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 Agent 6

Serie: Leo Demidow, Band 3
Autoren: Tom Rob Smith
Übersetzer: Eva Kemper
Verlag: Manhattan

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Die Sowjetunion befindet sich im Jahr 1950 fest im Griff von Stalins gnadenlosem Terrorregime. Als Agent des Ministeriums für Staatssicherheit hat Leo Demidow die Aufgabe, eben dieses Regime vor allen feindlichen Einflüssen zu schützen und subversive Strömungen aufzuspüren. Als der schwarze US-Amerikaner Jesse Austin, Sänger und bekennender Kommunist, als Staatsgast in Moskau empfangen wird, hat Leo die heikle Aufgabe, den Gast einerseits vor möglichem Unheil zu bewahren und ihm andererseits nur die strahlenden, positiven Seiten des kommunistischen Systems zu zeigen. Mehr durch Zufall lernt Leo bei diesem Staatsbesuch die Lehrerin Raisa kennen und lieben. Der systemtreue MGB-Agent ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Jesse Austins Reise in die Sowjetunion noch einen langen Schatten auf sein komplettes Leben werfen wird ...
Fünfzehn Jahre später: Leo ist kein Agent mehr und hat seine große Liebe Raisa geheiratet, zudem haben die beiden zwei Mädchen adoptiert. Das Leben des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters verläuft glücklich - bis Raisa in die USA reist, um dort ein gemeinsames Konzert von russischen und amerikanischen Schülern zu betreuen, das im Kalten Krieg ein positives Zeichen setzen soll.
Doch Raisa kehrt von der Reise nicht mehr zurück. Leos Welt bricht in Stücke, als er erfährt, dass seine Frau erschossen wurde - und dass sie kurz zuvor auf einer Kundgebung den amerikanischen Sänger Jesse Austin ermordet haben soll ...

"Agent 6" ist bereits der dritte Roman von Tom Rob Smith, in dessen Mittelpunkt Leo Demidow steht. Mehr noch als in den Vorgängerromanen "Kind 44" und "Kolyma" wird Leo zur tragischen Figur - seine Vergangenheit im Dienste des MGB, wo er das Leben anderer Menschen mit einem einzigen Satz vernichten konnte, stellt er längst in Frage. Mit Raisa wird ihm der Mittelpunkt seines Lebens genommen. Leo ahnt, dass seine Töchter, seine Frau und der kommunistische Sänger Jesse Austin bloß Spielfiguren in einem politischen Komplott waren und deshalb ihr Leben lassen mussten.

Der Autor spannt erneut einen weiten Handlungsbogen, beginnt im Jahr 1950, wo er sorgsam den Grundstein legt für die weitere Entwicklung des Romans, bevor er einen Zeitsprung ins Jahr 1965 macht. Nach dem gewaltsamen Tod von Leos Frau findet der Leser sich dann plötzlich mitten im russisch-afghanischen Krieg in den 1980er Jahren wieder, denn Demidow wurde degradiert und nach Kabul versetzt, wo er in einem Sumpf aus Selbstmitleid und vor allem Opium versinkt und sein Lebensziel - die Wahrheit über Raisas Tod herauszufinden - längst aus den Augen verloren hat.

Tom Rob Smith beherrscht es ausgezeichnet, mit seinen Worten lebendige Bilder im Kopf des Leser zu erschaffen und eine packende Atmosphäre zu erzeugen, die wirklich ans Buch fesselt: Die Stimmung im Moskau der 1950 klirrt vor Kälte und ist gleichzeitig aufgeladen von Paranoia und Misstrauen, so dass es einem beim Lesen kalt über den Rücken läuft. Der umständlich organisierte Staatsbesuch von Jesse Austin, die schlecht getarnten Propaganda-Lügen, das Umeinander-Herumtänzeln und Abwägen, all dies ist nervenaufreibend zu lesen und erweckt fast den Eindruck, als hätte der Autor diese Zeit aus erster Hand miterlebt; dies ist umso bemerkenswerter, weil Smith im Jahr 1979 geboren wurde.
Wenn die Handlung sich schließlich nach Afghanistan verlagert, ändert sich auch die Stimmung völlig; gelungen fängt der Autor die Atmosphäre im besetzten Kabul ein, die ebenso bedrohlich und lebensgefährlich wirkt wie die in der Sowjetunion - und gleichzeitig völlig anders und fremdartig. Versinkt der Protagonist in der Mitte des Romans eine Zeitlang in völliger Regungslosigkeit und Selbstmitleid - hier ist die Handlung zugegebenermaßen etwas zäh -, so bricht dies bald wieder auf und Leo wird fast wieder er selbst, denn unverhofft kommt er der Verschwörung um Jesse Austin und dem Tod seiner Frau wieder auf die Spur. Das Ende ist dann wieder wirklich spannungsgeladen, erinnert an einen dramatischen Agententhriller und sorgt dafür, dass man mitfiebert und mit Leo bangt.

"Agent 6" ist vielleicht nicht der beste Teil der Trilogie, jedoch auf jeden Fall ein spannendes, gut durchdachtes und stellenweise dramatisches Lesevergnügen, das den Leser durch mehrere Jahrzehnte und in weit entfernte Länder führt. Ein gelungener Abschluss der Reihe, der vor allem durch die intensiven Schilderungen des besetzten Afghanistans - die ja in unserer Zeit erneut absolute Brisanz und Aktualität haben - fesselt.

Christina Liebeck

Probe


Hardcover | Erschienen: 19. September 2011 | ISBN: 978-3442546770 | Originaltitel: Agent 6 | Preis: 21,99 Euro | 539 Seiten | Sprache: Deutsch

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