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 Wozu noch Sozialgeschichte?

Eine Disziplin im Umbruch


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Sozialgeschichte war das Leitbild der Geschichtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit den 90er Jahren jedoch wurde sie zunehmend von der Kulturgeschichte, von postcolonial studies und global history abgelöst. Kategorien wie Klassen oder Modernisierung sind hinter Begriffen wie Kultur oder Sprache zurückgetreten. Ein Sammelband von Pascal Maeder, Barbara Lüthi und Thomas Mergel versucht vor dieser Entwicklung Antworten auf die Frage zu finden "Wozu noch Sozialgeschichte?".

Der knapp 250-seitige Band, der zugleich eine Festschrift zum 65. Geburtstag für Josef Mooser ist, versammelt zwölf Beiträge zu dem Thema, mitunter von namhaften Historikern, zum Beispiel von Jürgen Kocka oder Hans-Ulrich Wehler. Sie alle loten entweder das Verhältnis von Kultur- und Sozialgeschichte aus oder zeigen beispielhaft, welche Chancen, das heißt Forschungsfelder, für die Sozialgeschichte durch neue Fragestellungen, Methoden und Möglichkeiten noch bereit liegen.
Jürgen Kocka zeigt beispielsweise auf, welche Möglichkeiten die global history bietet, um vergleichende sozialgeschichtliche Fragestellungen über Europa und die westliche Welt hinaus zu bearbeiten. Franz-Josef Brüggemeier weist in seinem Beitrag auf die Verdrängung der sozialen Frage durch die Umweltbewegung hin. Trotz der weiterhin bestehenden massiven sozioökonomischen Ungleichheit spielt in der deutschen Umweltbewegung die überproportionale Umweltbelastung für ärmere Schichten so gut wie keine Rolle. Hier kann Sozialgeschichte auch für die politische Gegenwart Wahrnehmungslücken schließen.
Im Anhang des Bandes finden sich Hinweise zu den Autoren und Herausgebern.

Der Band stellt die Frage, ob die Zeit der Sozialwissenschaften vorbei ist. Die Antwort, nicht überraschend bei der Auswahl der Autoren, ist natürlich nein. In vielen überzeugenden Beiträgen wird dargelegt, wie sich die Sozialgeschichte neben den neuen Trends in der Geschichtswissenschaft einordnen könnte und wie sie weiterhin fruchtbare Forschungsergebnisse produzieren kann. Es geht weniger um einen Abgesang oder ein Hochleben lassen einer inzwischen betagten Schule, sondern um eine Neuorientierung.

Beispielhaft für diesen Gedanken ist der originelle Ansatz von Philipp Sarasin, der für seinen Beitrag mittels des googlebooks Ngram viewers, ein Tool, mit dem graphisch dargestellt werden kann, wie häufig bestimmte Wörter in einem Jahr in den bei googlebooks durchsuchbaren Büchern vorkommen, Kurven zu einigen Begriffen erstellt hat und miteinander vergleicht. Sein Ergebnis: Die sozialwissenschaftliche Methode einer Zahlenreihe und ihre graphische Darstellung ist durchaus ein hilfreiches Instrument für die kulturwissenschaftliche Methode der Diskursanalyse. Nicht Gegensätzlichkeit, sondern Ergänzung alter und neuer Methoden sollte daher das Zukunftsprogramm sein.
Auch wenn die Sozialgeschichte nicht mehr den überragenden Stellenwert besitzt wie noch vor 30 Jahren, ihre Methoden, Ergebnisse und Forschungsfelder sind weiterhin von Bedeutung. Es ist nur notwendig, sie mit den neuen Möglichkeiten sinnvoll zu verknüpfen.

Fazit: Viele interessante Beiträge loten die Zukunft der stark unter Konkurrenz geratenen Sozialgeschichte auf anregende Weise aus. Dieser Band ist daher allen Historikern und Interessierten sehr zu empfehlen!

Das Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe können hier auf der Verlags-Website eingesehen werden.

Andreas Schmidt



Hardcover | Erschienen: 4. April 2012 | ISBN: 978-3525300343 | Preis: 49,95 Euro | 245 Seiten | Sprache: Deutsch

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