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 DSA-Roman, Band 1: Der Scharlatan

Serie: DSA-Roman, Band 1
System: Das Schwarze Auge
Autoren: Ulrich Kiesow
Verlag: Heyne

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Brutalität
Gefühl
Humor
Spannung
Gerions Leben ist das eines umherziehenden Scharlatans, der den einfachen Menschen gegen Bezahlung die Wunder der Welt als Illusionen vor die Augen zaubert. Er ist gewitzt und wortgewandt, aber verbittert und einsam. Der nicht mehr ganz junge Gesell und sein Hund Gurvan sind mit diesem Leben aber durchaus zufrieden.
Alles ändert sich, als Gerion in Ferdok Selissa von Jergenquell kennen lernt, eine junge hübsche Lanzenreiterin adligen Geblüts. Zunächst ist ihre Bekanntschaft eher flüchtig und spielerisch, aber als Selissa plötzlich wegen Hochverrats eingekerkert und hochnotpeinlich befragt wird, und als die Stallmagd Algunde Gerion verzweifelt bittet, sie zu befreien, gerät er mit sich und seinem derzeitigen Lebenswandel in Konflikt.
Was war geschehen? Graf Erlan von Wengenholm, auf dessen Land sich die Baronie Jergenquell befindet, will sich selbige mit ihren reichhaltigen Goldminen aneignen und hat deshalb zusammen mit der Magierin Ismene eine böse Intrige ausgeheckt, die den Mord am Baron und dessen ältesten Sohn einschließt und Selissa und ihren kleinen Bruder Ulfing in die Nähe von Reichsverrätern rückt.
Da Gerion Algundes Tränen nicht widerstehen kann und ohnehin gewisse Gefühle für Selissa hegt, schreitet er zur Tat und befreit nicht nur die Kriegerin, sondern auch ihren kämpferischen Verlobten, Graf Arvid aus dem fernen Bornland, der auf der Suche nach Selissa ein wenig zu grob mit der Leiterin der Untersuchung umgesprungen ist. Gemeinsam beschließen die vier Gefährten, dem Wengenholm entgegen zu treten. Der setzt seinerseits alles daran, die lästige Baronin und ihre Mitstreiter aus dem Weg zu schaffen.

Dies ist der erste von inzwischen beachtlich vielen Romanen um den Kontinent Aventurien, und geschrieben wurde er vom Erfinder des DSA-Systems, Ulrich Kiesow, der kurz nach Vollendung seines Epos "Das zerbrochene Rad" seinem Krebsleiden erlag. Er leitet den Roman mit einer kurzen und dürftigen Vorstellung von Aventurien ein - die geografische Darstellung spart den gesamten Osten mit Maraskan und den Tulamidenlanden aus, auf die Historie geht er nicht ein, weil sie zu komplex sei, und Magie und die allgegenwärtige Dämonenproblematik finden kaum Erwähnung. Die sympathische Karte von den Schauplätzen der Geschichte entschädigt für diese Mängel - und ja, es gibt die Nummer 6, sie ist gut versteckt, viel Spaß beim Suchen. Am Ende findet der Leser noch die übliche aventurische Vokabelhilfe.
Die Geschichte selber ist ein erstaunlich schlichter Rache-Plot - Selissa versucht nicht einmal, die Intrige aufzuklären und ihr Erbe rechtmäßig wiederzuerlangen. Kiesow führt den Leser von einer unbedarften Wette und ein wenig Kriegerehre über durchaus brutale Folterszenen und eine chaotische Befreiungsaktion bis zum leider nur wenig spannenden Finale und schmückt das Ganze mit heiteren, tragisch-pathetischen oder auch einfach nur ruhigen Szenen, eine Mixtur, die ein wenig eine klare Grundstimmung vermissen lässt.
Kiesow scheint ganz bewusst einen Querschnitt durch möglichst viele Rollenspielsituationen bieten zu wollen. Es gibt unter anderem rondragefällige Kämpfe, listenreiche Schelmereien, den obligatorischen Räuberüberfall, verzweifelte mengenmäßige Unterlegenheit, einen - im übrigen enttäuschenden - Zweikampf zwischen zwei Magiern und eine Befreiung aus dem Kerker. Das sind Szenen, die für Rollenspieler schon beinahe zum Alltag gehören, und das fällt hier mehr als in den meisten nachfolgenden Romanen auf. Zum Glück hat Kiesow nicht gleich im ersten Roman Dämonen ins Rennen geschickt.
Die Geschichte wird getragen von Gerion, der eine wirklich faszinierende Gestalt und gut ausgearbeitet ist - vielleicht eine von Kiesows Rollenspielfiguren. Stück für Stück erfährt der Leser mehr über ihn und seine Vergangenheit, und einige seiner Auftritte sind schlicht genial. Dagegen bleiben die anderen Figuren oberflächlich und stereotyp - der hünenhafte Grobian aus dem Bornland, das naive, extrem emotionale Stallmädchen, der böse Graf und die gerissene Magierin -, und bisweilen sollte man bezweifeln, dass Rondra auf Selissas Seite sein will, wenn diese einen Armbrustangriff zu ihren Gunsten aus dem Hinterhalt durchgehen lässt. Ebenso verwundert, dass Algundes Säugling scheinbar nur schlafen und schreien kann und nichts dazwischen kennt. In der Darstellung von Gefühlen scheint Kiesow kein ganz so gutes Händchen zu haben, die Helden nehmen diverse Situationen zu leicht. Auch scheint man sich nicht viel aus Verletzungen zu machen - auf Selissas Foltermale wird nach ihrer Befreiung nicht weiter eingegangen.
Man kann sich über die Ausführlichkeit von Beschreibungen erotischer Szenen streiten, aber zumindest sollte es stimmig sein, und nachdem Arvid und Selissa ansonsten eher wie Gefährten denn wie Verlobte miteinander umgehen und kaum Zärtlichkeiten austauschen, war es doch ein wenig überraschend, als es plötzlich an die Gürtellinie ging.
Es sind einige Rechtschreibfehler drin, aber nicht genug, um Einfluss auf die Bewertung haben zu können. Einzig in der ohnehin schlechtesten Szene im ganzen Buch gibt es einen größeren Schnitzer: Die Jagd auf ein paar Ziegen, mit der Kiesow scheinbar so etwas wie Slapstick in die Geschichte bringen wollte - was völlig deplatziert wirkt -, beginnt mit dem zweiten Speerwurfversuch, aber der erste wird nicht beschrieben, sondern nur von Arvid kommentiert.
Man merkt, dass Kiesow diese Welt voll und ganz im Kopf hatte: Hier stimmt alles, man lernt viel über Aventurien, indem man einfach nur dieses Buch liest, und das zeigt deutlich, dass man viele Fehler späterer Autoren eben nicht darauf zurück führen kann, dass diese Welt noch nicht zur Genüge ausgearbeitet wäre - und Beispiele gibt es da genug, man denke etwa an "Feuerodem". Und diese Informationen bindet Kiesow geschickt in seine Erzählungen ein, selten stößt er den Leser gezielt darauf oder langweilt damit. Ausnahme ist die Erläuterung der fiesen Magierin über ihre derzeitigen Forschungen. Sehr ausführlich, sehr bewandert, aber nur für wahre Aventurienfans von Interesse.

Dieser Roman ist nicht der große Wurf, sondern eher ein nettes kleines Geschichtchen, aber er ist besser als manche anderen Bücher dieser Reihe, deren Autoren diesen Vater aller DSA-Romane womöglich gar nicht gelesen haben. Aber trotz der faszinierenden Hauptfigur und dem Kiesow-Bonus kommt die Wertung wegen der Längen und Konstruktionsfehler und des kaum fesselnden Finales nicht über ein "Mittelmäßig" hinaus. Dies ist Rollenspiel-Prosa pur und für Einsteiger genau das Richtige.

Stefan Knopp



Taschenbuch | Erschienen: 1. Januar 1995 | ISBN: 3453086767 | 365 Seiten | Sprache: Deutsch

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