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 New York 60s

Sepp Werkmeister


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
1931 geboren, hat der gebürtige Münchner Fotograf Sepp Werkmeister vor allem Größen des Jazz porträtiert, und es sind diese Bilder, die seine Berühmtheit ausmachen. Etliche seiner Fotos kennen wir von Tonträger-Covern, wohl auch ohne zu wissen, wer diese ausdrucksstarken Bilder angefertigt hat. Nicht gezeigt wurden bislang hingegen seine Street-Fotografien aus New York. Sie stammen aus den 60er-Jahren und bieten einen Streifzug durch die Metropole, wie sie sich damals einem aufmerksamen Beobachter darbot, der irgendwo zwischen Dokumentation und Kunst agierte und dem nichts Menschliches fremd war. Eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum präsentiert sie noch bis zum 27.09.2015 – und sie finden sich im hier vorgestellten Buch.

Auf eine lesenswerte Einführung folgt ein Essay von Fritz J. Raddatz, ein "Amerikanisches Alphabet", das die USA der auf Werkmeisters Negativen festgehaltenen 60er fokussiert. Es folgen die Fotografien, zunächst die Streets, dann auch die berühmt gewordenen Porträts von Jazzmusikern, die Platten- und CD-Cover zierten oder in Publikationen erschienen. Eine Biografie des Künstlers wird ebenfalls angeboten. Die Texte finden sich in deutscher und englischer Sprache.

Raddatz' scharfsinniges und ironisches, aus der Distanz des europäischen Betrachters heraus entstandenes "Amerikanisches Alphabet" korrespondiert wunderbar mit Werkmeisters Motivwelten – die Zusammenführung beider erzeugt eine spannungsgeladene Kaskade an Eindrücken. Überall ist Werkmeister herumgestreift und hat mit wachem Blick und einem Händchen für Bildgestaltung einzigartige Werke geschaffen: am Times Square, an der Fifth Avenue, in Harlem, im Theatre District, auf der 42nd Street, an der Central Station, in Greenwich Village, in Midtown und etlichen anderen Vierteln, nicht zuletzt im Elendsviertel Bowery.
Der Leser dieser Rezension kann sich denken, welche Kontraste in einer solchen Zusammenstellung auftauchen. Da sind schwarze Schulkinder in Harlem und ebendort Basketball spielende Jugendliche, bei aller Ärmlichkeit möglichst sauber gekleidet, nach dem letzten Schrei ausgestattete Damen auf der Fifth Avenue, die nicht immer erkennen, dass der besagte letzte Schrei nicht jedem und jeder steht, schwarze Dandys im Theatre District, Prediger und Nonnen in der 42nd Street und ein buntes Sortiment verloren wirkender Menschen an der Central Station. Ihnen gegenüber gestellt finden sich die Elenden aus der Bowery. Besonders anrührend wirkt das Foto eines mittellosen Paares mittleren Alters; beide klammern sich haltsuchend aneinander. Gelegentlich konzentriert sich der Fotograf auch auf Gebäudefluchten, vermüllte Straßen, Schaufenster oder Fassaden, doch steht ganz klar der Mensch im Mittelpunkt fast aller Bilder und damit auch die Sozialkritik oder zumindest Sozialreportage.

Hervorzuheben ist nicht zuletzt Werkmeisters Mut, seine Streets gelegentlich in Farbe abzuliefern, was doch eigentlich in diesem Genre verpönt ist. Auf Werkmeisters Fotos setzt die Farbe Akzente, die die Bildaussage betonen und die Szenen viel lebendiger wirken lassen. Das Lebendige erscheint ohnehin als Werkmeisters "Markenzeichen" – kontemplativ geht es auf diesen Bildern nicht zu.

Einen Kontrapunkt zu den Street-Fotos bilden natürlich die Porträts der Jazz-Größen, meist gegen Ende der Konzerte aufgenommen. Die Musiker schwitzen, sie geben noch einmal alles, sind hochkonzentriert und in einem Fall (Ben Webster und Don Byas) ein wenig bierselig "drauf", vermutlich nach einem Konzert. Beim Betrachten jener vertrauten Bilder darf man wieder und wieder über Werkmeisters Kunst staunen, den richtigen Moment festzuhalten. Diese Abbildungen sind sämtlich in Schwarz-Weiß gehalten.

Angeordnet sind die Fotos sehr harmonisch, vermutlich an der Hängung in der Ausstellung orientiert, gern wurden auch hier gelegentlich Spannungen erzeugt durch auseinanderlaufende Achsen und widersprüchliche Motive auf Doppelseiten, ohne dass je Brüche entstehen. Neben einzelnen Fotos sehen sich Charlie Parker und Simone de Beauvoir zitiert. Ein buntes Buch, ein buntes Portfolio, ein buntes Leben – ein Buch zu einem Genie.

Weitere Informationen zum Buch sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 24. September 2015 | ISBN: 9783777424309 | Preis: 24,90 Euro | 128 Seiten | Sprache: Deutsch, Englisch

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