Bei einem "Bozzetto" handelt es sich um den Entwurf oder das Modell für eine Plastik oder ein Gemälde. Auch Michelangelo arbeitete mit solchen Bozzetti; einer davon existiert heute noch in unklaren Besitzverhältnissen und diente als Vorlage für das "Jüngste Gericht" in der Sixtinische Kapelle.
Dieser Bozzetto ist der Dreh- und Angelpunkt im Thriller des Autorenduos Hermann Alexander Beyeler und Gerd J. Schneeweis. Im Prolog wird die Entstehung des massiv mit der Tradition brechenden Werks aus Michelangelos Sicht skizziert, danach schwenkt die Handlung in die Gegenwart.
Max Prückner, ein Buchautor aus Linz, erhält einen Anruf von dem schwerreichen Schweizer Galeristen und Mäzen Hans Albert Bilgrin, der auf einen vor einem Vierteljahrhundert veröffentlichten Roman von Prückner gestoßen ist. In diesem geht es um Michelangelos Bozzetto, den Bilgrin unbedingt erwerben möchte, wozu er einige Kenntnisse von Prückner benötigt. Es kommt zur Zusammenarbeit zwischen den beiden Männern.
Als sie die Geschichte des Bozzetto zu entwirren versuchen und immer mehr Zeugen ausfindig machen, stoßen sie zunehmend auf Ereignisse, die auf magische Eigenschaften des Bildes hinweisen. Nicht nur hat der Bozzetto allen seinen Besitzern wahrhaftig Unglück gebracht, seit er aus dem Vatikan entfernt wurde, sondern er scheint aktiv in Geschehnisse einzugreifen. Vor allem aber kettet er seine Besitzer und jene, die ihn besitzen wollen, auf verhängnisvolle Art und Weise an sich.
Bilgrin möchte das Bild in den Vatikan zurückbringen und so seine böse Magie bannen. Doch er und sein Freund sind mittlerweile ins Visier einer mächtigen Organisation geraten, die ebenfalls ein zwanghaftes Interesse am Bozzetto entwickelt hat und vor nichts zurückschreckt, um sich das Werk anzueignen. Denn der Bozzetto könnte den Lauf der Weltgeschichte im Sinne dieser Organisation massiv verändern.
Ein gnadenloser Wettlauf beginnt.

[PIC]Bei der Betrachtung der Biografien der Autoren lassen sich diese unschwer in den Protagonisten wieder erkennen. Tatsächlich haben sich beide anhaltend von diesem Ausnahmewerk Michelangelos faszinieren lassen, und der Thriller beruht, wie im Internet nachgelesen werden kann, zu einem guten Teil auf sorgsam recherchierten Tatsachen.
Zusammen mit fiktiven und fantastischen Elementen ergibt sich daraus für den Leser ein Werk aus einem Guss, fesselnd, mit einer regelrechten Sogwirkung: Je tiefer er zusammen mit den Protagonisten in die Materie eintaucht, je mehr Puzzleteilchen zusammenkommen, desto bereitwilliger mag man an die dem Gemälde innewohnenden Kräfte glauben, die wesentlicher Bestandteil der Story sind. Der Leser fiebert mit, unabhängig davon, was er zuvor von "Verschwörungstheorien" in Bezug auf radikale, im Hintergrund der Politik Strippen ziehende Organisationen gehalten hat. Es kommt zu einem filmreifen, atemlosen, doch durchaus realistisch wirkenden Showdown.
Nicht zuletzt lebt der Roman von seinen Charakteren, die lebensnah gezeichnet und dadurch glaubwürdig wirken. Freilich haben im Lauf der fast sechshundert Seiten zahlreiche Personen ihren Auf- und einige ihren Abtritt, sodass man gern ab und an das kleine Personenregister zurate ziehen wird. Was den passionierten Thrillerleser ein wenig stören mag, sind diverse naive bis unüberlegte und leichtsinnige Handlungen der beiden eigentlich hochintelligenten Protagonisten, die sie im Sinne eines spannenden Plots immer wieder in Lebensgefahr bringen - das nimmt der Leser ihnen nicht ab. Kommissar Zufall meint es manchmal ebenfalls ein bisschen zu gut. Dies sind jedoch die einzigen Wermutstropfen.
Fazit: Nicht nur für Kunstfreunde eine packende und beeindruckende Lektüre, die kreuz und quer durch die europäische Geschichte führt und darüber hinaus für ein außergewöhnliches, reales Kunstwerk begeistert, das möglicherweise auch künftig noch von sich reden machen wird.


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