieg!" So liest sich die Beschreibung des Klappendeckels.
Genau diese offensichtliche Panikmache kreidet Geert Mak den niederländischen Medien und Politikern in seiner 104 Seiten langen Streitschrift an und prägt in diesem Zusammenhang den Begriff "Angstsucht". In der Presse und vor allem im Internet würde sich "jahrelang aufgestauter Fremdenhass" entladen, den sich besonders Politiker der rechten Szene zu Nutze machten.
Der freie Publizist und ehemalige Redakteur des NRC Handelsblad setzt sich mit den Geschehnissen vom Winter 2004 akribisch auseinander und blickt dabei auf die Zeit nach dem Attentat. Dem Autor geht es in seiner Analyse weniger darum, wie es zu dem tragischen Ereignis kommen konnte, sondern eher, wie damit umgegangen wird.

Mak erzählt, wie es plötzlich im Land zu einer offiziellen Trennung zwischen "Niederländern" und "Moslems" kam, obwohl es hier Menschen betrifft, die in demselben Land aufgewachsen sind und die niederländische Staatsbürgerschaft besitzen. Er zitiert den Wissenschaftler Fouad Laroui, der auf Fragen, wie er "als Moslem" über etwas denke, stets antwortet: "Ich denke nicht als Moslem, ich denke als Individuum, ich denke als ich selbst." Genau diesem Mann wird auch eines Tages bewusst, dass jenes "hübsche, moderne Amsterdamer Mädchen, das er jahrelang nie anders als in Jeans gesehen hatte, plötzlich ein Kopftuch trug."
Die Politikerin Ayaan Hirsi Ali, die gemeinsam mit van Gogh den islamkritischen Film "Submission Part 1" gedreht hatte und das eigentliche Mordopfer werden sollte, schlug im Parlament sogar vor, "bei Bewerbungen Moslems herauszugreifen und sie auf ihre politischen Überzeugungen hin zu überprüfen". Ein solches Vorgehen steht im Widerspruch zu den Antidiskrimi- nierungsbestimmungen der Verfassung, aber in einem Land der "moralischen Panik" wird so etwas nebensächlich.

Der Autor Mak beobachtet aber nicht nur genau seine Umgebung, sondern stellt auch eigene mitunter sehr gewagte Thesen auf, zum Beispiel, dass die heutige Situation der Moslems in den Niederlanden der der Juden in der Weimarer Republik kurz vor dem Dritten Reich ähnelte. Beide religiösen Gruppen würden ausgegrenzt. Ebenso heikel ist die These, Theo van Goghs Film "Submission Part 1" nutze die gleiche Propagandatechnik wie der NS-Propagandafilm "Der ewige Jude". Klar, dass solche Thesen in den Niederlanden Wellen schlagen und das Buch die Niederländer seit seinem Erscheinungstermin im Februar 2005 zu kontroversen Diskussionen anregt - aber das ist wohl auch des Ziel des Autors, der die einseitige und hetzerische Berichterstattung der Medien anprangert. Seit Oktober 2005 ist "Der Mord an Theo van Gogh" auch im deutschen Buchhandel erhältlich.

Mak schreibt wissenschaftlich, ohne jedoch in einen hochsoziologischen Text abzudriften. Er bedient sich eines verständlichen Vokabulars und belegt dabei seine Thesen mit Zitaten und Zahlen. So stellt er beispielsweise fest, dass die Gefahr der radikal-islamischen Bevölkerung überzeichnet werde. In den Niederlanden leben offiziell 900.000 Moslems, doch "allerhöchstens 20 Prozent sahen regelmäßig eine Moschee von innen". Wie der niederländische Geheimdienst ermittelt habe, seien höchstens 5.000 Moslems islamistisch. Gewaltbereit seien sogar nur 100 bis 200 junge Männer". Dies mache "nur 0,04 Prozent der moslemischen Bevölkerung" aus.

Die Entscheidung für dieses Buch gestaltet sich jedoch nicht für jeden Leser einfach. Der Einband ist puristisch gestaltet und auch im Innenteil wurde - wohl bewusst - auf Bilder verzichtet. Auch der wiederkehrende starke Bezug zur niederländischen Historie wirkt nicht immer einladend. Wer sich jedoch auf "Der Mord an Theo van Gogh" einlassen möchte, kann sich auf eine messerscharfe und mutige Analyse freuen, die den Leser zum Nachdenken anregt und immer wieder eine starke Parallele zur deutschen Politik aufzeigt.

Nikola Poitzmann



Taschenbuch | Erschienen: 01. Oktober 2005 | ISBN: 3518124633 | Preis: 8 Euro | 106 Seiten

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