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 Schulden

Die ersten 5000 Jahre


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Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Mit der Finanzkrise rückten viele neue Begriffe in den Fokus politischer Debatten, ein alter Begriff gewann noch größeres Interesse: Schulden. Bereits vor 2008 drehte sich ein großer Teil des politischen Diskurses darum Staatsschulden zu reduzieren. Im Zuge der Krise explodierten die Defizite der Staaten aber endgültig. Die Staatsschulden haben Größenordnungen erreicht, die jeden Glauben an ihre Rückzahlbarkeit erschüttern. David Graeber, Anthropologe in den USA, glaubt auch nicht, dass dies notwendig ist.
In seinem Buch "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" schreibt er die Weltgeschichte aus einer bisher wenig beachteten Perspektive. Neben den Umgang mit Schulden erzählt Graeber dabei von Geld und seinen Formen, von Märkten und Staaten, von Moral, Religionen und Ideologien. Dabei verknüpft er vieles auf völlig neue Weise miteinander.

Das knapp 540-seitige Buch gibt in zwölf Kapiteln einen Überblick über die sozio-ökonomischen Verhältnisse in verschiedenen Kulturen in verschiedenen historischen Zeiten. Dabei ist das Buch grob chronologisch aufgebaut. Graeber beginnt vor den frühen Hochkulturen, in den späteren Kapiteln geht es dann meistens um Europa, den nahen Osten, Indien und China. Allerdings springt er dabei häufig und bringt auch Beispiele aus anderen Kulturen oder Zeiten.

Dem Autor geht es dabei um die vielfältigen Weisen, in der Menschen in der Geschichte Schulden aufgefasst haben und unter welchen Umständen sich die Auffassungen veränderten. Graeber führt einige neue Begriffe ein, beispielsweise die der humanen und kommerziellen Ökonomien. In humanen Ökonomien wird Geld nur als Mittel verwendet, um zwischenmenschliche Beziehungen zu regulieren, also zum Beispiel um zu sühnen oder zu heiraten. Nahrung, Kleidung oder ähnliches wurde in diesen Ökonomien direkt getauscht oder auf andere Weise allen Mitgliedern einer Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. In kommerziellen Ökonomien dagegen wird Geld ausschließlich dazu benutzt Dinge zu erwerben.
In den späteren Kapiteln schreibt Graeber eine Art Weltgeschichte der Ökonomie, in der er beschreibt, wie weltweit in der Achsenzeit, im Mittelalter und im Zeitalter der kapitalistischen Imperien sich Geld, Märkte, Staaten und Ideologien veränderten und neue Verhältnisse zueinander eingingen. Im letzten Kapitel schließlich beschreibt der Autor die Geschichte zwischen 1971, der Entkopplung des Dollar vom Gold, und 2008, dem Ausbruch der Finanzkrise. Sein Fazit lautet, dass der Kapitalismus kaum noch zwei Generationen überleben kann.

Das Buch endet mit einem Anmerkungsapparat, einer Bibliographie sowie einem Personen- und einem Sachregister im Anhang.

David Graebers "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" ist ein gut geschriebenes Buch mit vielen originellen und interessanten Gedanken. Der Autor schreibt in einem erzählerischen und wenig schweren Stil. Er argumentiert durchweg anthropologisch und nur selten auf eine Weise, die Ökonomen wohl zufrieden stellen würde.
Der Begriff der Schulden bildet für Graebers Geschichte der Ökonomien nur eine Art roten Faden. Es geht ihm um viel mehr, um ein Verständnis, wie vielfältig menschliche Praktiken und damit auch ökonomische Praktiken sind. Dabei kommen erstaunliche Erkenntnisse zu Tage. Beispielsweise dass, wie in humanen Ökonomien üblich, Geld kein Maß für den Wert von materiellen Dingen sein muss, sondern vielmehr ein Maß für zwischenmenschliche Verhältnisse, für Ehre oder Freundschaft sein kann. Oder dass Markt und Staat keine Gegensätze sind, sondern in den meisten Fällen einander bedingen. Nach Graeber sind Märkte in der Achsenzeit meistens dann entstanden, wenn Könige oder Heerführer ihre Soldaten entlohnen mussten. Sie bezahlten sie, zum Beispiel mit Münzen, und führten gleichzeitig eine Steuer ein, die nur mit diesen Münzen bezahlt werden konnten. Folglich mussten die Steuerpflichtigen den Soldaten etwas verkaufen, um mit den Münzen die Steuern bezahlen zu können.

Ähnliche Beispiele werfen ein neues Licht auf unserer Art des Wirtschaftens. Der Autor sieht keinen Gegensatz zwischen Kapitalismus und Sklaverei oder Schuldknechtschaft, vielmehr basiere der Kapitalismus auf solche Formen der Ausbeutung. Graeber weist fundiert nach, dass viele heute alltägliche Instrumente des Kapitalismus, wie Wechsel oder Aktiengesellschaften, aus dem Mittelalter stammen. Zwar entsteht keine systematische neue Geschichte der Weltwirtschaft, aber viele Gedanken und Ideen in diesem Buch führen zu einer neuen Interpretation der Weltgeschichte. All das, von dem sich der Kapitalismus angeblich distanziert hat, ist nach Graeber dessen Ursprung mit allen Implikationen, die dies für die Gegenwart hat. Unser Verständnis von Wirtschaft basiert auf Konzepten wie Sklaverei und Krieg und verdankt viele seiner Prinzipien metaphysischen Ideen des Mittelalters.

Kritisch ist bei all dem nur zu sehen, dass der Autor relativ gelassen mit Begriffen und Theorien umgeht. So wird die europäische Epoche des Mittelalters zu einer Epoche der Weltgeschichte, ohne die eurozentrischen Implikation dieser Begriffsverwendung zu reflektieren. Die Achsenzeit wird ohne hinreichende Begründung um einige Jahrhunderte verlängert. Kapitalismus wird gar nicht groß definiert, sondern nur kurz erklärt, dass er älter sei als Lohnarbeit, weil es schon vor ihr Aktienhandel und dergleichen gab. So fehlt den vielen interessanten und originellen Ansätzen und Assoziationen die analytische Tiefe. Stilistisch merkt der Leser das vor allem bei den vielen und ausführlichen Exkursen im Text, deren Bedeutung für die Gesamtargumentation häufig nicht klar wird.

So ist schließlich ein Buch entstanden, das mit erzählerischer Leichtigkeit interessante Zusammenhänge herausarbeitet und einige originelle Assoziationen bietet, die auch Gegenstand weiterer Forschungen sein sollten. Auf der analytischen Ebene bleibt aber vieles unklar, so dass der Wert dieses Buches vor allem ein politischer ist: Die Erkenntnis, dass alles veränderbar ist, vor allem der Glaube, Schulden müssten zurückgezahlt werden, auch dann, wenn es unmöglich ist. Die wichtigste Stelle des Buches ist daher vielleicht auch die letzte Seite, auf der der Autor ein Sabbatjahr fordert, in dem, wie bei den Sumerern, regelmäßig alle Schulden erlassen werden, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren. Allein für diese Erkenntnis lohnt sich die Lektüre!

Eine Leseprobe gibt es hier auf der Website des Verlags.

Andreas Schmidt



Hardcover | Erschienen: 14. Mai 2012 | ISBN: 978-3608947670 | Originaltitel: Debt - The first 5000 Years | Preis: 26,95 Euro | 540 Seiten | Sprache: Deutsch

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