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 Vordenker der Vernichtung

Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung

Autoren: Götz Aly, Susanne Heim
Verlag: Fischer

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Als dieses Buch 1991 erstmals erschien, sahen sich die beiden Autoren Götz Aly und Susanne Heim insbesondere in Historikerkreisen scharfer Kritik ausgesetzt. Schließlich stellten sie damals die neuartige These auf, dass die nationalsozialistischen Vernichtungspläne auch eine ökonomische Komponente beinhaltete. Dies bedeutet, dass die nationalsozialistische Vernichtungspolitik neben dem irrationalen Rassenhass auf einem rationalen Ökonomiegedanken fußt, der die Ernährungsgrundlage der deutschen Zivilbevölkerung und seiner Soldaten im Blick hatte.

So umstritten diese These damals war, so groß war ihr Einfluss auf die nachfolgende Forschung. Denn zahlreiche Historiker – auch in anderen Ländern wie in Israel oder den USA – nahmen diese als Ausgangspunkt für weitergehende Forschungen, so dass heutzutage der Zusammenhang zwischen der Vernichtungspolitik und Wirtschaftsinteressen nicht mehr angezweifelt wird.

In der nun erschienenen Neuauflage kann nun noch einmal im Detail nachgelesen werden, was die beiden Autoren damals bewog, die oben genannte These aufzustellen. Ausgangspunkt bildet hierbei nicht wie damals noch üblich die Wannseekonferenz im Januar 1942. Vielmehr nahmen sie die Jahre zuvor – ab der Reichspogromnacht im Jahre 1938 – in den Blick, welche die Entscheidung zur Vernichtung als einen Stufenprozess offenbaren. Außerdem richten Götz Aly und Susanne Heim ihr Augenmerk weniger auf die Größen des nationalsozialistischen Deutschlands, sondern auf die "Berater der Macht (…), die sich aus Staatssekretären, leitenden Ministerialbeamten und Experten unterschiedlichster Couleur und Fachrichtungen zusammensetzten". Oder anders gesagt: Es waren Wirtschafts- und Verwaltungsfachleute, Raumplaner, Statistiker und Agronomen sowie Arbeitseinsatzspezialisten und Bevölkerungswissenschaftler, welche die Grundlagen für die Vernichtungspolitik schufen.

Für die Neuauflage der ohne Zweifel wegweisenden Studie wurden insbesondere "Bezüge, die nach 25 Jahre[n] ihre Aktualität verloren hatten" gestrichen, was sicherlich dazu beiträgt, dass die zeitgebundene Studie textlich in ein Standardwerk überführt wird. Hinzu kommt, dass der "hämmernde Ton" (in der Originalfassung finden sich "zahlreiche adjektivische Verstärkungen, Superlative und Anführungszeichen"), welcher so häufig neue, innovativ angelegte Studien kennzeichnet, abgeschwächt und auf eine neutralere Sprachebene abgestuft wurde. Vereinzelt wurden auch inhaltliche Korrekturen – insbesondere, wenn es um die fachliche Korrektheit ging – vorgenommen. Trotz dieser ganzen Maßnahmen ist es jedoch etwas übertrieben – wie auf dem Buchumschlag geschehen – von einer vollständigen Überarbeitung zu sprechen, da neue Forschungsliteratur nur dann eingearbeitet wurde, wenn eben jene fachliche Korrektheit nicht gewährleistet war.

Deutlich treffender ist daher die zweite Bezeichnung, welche ebenfalls auf der Rückseite des Buches zu lesen ist. Denn dort wird die Studie auch als "Standardwerk" bezeichnet, was zweifelsfrei bejaht werden kann und eine Neuveröffentlichung rechtfertigt.

Das Buch zeichnet sich hierbei durch seine präzise und klare Vorgehensweise aus, welche die Planungsschritte sowie deren Hintergründe akribisch nachzeichnet. Beeindruckend und gleichzeitig erschreckend sind die zahlreich zitierten Stimmen von Personen, die in irgendeiner Weise an den Planungen beteiligt waren. Dass es sich dabei mitnichten nur um die Größen des Nazi-Reiches gehandelt hat, wird bei der Lektüre schnell deutlich. Da die beiden Autoren diese Beteiligten immer wieder auch in ihren biografischen Kontext einbetten, lernen die Leser an vielen Stellen unglaubliche Karrieren kennen, welche in Einzelfällen sogar nach 1949 in der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt werden konnten.

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt jedoch in dem Wirken dieser Personen während der nationalsozialistischen Herrschaft, deren geistige Grundlagen auch auf den menschenverachtenden Ideen jener beruhten. Hierbei gelingt es Götz Aly und Susanne Heim immer wieder auf eindringliche Weise, die perfide Denkweise dieser Menschen zu entlarven.

FAZIT: eine sehr empfehlenswerte Neuveröffentlichung einer wegweisenden Studie, welche durch ihre quellengesättigte und akribische Darstellungsweise zeigt, dass die nationalsozialistische Vernichtungspolitik von einer akademisch geprägten Planungselite getragen wurde.

Weitere Informationen zum Buch sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags

Matthias Jakob Schmid



Taschenbuch | Erschienen: 20. Juni 2013 | ISBN: 978-3596195107 | Preis: 12,99 Euro | 528 Seiten | Sprache: Deutsch

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