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 Der wiedergefundene Freund

Autoren: Fred Uhlman
Übersetzer: Felix Berner
Verlag: Diogenes

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Im Grunde hat der 16-jährige Hans Schwarz keine Freunde, und dies macht ihm nichts aus. Seine Ansprüche an eine Freundschaft sind ohnehin so hoch, dass sie kaum zu erfüllen wären. In seiner Klasse eines angesehenen Gymnasiums in Stuttgart wird der Arztsohn Hans grundsätzlich respektiert. Mehr wünscht sich der Jugendliche nicht.

Dies ändert sich abrupt, als es einen Neuzugang in der Klasse gibt: Konradin von Hohenfels, Spross eines der angesehensten schwäbischen Adelsgeschlechter. Konradin unterscheidet sich von allen anderen Jungen, die Hans je kennen gelernt hat. Schüchtern wirbt er um dessen Freundschaft, und Konradin geht bereitwillig darauf ein. Fortan sind die beiden fast unzertrennlich. Doch sie leben im Jahr 1932, und Hans ist jüdischer Abstammung. Für Konradin beginnt bald ein gewaltiger Spagat, und über Hans bricht ein verheerender Sturm herein.

Als es dem jüdischen Arztsohn Hans Schwarz gelingt, den Neuen in der Klasse, Konradin von Hohenfels, zum Freund zu gewinnen, ist das für den Jungen ähnlich wie eine erste Liebe. Denn Hans möchte sich nicht mit so genannten Freunden abgeben, die einfach nur Kameraden sind, er sucht mehr, eine intensive Übereinstimmung oder, wenn es diese nicht geben kann, eine ergiebige Auseinandersetzung. In Konradin, der einer reichen und altehrwürdigen Familie entstammt, findet er einen solchen Gegenpart und Seelenverwandten. Die beiden Jungen erleben ein glückliches Jahr, doch 1933 erreicht der Nationalsozialismus auch das gemächliche Schwabenland.

Nun zeigt sich, dass die Freundschaft vor dem Brand, der Deutschland heimsucht, keinen Bestand haben kann. Hans übersteht das Morden in den USA und will mit seiner Stuttgarter Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. Eines Tages jedoch holt ihn diese überraschend und verstörend ein, und er begreift, dass sein Freund nicht der war, für den er ihn am Ende gehalten hat – und er selbst auch ein anderer geworden ist.

Fred Uhlmanns Novelle punktet vor allem mit einem völlig überraschenden Ende von einer Versöhnlichkeit, die der Leser angesichts des Vorangegangenen nicht vermutet hätte. Bei diesem Abschluss ist es vielleicht sogar gestattet, von einem Geniestreich reden. Uhlman hat den Beginn bis hin zum Wendepunkt zwar recht kurzweilig gestaltet, die Geschichte wirkt jedoch über lange Strecken wie eine klassische, recht brave Jungengeschichte aus dem ersten Teil des 20. Jahrhunderts. Nun freilich kann der Leser das dräuende Unheil schon bald absehen, es fragt sich nur, auf welche Weise es hereinbrechen wird.

Wer dann Heldentaten des jungen, so integren Hohenfels erwartet, muss sich eines Besseren oder eher Schlechteren belehren lassen. Wie erwähnt, zerbricht die Freundschaft, allerdings ohne dass Konradin Hans und dessen Familie selbst etwas Böses zufügte. Anschließend setzt Fred Uhlman eine Art Zeitraffer ein bis zum Wendepunkt, dem Eintreffen eines Briefes aus Stuttgart bei Hans Schwarz. Und nun kommt wirklich atemlose Spannung auf. Es ist der letzte, der allerletzte Satz der Novelle, der alle Vermutungen auf den Kopf stellt, sie zwar bestätigt, jedoch auf eine gänzlich unvermutete Weise. Mehr darf hier natürlich nicht verraten werden. Doch die bis dahin nicht außergewöhnliche Erzählung erhält dadurch einen Gehalt und eine Tiefe, die ihr zuvor nicht hätte zugeschrieben werden können.

Ein sehr lesenswertes Büchlein als kleine Schmuckausgabe mit Lesebändchen und Struktureinband, angesichts der Kürze des Textes zwar nicht billig, aber die Investition lohnt sich.

Eine Leseprobe bietet die Verlagsseite.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 24. Februar 2016 | ISBN: 9783257261288 | Originaltitel: Reunion | Preis: 10,00 Euro | 111 Seiten | Sprache: Deutsch

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