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 Deutsche Mythen seit 1945


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Nicht erst seit dem Kinofilm "Das Wunder von Bern" dürfte sich die Geschichte einer geschundenen Nation, welche durch den Gewinn eines Fußballweltmeistertitels wieder ein Quäntchen Selbstwertgefühl gewann, genauso ins Gedächtnis der bundesdeutschen Bürger eingebrannt haben wie das zweite Wunder jener Zeit, das Wirtschaftswunder. Derartige Gründungsmythen gehören wohl zu den markantesten Erzählungen einer Nation, doch sind dies nicht die einzigen wie der vorliegende Band "Deutsche Mythen seit 1945" zur gleichnamigen Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zeigt. Denn dieser "röntgt" gewissermaßen unser kollektives Gedächtnis und beschreibt und analysiert jene Geschichtserzählungen, auf die sich die Bundesrepublik nach 1945 gründet. Und so gibt es eben angesichts der wechselvollen deutschen Nachkriegsgeschichte weitere Gründungsmythen, nämlich jenen der DDR sowie des wiedervereinigten Deutschlands. Neben allgemeinen Überlegungen kommen in den zwölf Essays zudem der "bundesdeutsche Öko-Mythos" oder "der deutsche Mythos vom Vorkämpfer und Zahlmeister Europas" zur Sprache - wenngleich am Ende das Fehlen eines die alle Mitgliedsstaaten verbindenden europäischen Mythos festgestellt wird.


Politische Mythen sind daher, wie die Erinnerungskonstruktionen des Einzelnen, unvermeidlich immer "richtig" und "falsch" zugleich.


Mythen, das sind nicht einfach bloße Erfindungen. Hinter derartigen identitätsstiftenden Geschichtserzählungen steckt stets auch ein wahrer Kern, der eben dafür genutzt wird, um das Selbstverständnis einer Nation zu begründen. Im Gegensatz zu anderen Nationen ist dabei der deutsche Mythenschatz kein jahrhundertelang gewachsener, sondern einer, der sich in den wenigen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in rasanter Weise neu erschuf. Ursache hierfür ist wieder einmal die nationalsozialistische Diktatur, welche zahlreiche deutsche "Urmythen" diskreditierte und sozusagen für einen Neuanfang "unbrauchbar" machte. Einzig jener vom "Land der Dichter und Denker" hat diese dunkle Zeit überdauert und gehört - so Anne-Maike Ewert - nach wie vor zum kollektiven Bewusstsein unserer Nation. Wie wichtig derartige Mythen sind, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Europa eben keinen solchen Mythos zu bieten hat, der für alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen verbindlich ist - vielleicht ein Grund für die Probleme der europäischen Idee in jüngster Zeit.

Keine Angst, wer hier bereits vermutet, sich in der Theorie eines schwierigen gedanklichen Konstrukts zu verlieren, der kann beruhigt sein. Der vorliegende Essayband zur Ausstellung "Deutsche Mythen seit 1945" hat nicht nur ein Thema, welches für unser Selbstverständnis unmittelbar relevant ist, sondern arbeitet dieses auch "volksnah" (ohne hier gleich einen dieser diskreditierten Begriffe heraufzubeschwören) auf. So bieten die wohlformulierten, nicht allzu langen Essays einen guten Zugang für alle Interessierten, ganz gleich, ob sie nun nähere Kenntnisse zur deutschen Nachkriegsgeschichte haben oder nicht. Zu tun hat diese "Volksnähe" aber auch mit der Beschaffenheit von Mythen an sich, die eben populär sein müssen, um für viele relevant zu sein. Nicht umsonst widmet sich Franz-Josef Brüggemeier daher beispielsweise der stets siegreichen deutschen Fußballnation.

Da Mythen auch von ihrer Visualität leben, passt es gut, dass der Band durchgehend farbig illustriert ist. Auf unterschiedlichste und sehr anschauliche Weise bringen diese vielfältigen und aussagekräftigen Abbildungen dabei jene identitätsstiftenden Gedankenkonstrukte zum Ausdruck, die sich ins Gedächtnis unserer Nation eingeprägt haben. Allein schon deshalb ist der Band einen Blick wert.

FAZIT: Eine aufschlussreiche, gut lesbare und reich illustrierte Aufarbeitung des Selbstverständnisses unserer Nation.

Weitere Informationen sowie ein Blick ins Buch finden sich auf der Webseite des Verlags .

Mehr Infos von Matthias

Einen Eindruck von der Ausstellung, die leider seit Mitte Januar nicht mehr zu sehen ist, bietet auch die Ausstellungsseite des Zeitgeschichtlichen Forum Leipzigs.


Matthias Jakob Schmid



Hardcover | Erschienen: 24. Juni 2016 | ISBN: 9783735601896 | Preis: 34,90 Euro | 192 Seiten | Sprache: Deutsch

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