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 Ein Frühling in Jerusalem


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Jerusalem: die Heilige Stadt der drei monotheistischen Religionen und dennoch – beziehungsweise: deshalb – ein immerwährender Zankapfel zwischen ihnen; eine mehrtausendjährige Stadt, in der dem Besucher auf Schritt und Tritt Geschichte begegnet und die immer noch Geschichte schreibt; eine Stadt der Gegensätze und zugleich der ignorierten Gemeinsamkeiten.

Der renommierte Reiseschriftsteller Wolfgang Büscher erzählt in "Ein Frühling in Jerusalem" von einem aktuellen zweimonatigen Aufenthalt in der Jerusalemer Altstadt, zunächst in einem muslimischen Hostel, dann in einem mittelalterlichen griechischen Konvent. Von diesen "Headquarters" ausgehend hat er die Altstadt erkundet: die ganz großen Sehenswürdigkeiten wie den Tempelberg einschließlich der Klagemauer und die Grabeskirche ebenso wie die Basare, vor allem aber Menschen aus den unterschiedlichen Vierteln, die ihm ihre individuellen Familiengeschichten, diverse Anekdoten und damit auch die Geschichte Jerusalems erzählten, das alle als ihre Stadt ansehen – ob sie nun Juden, muslimische Araber, Armenier oder Griechen sind. Begegnungen mit katholischen Mönchen und außergewöhnliche Chancen, etwa eine Übernachtung in der Grabeskirche, gehören ebenso zu den Eindrücken wie Spaziergänge vor den Toren, beispielsweise im Garten Gethsemane.

Von Anfang an gelingt es Büscher, den Leser mitzunehmen, die Eindrücke so zu vermitteln, dass sie ganz plastisch vor diesem erscheinen und häufig tief unter die Haut gehen. Farben, Geräusche, Gerüche, typische Abläufe, vor allem jedoch die Aussagen seiner Gesprächspartner wirken unmittelbar auf den Lesenden ein. Anders als viele Reiseerzählungen soll dieses Buch offensichtlich nicht belehren, sondern zu einer vielseitigen und möglichst engen Begegnung verhelfen. Zusammen mit Büscher erlebt man zunächst den scheinbar unbegreiflichen Wirrwarr der orientalischen Altstadt und findet sich mit jedem Kapitel besser zurecht, bis sich auch für den, der Jerusalem nie wirklich gesehen hat, eine erstaunliche Vertrautheit einstellt. Unabhängig davon erweist sich die am Buchanfang abgedruckte Karte der Altstadt als recht hilfreich zum Verständnis.
Und es sind nicht nur die bunten morgenländischen Orte, die Büschers Bericht prägen, die Verwebung von Religionen und Kulturen - etwa, wenn kurz nach dem Ruf des Muezzins die Glocken läuten -, deren eigenwilligen Charme der Autor so anschaulich beschreibt, sondern vor allem die Menschen, mit denen er sich trifft. Voller Empathie schildert er die teils skurrilen, immer weisen Persönlichkeiten mit äußerst unterschiedlichem Hintergrund, die ihm bereitwillig Informationen über ihr jeweiliges Jerusalem geben, das sich bei genauerem Hinsehen gar nicht so sehr von dem der anderen unterscheidet.
Dabei – und auch hinsichtlich der Begehung von Orten – bietet er dem Leser einen detaillierten Einstieg und überlässt es ihm dann, eigene Schlüsse zu ziehen. Die vielen anscheinend unlösbaren Widersprüche, die durch einen vorurteilsfreien, fairen Dialog so leicht zu beseitigen wären, zeigt Büscher ebenso auf wie Versuche, das Trennende zu überwinden. Beispielsweise erzählt er von einer provozierenden (jüdischen) Siedlerhochzeit am muslimischen Tempelberg, aber auch von einer Fußballmannschaft für Jugendliche mit jeglichem religiösem Hintergrund. Es ist erstaunlich, wie ihm dabei der Spagat zwischen einer angemessenen Darstellung solch emotionsgeladener Themen und einer sachlichen Berichterstattung gelingt. Durchaus mag es geschehen, dass die ein oder andere Begegnung den Leser im tiefsten Inneren erschüttert: An mangelnder "journalistischer Distanz" liegt das nicht, sondern an dem Bild, das sich der Leser anhand der differenzierten, sorgfältig aufbereiteten Lektüre selbst macht.
Büschers Stil trägt sicher zu diesem außergewöhnlichen Leseerlebnis bei. Er erinnert verblüffend an die großen Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ohne allerdings je antiquiert zu wirken; und dass sich der Autor der "alten" Rechtschreibung bedient, dürfte manchem Leser wie mir daher erst nach etlichen Seiten auffallen.

Das ganze Drama Israels, dies vermag das Buch gut zu zeigen, lässt sich in konzentrierter Form in Jerusalems Altstadt nachvollziehen. Es vermittelt den Schmerz, der allen drei monotheistischen Religionen innewohnt, ihre so lange entbehrten Verheißungen und bei allem, was sie trennt, die gemeinsamen Wünsche und Sehnsüchte. Ungerechtfertigte Erwartungen weckt es nicht. Büscher lässt die Stadt schließlich in ihrem einzigartigen "Wüstenlicht" zurück.
Man muss Israel beziehungsweise Jerusalem weder bereist haben noch es besuchen wollen, um von dieser einzigartigen Lektüre gefesselt zu sein und aus ihr sehr viel mitzunehmen: Verständnis, Sorge und Hoffnung – und eine riesige Sympathie.

Eine Leseprobe kann auf der Verlagsseite heruntergeladen werden.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 28. November 2014 | ISBN: 9783871347849 | Preis: 19,95 Euro | 240 Seiten | Sprache: Deutsch

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