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 Berlin 1936

Sechzehn Tage im August

Autoren: Oliver Hilmes
Verlag: Siedler

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Ziemlich genau vor siebzig Jahren blickte nicht nur die Sportwelt anlässlich der Olympischen Sommerspiele gespannt auf Berlin, sondern auch Politiker, Funktionäre und Künstler zahlreicher Länder. Sie alle beäugten das Treiben in der Hauptstadt des Deutschen Reiches kritisch. Wie würde sich wohl das nationalsozialistische Deutschland bei diesem "Fest der Völker" präsentieren?


"Imposantes Schauspiel", notiert der Propagandaminister in sein Tagebuch. "Was kann man da schon Rares sagen? Dann kommt die Flamme von Olympia. Ein ergreifender Moment. Es regnet leicht."


Als am 1. August 1936 - vor 70 Jahren - die Olympischen Sommerspiele in Berlin eröffnet wurden, zeigte sich das Wetter in Berlin alles andere als sommerlich. Regenwolken hingen über der Stadt und zeitweise regnete es sogar. Doch in dem vorliegenden Buch geht es natürlich, obwohl jeder Tag mit dem amtlichen Bericht des Reichswetterdienstes eingeleitet wird, nicht in erster Linie um dasselbige. Vielmehr zeichnet der vor allem aufgrund seiner Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen bekannt gewordene Publizist Oliver Hilmes Tag für Tag nach, wie unterschiedliche Menschen die Zeit der Spiele erlebt haben. Interessanterweise spielen dabei die Geschehnisse in den Sportstätten selbst nicht die tragende Rolle, wenngleich diese natürlich durchaus im Band vorhanden sind. So schildert Hilmes beispielsweise, wie sich Hitlers Hoffnung im 100-Meter-Lauf, Erich Borchmeyer, dem schwarzen US-Amerikaner Jesse Owens nicht nur geschlagen geben musste, sondern mit seinem 5. Platz auch medaillenlos von dannen ging, oder berichtet von Hendrika Wilhelmina Mastenbroek, der "Königin der Schwimmerinnen", die in einem dramatischen Endspurt ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit Staffelgold für die Niederländerinnen sichert.


Das Quartier Latin ist ein Vulkan, und an dessen Abgrund tanzen die Gäste. Für ein paar Stunden am Tag scheint das "Dritte Reich" nicht zu existieren.


Den weitaus größeren Teil nehmen jedoch Menschen wie Erich Arendt ein, der aufgrund seiner unbedachten Äußerungen im August 1936 nach einer durchzechten Nacht im "Resi" (Residenz Casino) nicht nur in einem Untersuchungsgefängnis einsitzt, sondern eine längere Gefängnisstrafe zu befürchten hat, oder Mostafa El Sherbini ein, dessen Sherbini-Bar während der Spiele zu den angesagtesten Adressen gehörte, gleichzeitig aber wegen seiner jüdischen Partnerin und Geschäftsführerin ins Visier der Gestapo rückte. Überhaupt wird im August 1936 im olympischen Berlin erstaunlich viel gefeiert und getanzt. Ja selbst einen Hit hatte der Sommer 1936: "Goody Goody" von den Teddies. Allerdings - und das wird eben bei aller Ausgelassenheit immer deutlich, schwingt eben auch stets das Wissen oder Unwissen, dass dies vielleicht die letzten unbeschwerten Tage für lange Zeit sein werden, sodass manch einer bereits Fluchtpläne für die Zeit nach den Spielen schmiedet. Dennoch zeigt sich das Berlin jener Tage überraschend bunt, wenngleich nicht unbeschwert. Auch NS-Größen finden ihren Platz, wenn Hilmes beispielsweise von Magda Goebbels Affäre schreibt.

Ganz im Sinne der Ausrichtung des Bandes findet sich zu jedem Tag neben den schlaglichtartigen Eindrücken und schicksalhaften Geschehnissen aus dem Blickwinkel bestimmter Personen auch jeweils eine Tagesmeldung der Staatspolizei Berlins. Auf diese Weise gelingt es Hilmes, ein ausgesprochen buntes Zeitbild jener Augusttage entwerfen, welches hinter die Kulissen, also vor allem jenseits der eigentlichen Sportereignisse blickt. Zum besseren Verständnis erläutert Hilmes in kurzen einordnenden rückblickhaften Passagen auch die Zusammenhänge, sodass es nicht bei losgelösten Momentaufnahmen bleibt. Sehr interessant ist in dabei auch das letzte Kapitel. Denn hier erfährt der Leser, was aus den im Buch genannten Personen geworden ist. Auch wenn die meisten in ihrem Leben noch viele Sommertage erlebt haben, so dürfte der August 1936 bei vielen doch bleibende Spuren und Eindrücke hinterlassen haben.

FAZIT: Eine fesselnde und bewegende Reise in den August 1936. Anhand von zahlreichen schillernden Einzelschicksalen legt Oliver Hilmes eindrucksvoll die widersprüchliche Stimmung und Atmosphäre der Olympischen Sommerspiele im nationalsozialistischen Berlin – zwischen Wettkampf und Alltag, Feierlaune und Zukunftsängsten – offen.

Weitere Informationen sowie ein Blick ins Buch finden sich auf der Webseite des Verlags.

Matthias Jakob Schmid



Hardcover | Erschienen: 2. Mai 2016 | ISBN: 9783827500595 | Preis: 19,99 Euro | 304 Seiten | Sprache: Deutsch

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